Prozess gegen Palästina-Aktivistin: From the River to the Freispruch
Die Palästina-Aktivistin Yasemin Acar wird wegen der umstrittenen Parole freigesprochen. Doch für eine Reihe anderer Delikte wird sie verurteilt.
„Wir sind Migrant*innen, Queers und auch Jüd*innen – und die Polizei prügelt jedes Wochenende auf uns ein“, sagt eine der auf den Einlass wartende Unterstützer:innen zur taz.
Yasemin Acar ist eine der bekanntesten Figuren der Bewegung in Berlin, der immer wieder vorgeworfen wird, israelfeindliche Positionen einzunehmen. Im vergangenen Monat segelte sie mit Greta Thunberg und anderen auf der „Madleen“ nach Gaza, bevor sie von der israelischen Marine gestoppt wurden.
Vorgeworfen wird ihr, Widerstand bei Festnahmen geleistet zu haben; zudem habe sie die Polizei durch die Aussage, sie wären nur auf Demos, um Frauen und Kinder zu schlagen, verleumdet. Außerdem soll sie einen Polizeibeamten mit einem Regenschirm beworfen haben.
Streit um Parole
Im Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten wird jedoch vor allem der Vorwurf diskutiert, sie habe durch das Verwenden der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ ein Kennzeichen terroristischer Organisationen verwendet. Der Staatsanwalt argumentiert, dass die Parole mit der Hamas in Verbindung stehe, und fordert eine entsprechende Bestrafung.
Die Angeklagte prangert in ihrer Einlassung das israelische Vorgehen in Gaza und die deutschen Waffenlieferungen an. Sie macht deutlich, dass sie den Prozess gegen sie als Repression einer migrantischen Stimme versteht, die sich gegen Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverbrechen erhebt.
Auch ihr Strafverteidiger äußert sich zum weiteren politischen Kontext. Der Antisemitismus-Vorwurf sei in Deutschland zu Recht ein schwerwiegender, der jedoch als Diffamierungsinstrument gegen seine Mandantin angewendet würde. Vor dem Hintergrund der Kriegsverbrechen in Gaza sei die andauernde Diskussion über bestimmte Parolen der Palästina-Bewegung zynisch. Zudem kritisiert er staatliche Eingriffe in die Grundrechte: „In Neukölln war das Versammlungsrecht wochenlang suspendiert.“
Nach einer etwa dreistündigen Verhandlung wird Yasemin Acar wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichen Angriffs und Verleumdung zu einer Geldstrafe von 1.800 Euro verurteilt. Doch vom Vorwurf, eine strafbare Parole verwendet zu haben, wird sie freigesprochen. Der Richter bezieht sich in seiner Urteilsbegründung auf einen Beschluss des Berliner Landgerichts vom April 2025, demzufolge der Spruch aus einer „internationalen und heterogenen Protestbewegung“ hervorgehe und sich somit nicht eindeutig als antisemitisch oder als mit der Hamas verbunden auslegen lasse.
Diese Auslegung deckt sich auch mit einem Gutachten des Berliner Landeskriminalamts, dem zufolge berücksichtigt werden müsse, dass die Parole ursprünglich für einen „multiethnischen, säkularen Staat auf dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina“ gestanden habe.
Nach dem Urteilsspruch schließt sich Acar den Protestierenden an, die schon während der Verhandlung eine im Saal hörbare Kundgebung vor dem Gebäude abhielten. An ihre Unterstützer:innen gewandt sagt sie: „Wenn jemand mit einem arabischen Namen die Stimme erhebt, dann schlägt der Staat zu – doch unser Widerstand ist stärker als jede Repression.“
Im weiteren Verlauf der Kundgebung drängen in regelmäßigen Abständen Polizisten in die versammelte Menge und nehmen einzelne Teilnehmer*innen fest. Laut einer Rednerin erfolgten die Festnahmen ebenfalls wegen des Verwendens der Parole „From the river to the sea“. Die nächsten Strafverfahren aufgrund desselben Vorwurfes könnten also bereits bevorstehen.
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