Prozess gegen mutmaßliches IS-Mitglied: Die Gefährder
Ein Syrer soll Berlin für Anschläge ausgespäht haben. Die Polizei nahm ihn rechtzeitig fest. Dennoch zeigt sein Fall die Probleme der Ermittler.
Al-M. lauscht am Mittwoch stattdessen den Vorwürfen der Bundesanwälte. Mitglied der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ sei er, verlesen die. Für diese habe er in Syrien gekämpft, später auch in Berlin Anschlagsziele ausgekundschaftet und sich als Kontaktmann für mögliche Attentäter zur Verfügung gestellt. Al-M. verzieht keine Miene.
Der Vorwurf wiegt schwer. Umso mehr nach dem Lkw-Attentat des Tunesiers Anis Amri kurz vor Weihnachten. Zwölf Menschen starben dabei. Es war die bislang schwerste islamistische Terrortat in Deutschland.
Anders als Amri aber verloren die Ermittler Shaas al-M. nicht aus dem Blick. In seinem Fall half ein Tipp von außen: Ein Mitbewohner seiner Asylunterkunft in Müncheberg in Brandenburg soll gemeldet haben, dass der Syrer von IS-Kontakten erzählt hatte. Über Monate wurde Al-M. darauf observiert. Am 22. März 2016 nahm ihn die Polizei schließlich fest.
Schon 2013 soll sich der damals 16-Jährige dem IS angeschlossen haben, angeworben durch einen Imam in seinem Heimatdorf. Für die Terrorgruppe soll er sich, bewaffnet mit einer Kalaschnikow, an der Belagerung der Stadt Deir al-Sor und des dortigen Flughafens beteiligt haben.
„Intensive“ Kontaktpflege von Deutschland aus
Im August 2015 kam Shaas al-M. schließlich nach Deutschland. Auch hier hielt er laut Anklage „intensiven Kontakt“ zum IS. Mindestens einen Mann habe er als Kämpfer nach Syrien vermittelt. Er selbst habe für die Gruppe in Berlin das Gelände um den Bundestag, das Brandenburger Tor und den Alexanderplatz als mögliche Terrorziele ausgekundschaftet. Einem IS-Kontakt übersandte er, wann dort wie viele Reisebusse halten.
Die Festnahme von Shaas al-M. war für die Ermittler ein Erfolg – zeigt aber auch die Schwierigkeiten in der Ermittlungsarbeit. Vier Mobiltelefone wurden bei dem Syrer gefunden. Darauf: zehntausende Fotos und arabische Chat-Nachrichten. Die Übersetzer und Auswerter brauchten Wochen, um die Daten zu sichten und die Kontakte von Al-M. zum IS nachzuprüfen.
Und dessen Verteidiger geben weiter Kontra. Die ursprüngliche Aussage von Shaas al-M. dürfe nicht verwendet werden, beantragen sie vor Gericht. Er sei falsch belehrt worden. Auch sei Al-M. gar nicht beim IS gewesen, sondern bei einer Gruppe der „Freien Syrischen Armee“, der bewaffneten Assad-Opposition. Und einige der in der Anklage genannten Orte und IS-Kader gebe es überhaupt nicht.
Für die Ermittler ist auch das eine Herausforderung. Wie kommt man an gerichtsfeste Beweise aus Syrien, ohne Zuarbeit dortiger Behörden, ohne lokale Unterlagen? Bei Al-M. pocht die Bundesanwaltschaft auf die abgefangenen Chats. Dort sei festgehalten, wie der Syrer seine Ausspähergebnisse übermittelte und seine Hilfe für Anschläge anbot. Diesen Vorwurf greifen auch die Verteidiger am Mittwoch nicht an.
Definition „Gefährder“ bleibt Einzelfallentscheidung
Für die Sicherheitsbehörden ist der Fall Shaas al-M. indes nur einer von vielen. 549 islamistische Gefährder zählen diese derzeit. Rund die Hälfte ist in Deutschland, 80 sitzen in Haft. Anis Amri war einer von ihnen. Personen, denen die Behörden jederzeit schwere Straftaten zutrauen. Denen aber gerichtsfest auch noch nichts nachzuweisen ist. Die Zahl ist zuletzt stetig angestiegen: 266 Gefährder waren es noch im Januar 2015.
Eine Vollzeitüberwachung aller Gefährder ist laut Polizei nicht zu leisten. Rund 30 Beamte bräuchte es dafür pro Islamist. Eine feste Definition, wer Gefährder ist und wer nicht, gibt es nicht – nur die Einzelfalleinschätzung der Sicherheitsbehörden.
Dazu kommt ein neuer Täter-Typus. Lange hatten sich die Ermittler vor allem auf den „Lone Wolf“ eingestellt: Selbstradikalisierte, hierzulande aufgewachsene Einzeltäter wie der junge Arid Uka, der 2011 auf dem Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschoss. Die jüngsten Terrorfälle aber zeigten, dass die Täter inzwischen direkt mit Drahtziehern im Ausland vernetzt sind – und von dort dirigiert werden.
So stießen Ermittler nach den Attacken von Islamisten im Juli in Würzburg und Ansbach auf Chatnachrichten, in denen diese Instruktionen von mutmaßlichen IS-Leuten erhielten. Und auch zu Anis Amri sucht die Bundesanwaltschaft weiter dessen Kontaktmann, dem der Tunesier noch aus dem LKW heraus eine Sprachnachricht schickte. „Ich bin jetzt im Auto“, soll Amri gesagt haben. „Bete für mich, Bruder.“
Union und SPD wollen nach der Terrortat von Berlin nun die Zügel anziehen. Elektronische Fußfesseln für verurteilte Gefährder sind im Gespräch, verschärfte Meldeauflagen oder Haft für Ausreisepflichtige, wenn eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ vorliegt. Ein zweiter Anis Amri wäre für sie der GAU.
Auch die Bundesländer haben die Beobachtung der Gefährder nach dem Anschlag nochmal intensiviert. „Die Gefährdung ist nach wie vor hoch“, heißt es etwa aus Bayern. „Die Szene haben wir fest im Blick.“ Andererorts konstatiert ein Verfassungsschützer: „Es ist doch klar, dass nach solch einem Ereignis nochmal besonders genau hingeschaut wird.“
Erst zu Silvester nahmen Sondereinsatzkräfte in Saarbrücken einen 38-jährigen Syrer fest. Auch er soll einen Anschlag mit einem Lkw geplant gehabt haben. Von einem IS-Mann in Syrien soll er 180.000 Euro angefordert haben. Damit wolle er Fahrzeuge kaufen, diese mit Sprengstoff bestücken und in eine Menschenmenge fahren. Auch hier kam der entscheidende Hinweis von außen: von einem Hinweisgeber, der das BKA kontaktierte.
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