Prozess in Berlin: Verschwunden in Vietnam
Ein Neonazi soll einen Vietnamesen niedergestochen haben. Der kann nun vor Gericht nicht aussagen – weil er abgeschoben wurde.
BERLIN taz | Vor dem Prozess um zwei Mordversuche eines Mannes aus Oberschöneweide wurden Zeugen abgeschoben, die nun nicht vor Gericht aussagen können. Bei einem der beiden handelt es sich um eines der Opfer, einen Vietnamesen. Opferberater protestieren gegen das Vorgehen der Behörden.
Der 25-jährige Stephan H. soll im Oktober 2011 „aus tiefer Abneigung gegen Mitbürger nichtdeutscher Herkunft“ mit einem Messer auf den Mitarbeiter einer Pizzeria eingestochen haben. Dann soll er im Februar 2012 in der JVA Plötzensee einen vietnamesischen Mithäftling „aus bloßem Fremdenhass“ mit einem Messer angegriffen haben. Beide Opfer überlebten knapp.
Tuan V., der Vietnamese, kann nun im Verfahren gegen H. nicht aussagen, weil er bereits abgeschoben wurde. Lediglich die Videoaufzeichnung seiner Zeugenaussage wurde beim zweiten Prozesstag am 10. Januar vorgeführt. V. verbüßte in Berlin eine Ersatzfreiheitsstrafe, weil er mit unverzollten Zigaretten gehandelt hatte und eine Geldstrafe nicht zahlte. Er war Zellennachbar von Stephan H., der offenbar mit einem selbst gebastelten Messer auf ihn losging und V. schwer verletzte.
Zigaretten nur für Frauen und Kinder
Vor Gericht macht der Angeklagte keinen Hehl aus seinen kruden Ansichten: Er glaubt, vietnamesische Zigarettenhändler verkauften gezielt an schwangere Frauen und Kinder. Trotzdem bestreitet er die Tat und behauptet, aus Notwehr gehandelt zu haben. „Das Gericht könnte nun annehmen, dass es sich um Notwehr handelte, weil der Hauptzeuge gar nicht Stellung nehmen kann“, kritisiert Biplab Basu von der Opferberatung Reach Out. Die Abschiebung des Opfers nennt er einen „Riesenskandal“.
Während der Vietnamese die Ersatzhaftstrafe weiter absaß, verfügte die Ausländerbehörde seine Abschiebung. Als klar wurde, dass er vor dem Kammergericht als Zeuge aussagen sollte, willigte die Behörde aber ein, die Abschiebung auszusetzen. Trotzdem wurde V. vor Prozessbeginn abgeschoben – die zuständige Staatsanwaltschaft hatte das entschieden. Und am vergangenen Dienstag, kurz vor dem vierten Prozesstag, wurde noch ein Vietnamese abgeschoben, der die Tat in der JVA mitbekommen hatte.
Der Anwalt, der Tuan V. als Nebenkläger vertritt, erklärte, er habe derzeit keinen Kontakt zu V. Es sei „sehr bedauerlich, dass er an dem Prozess nicht teilnehmen kann“. Er habe bei der Ausländerbehörde angeregt, dass V. aussagen kann. V. sei aber vollständig genesen.
Biplab Basu bezweifelt das. „Das psychische Leiden lässt sich vom organischen nicht trennen.“ Reach Out will bei der Innenverwaltung Beschwerde gegen die Abschiebung einlegen und Kontakt zur vietnamesischen Botschaft aufnehmen.
Beim vierten Prozesstag verdichteten sich die Beweise. Ein Mitarbeiter der Haftanstalt sagte aus, dass sich der Angeklagte zwei Wochen vor der Tat ein Küchenmesser mitbringen lassen wollte. Er beantragte ein Messer mit scharfer, langer Klinge, was abgelehnt wurde. Der Zeuge sagte, er habe Stephan H. als „sauberen und ordentlichen Häftling“ in Erinnerung. Zurzeit deutet alles darauf hin, dass die Tat auch in Abwesenheit des Opfers bewiesen werden kann. Der Prozess wird am 14. Februar fortgesetzt.
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