Prozess um Hausfriedensbruch: „Durch alle Instanzen“
Der Prozess um den Hausfriedensbruch in der Villa Behnke soll ein Musterverfahren zur Entkriminalisierung von Hausbesetzungen werden.
Eigentum verpflichtet, das steht im Grundgesetz – vorsätzliche Wohnraumvernichtung ist daher ein Verbrechen, zumindest leiten das viele Wohnungssuchende daraus ab. Wenn also am heutigen Montag Miriam S. auf der Anklagebank im Saal 1.04 des Amtsgericht St. Georg Platz nimmt, steht sie nicht alleine da. Denn dass S. am 3. November 2012 an der Besetzung der Villa Behnke an der Horner Landstraße 369 teilgenommen hat, streitet die 24-Jährige nicht ab.
Die entscheidende Frage in diesem Prozess wegen Hausfriedensbruch ist vielmehr: Hat Miriam S. als Akt des zivilen Ungehorsam völlig gerechtfertigt gehandelt und daher nicht den Hausfrieden verletzt, als sie in das vom städtischen Wohnungsunternehmen Saga verwaltete Haus eingedrungen ist. „Wir werden das Verfahren durch alle Instanzen führen, da dieser Fall exemplarisch aufzeigt, dass selbst staatliche Institutionen durch Skrupellosigkeit ihr Recht auf Eigentum verwirken“, sagt die Anwältin Ingrid Witte-Rohde, die Miriam S. mit ihrem Kollegen Andreas Beuth vertritt. Denn die Villa Behnke steht seit zehn Jahren leer und verrottet.
Im Oktober 2012 hatte der zuständige Regionalausschuss im Bezirk Mitte beschlossen, das historische Haus zu erhalten (Video eines Rundganges durch die Villa gibt es hier). Aufgrund dieser Position und des akuten Wohnraummangels beschlossen Miriam S. und vier Freunde, die Villa zu besetzen, um dort ein Wohnprojekt zu realisieren. Das Haus wurde nach wenigen Stunden von einem Großaufgebot der Polizei geräumt.
Die Ville Behnke ist 1883 von dem Chemie-Fabrikanten Heinrich Behnke für seine Familie in dem dörflichen Horn am Horner Berg erbaut worden.
In den Besitz der Stadt ging das Areal der Behnke Dynastie 1927, nachdem sich Horn zum industriellen Stadtteil entwickelt hatte.
Bei der Operation Gomorrah der Alliierten im Zweiten Weltkrieg ist Horn fast völlig zerbombt worden. Die Villa Behnke überstand die Bombardements unbeschadet und blieb als Überbleibsel an der Horner Landstraße stehen.
Seit 2000 wird das Areal von der Wohnungsgesellschaft Saga für die Finanzbehörde verwaltet. Nach taz-Informationen mit der klaren Direktive, die Villa leer stehen und verrotten zu lassen, obwohl sich Bezirksgremien dagegen ausgesprochen haben.
Schon nach der Besetzung der Villa Behnke legte die Saga Wert auf die Feststellung, dass sie nicht Besitzer des Hauses sei, sondern das Gebäude für die Finanzbehörde verwalte und strikte Instruktionen habe. Und dass es jetzt zu einem Strafprozess komme, liege nicht in der Verantwortung der Saga. „Wir haben zwar den Strafantrag gestellt, die Rücknahme dieses Strafantrages ist für uns aber nicht möglich“, sagt Sprecherin Kerstin Matzen der taz. „Wenn etwas passiert, werden wir haftbar gemacht“. Die Saga wäre mit einem Gewinn von 175 Millionen Euro im Jahr 2012 sicherlich nicht in der Existenz bedroht.
„Es ist nicht mehr zu vermitteln, dass Behörden unter Führung der SPD wie Privatinvestoren agieren, deren Verhalten nicht selten von der SPD kritisiert wird“, sagte die Billstedter SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Hildegard Jürgens nach der Besetzung. Und da setzt auch S. Verteidigung an. „Leer stehende Häuser stellen kein befriedetes Besitztum dar“, sagt Anwalt Beuth „Das setzt eine aktive und positive Nutzung des Tatobjekts voraus.“ Denn das im Grundgesetz verankerte Recht auf Eigentum sei nicht schrankenlos. Schon nach dem Wohnraumschutz-Gesetz sei Leerstand von Wohnraum“ über einen Zeitraum von mehr als vier Monaten eine unzulässige Zweckentfremdung.
Beuth verweist auf die Rechtsprechung aus den 1980er-Jahren, dass zu einem „befriedeten Besitztum hinzugehört, dass sich in diesem Besitztum etwas abspielt, und dass der innere Friede, der nach außen geschützt werden soll, nicht nur aus einer Grabesstille besteht“, zitiert Beuth mehrere Gerichte. „Es wird an der Zeit, an diese Rechtssprechung anzuknüpfen, zumal sich die Wohnungsnot erheblich verschärft hat und das Verhalten der Leerstand-Eigentümern immer salopper geworden ist.“
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