Prozess gegen RAF-Terroristin Becker: „Becker ist schuldig“
Verena Becker habe den Buback-Mord „mit verursacht“, plädiert die Bundesanwaltschaft. Sie habe aber weder geschossen noch die Tat unmittelbar vorbereitet.
STUTTGART taz | Die Bundesanwaltschaft fordert eine Verurteilung Verena Beckers wegen Mordes. Sie soll am RAF-Attentat auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine Begleiter im Jahr 1977 beteiligt gewesen sein. „Sie ist schuldig, das steht für uns fest“, sagte Oberstaatsanwältin Silke Ritzert.
Nach 91 Verhandlungstagen begannen am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Stuttgart endlich die Plädoyers. Allein die Bundesanwaltschaft als Anklagebehörde plädierte acht Stunden und will am Donnerstag fortfahren. Auch Nebenkläger Siegfried Buback, der Sohn des Opfers, sowie die Verteidiger Beckers wollen zwei Tage plädieren. Das Urteil des Mammutprozesses ist für den 6. Juli geplant.
„Verena Becker hat dieses Attentat mit verursacht“, sagte Ritzert. Bei einem Treffen der RAF-Kader Ende 1976 in Holland habe sich Becker „mit Zähigkeit, Entschlossenheit und Durchsetzungswillen“ für die schnelle Durchführung des Mord-Anschlags eingesetzt.
In ihrer Aussage Mitte Mai hatte Becker behauptet, sie habe das Treffen vorzeitig verlassen. Doch das glaubten ihr die Ankläger nicht. Sie beriefen sich dabei auf das ehemalige RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock, der von einer Beteiligung Beckers am Mord-Beschluss berichtet hatte. Boock sei trotz seines schlechten Leumunds als „Karl May der RAF“ glaubwürdig. Seit seiner Lebensbeichte 1992 habe er „im wesentlichen richtig und belastbar“ ausgesagt, betonte Ritzert.
„Führungsfigur“ der RAF
Dabei hatte Boock bei seiner Aussage Verena Becker eigentlich eher entlastet und erklärt, dass Becker nicht mehr als andere auf den Anschlag gedrängt hatte. Silke Ritzert zählte jedoch mehrere Gründe für eine besondere Rolle Beckers auf. So habe Becker innerhalb der RAF als „Führungsfigur“ gegolten. Bei der Schleyer-Entführung Ende 1977 sei sie sogar auf Platz vier der freizulassenden Gefangenen gestanden – direkt nach den Stammheimer RAF-Köpfen um Andreas Baader. Außerdem sei Becker zunächst im Kommando für das Attentat eingeteilt gewesen. Das bewiesen Papiere, die Ende 1976 bei der Festnahme der RAFler Siegfried Haag und Roland Mayer beschlagnahmt wurden. Auch deshalb habe Becker sicher ein besonderes Interesse an der Diskussion über das Buback-Attentat gehabt.
„Wenn die RAF den Anschlag ohne Becker beschlossen hätte, müsste die Geschichte der RAF neu geschrieben werden“, argumentierte Anklägerin Ritzert. Es habe zum Selbstverständnis der linken Terrorgruppe gehört, dass so lange diskutiert wurde, bis alle Mitglieder einem Plan zustimmten.
Eine unmittelbare Beteiligung an der Vorbereitung des Anschlags konnte Becker aber nicht nachgewiesen werden. Die Bundesanwaltschaft wich dabei von ihrer eigenen Anklage ab. Dort hatte sie sich noch auf eine Zeugin gestützt, die Becker am Tag vor dem Attentat in Karlsruhe gesehen haben will. Becker hatte in ihrer Aussage betont, sie sei zu dieser Zeit im Nahen Osten gewesen. "Wir halten das auch für wahrscheinlich erklärte Ritzert". Alle anderen Zeugen hätten bei der Auskundschaftung des Tatorts drei Männer gesehen und Christian Klar, Knut Folkerts sowie Günter Sonnenberg erkannt.
Vorgeworfen wird Becker aber noch eine Beteiligung am Versenden der Bekennerschreiben. Nachweislich hatte Becker einige Briefmarken aufgeklebt, das belegen DNA-Spuren. Dazu wird die Bundesanwaltschaft aber erst am Donnerstag Ausführungen machen.
Nebenkläger Buback glaubt, dass Verena Becker seinen Vater erschossen hat. Diese Theorie hält die Bundesanwaltschaft nach dem langen Prozess aber für endgültig widerlegt. „Es gibt keinen belastbaren Hinweis auf eine unmittelbare Täterschaft von Verena Becker“, betonte Bundesanwalt Walter Hemberger.
„Herr Buback nimmt nur die Rosinen“
Die von Buback angeführten Zeugen, die eine zierliche oder weibliche Person als Sozius auf dem Tatmotorrad gesehen haben wollen, seien unglaubwürdig. Meist hätten sie 1977 etwas anderes ausgesagt und sich erst Jahrzehnte später unter dem Einfluss der Medienberichterstattung mit neuen „Erinnerungen“ gemeldet.
Stundenlang referierte Hemberger die Zeugenaussagen und legte Inkonsistenzen und Widersprüchlichkeiten dar. „Herr Buback nimmt nur die Rosinen davon, das heißt die Aussagen, zu seiner Theorie passen“, kritisierte der Bundesanwalt.
Vehement wies Hemberger Vorwürfe Bubacks zurück, 1977 seien Hinweise auf eine weibliche Täterin unterdrückt und Aussagen gefälscht worden: „Da hätten 1977 sehr viele Polizeibeamte zusammenwirken müssen, was diese heute aber alle mit Empörung zurückweisen“, so Hemberger. Die Annahme einer derartigen Verschwörung sei aber schon deshalb abwegig, weil der bloße Hinweis auf einen zierlichen Körperbau des Täters „auf keinen Fall“ für die Verurteilung gerade von Verena Becker ausreichen könnte.
Nebenkläger Buback hatte immer wieder von einer „schützenden Hand“ des Staates gesprochen und vermutet, dass Verena Becker nicht erst Anfang der 80er-Jahre, sondern schon 1977 für den Verfassungsschutz arbeitete. Bundesanwalt Hemberger wies dies erneut zurück: „Verena Becker war 1977 keine staatliche Informantin, der Mord an Siegfried Buback ist nicht unter staatlicher Aufsicht und schon gar nicht auf staatliche Anordnung erfolgt“.
Ob die Bundesanwaltschaft auf Mittäterschaft oder nur auf Beihilfe plädiert, ließ sie zunächst offen. Manches spricht aber für den härteren Vorwurf. Formal droht bei Mittäterschaft des Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe. Da Becker 1977 wegen einer Schießerei bei ihrer Festnahme aber schon einmal zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, müsste nun nachträglich eine Gesamtstrafe gebildet werden. Vermutlich wird Becker mit einer Bewährungsstrafe davon kommen.
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