piwik no script img

Prozess nach Putschversuch in der TürkeiLebenslange Haft für Militärs

Vor drei Jahren versuchten sie zu putschen, das misslang. Nun sind 16 Ex-Generäle zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden.

Der frühere Chef der Luftwaffe Akın Öztürk (Mitte) im August 2017 Foto: ap

Istanbul taz | Es sind die schwersten jemals verhängten Strafen nach Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei: Am Donnerstagvormittag sind im Hauptprozess gegen die führenden Militärs vom Putschversuch des 15. Juli 2016 die Urteile verkündet worden. 16 ehemalige Generäle, darunter der frühere Chef der Luftwaffe, Akın Öztürk, bekamen 141-mal lebenslänglich. Alle 16 Verurteilten müssen den Rest ihres Lebens in Isolationshaft verbringen.

Die Generäle wurden für schuldig befunden, den Putschversuch geplant und initiiert zu haben, am versuchten Attentat auf Präsident Recep Tayyip Erdoğan schuldig zu sein und den Tod von 251 Menschen verursacht zu haben. Von den insgesamt 224 Angeklagten wurden 33 freigesprochen. Bei 13 Angeklagten wurde das Verfahren abgetrennt. Darunter auch der Fall des vermeintlichen Hauptschuldigen für den Putsch, Fethullah Gülen, und die Fälle von 12 weiteren Angeklagten. Sie halten sich allesamt im Ausland auf. Gülen führt die sektiererische Gülen-Bewegung an.

Die Urteile setzen kapp drei Jahre nach dem Putschversuch nun einen ersten juristischen Schlusspunkt. Von den insgesamt rund 300 Verfahren, die im Anschluss angestrengt wurden, war der nun zu Ende gegangene Prozess das Hauptverfahren. Die Verurteilten gehörten alle dem damaligen Generalstab an. Sie sollen auch versucht haben, den damaligen Generalstabschef und heutigen Verteidigungsminister Hulusi Akar zur Teilnahme am Putsch zu zwingen. Als er sich weigerte, wurde er festgenommen und auf der Luftwaffenbasis Akıncı bei Ankara festgehalten. Vorher soll man ihn gedrängt haben, mit Fethullah Gülen, der in den USA lebt, zu telefonieren. Gülen und seine Anhänger unter den Offizieren sollen die Initiatoren des Putsches gewesen sein, Luftwaffenchef Akın Öztürk der Koordinator vor Ort.

Die Urteile setzen kapp drei Jahre nach dem Putschversuch nun einen ersten juristischen Schlusspunkt

Justizminister Abdülhamit Gül und die beim Gericht vertretenen Nebenkläger der Regierung zeigten sich mit dem Urteil zufrieden. Der Gerechtigkeit sei genüge getan worden, sagte Gül. Auch die ins Ausland geflüchteten, insbesondere Fethullah Gülen, würden früher oder später vor Gericht gestellt.

Die meisten Angeklagten bestritten ihre Schuld und lehnten es vor allem ab, mit der Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht zu werden. Andere beriefen sich darauf, nur Mitglieder in der Befehlskette gewesen zu sein. Bei einigen Generälen, beispielsweise bei Akın Öztürk, wurde allerdings eine Verbindung zu Gülen nachgewiesen.

Obwohl viele Indizien dafür sprechen, dass die Gülen-Bewegung tatsächlich hinter dem Putschversuch steckt, blieb auch in dem Prozess gegen die Hauptangeklagten vieles unklar. Man weiß nicht, wie weit die Übereinkunft zum Putsch im Generalstab ging, warum der Putsch dann so dilettantisch im Istanbuler Abendverkehr gestartet wurde und warum wichtige Armeekommandeure nicht eingebunden waren. Der Putschversuch war noch in der Nacht zum 16. Juli von loyalen Truppen niedergeschlagen worden.

Die Auswirkungen waren enorm und dauern bis heute an. In dem folgenden zweijährigen Ausnahmezustand wurden etliche bürgerliche Rechte außer Kraft gesetzt. Rund 50.000 Menschen wurden festgenommen, rund 30.000 sitzen nach wie vor in Haft. Mehr als 150.000 Militärs, Polizisten, Lehrer, Professoren und andere Beamte wurden entlassen. Nach wie werden fast jede Woche angebliche Gülen-Anhänger verhaftet. Infolge des Putschversuchs gelang es Erdogan das Präsidialsystem durchzusetzen. Es sichert ihm die weitgehende Alleinherrschaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare