Prozess gegen Luigi Mangione: Ein „Volksheld“ vor Gericht
Beim Prozessbeginn gegen den mutmaßlichen Mörder Mangione dürfen dessen Fans nicht fehlen. Das New Yorker Gericht verhandelte die Zulässigkeit von Beweismitteln.
Es ist der zweite Tag der Anhörungen zum Prozess gegen Luigi Mangione, den 27-Jahre alten Dateningenieur aus Maryland, der am 14. Dezember 2024 den CEO eines der größten Krankenversicherer der USA auf offener Straße erschossen haben soll, und Miranda kann es kaum erwarten, mit Mangione in einem Raum zu sein. Sie möchte dem auffallend gut aussehenden, smarten Killer, der von vielen Amerikanern als Volksheld gefeiert wird, nahe sein. Und vielleicht, so hofft sie, wird er ihr ja sogar einen Blick zuwerfen.
Miranda steht im kahlen Beton-Flur des New Yorker Staatsgerichts und schminkt sich ausgiebig. Eine andere Gelegenheit hatte die junge Frau aus New Jersey an diesem regnerischen Dezembertag nicht. Sie übernachtet seit Tagen mit einigen Dutzenden von Genossinnen in einem Zelt im Park gegenüber, in ihr grünes, enganliegendes Kleid ist sie gerade schnell in der Toilette auf dem 13ten Stock des Gerichtsgebäudes geschlüpft. In der Zwischenzeit hielt eine Freundin ihr den Platz in der langen Schlange vor dem Saal Nummer 1302 frei.
Doch es sind noch beinahe zwei Stunden, bis Miranda ihren Helden von der letzten Bank des großen Gerichtssaals aus zu sehen bekommt. So lange dauert es, bis die Reporter und Zuschauer sitzen, die Verteidiger und Ankläger ihre Unterlagen sortiert haben und Mangione vorgeführt wird.
Aber als es endlich so weit ist, bereut Miranda keine Sekunde. Mangione ist frisch frisiert und trägt einen dunkelblauen Designeranzug mit kariertem Hemd. Die Gefängnismonate haben ihn nicht gezeichnet, sein Gesichtsausdruck ist selbstbewusst und keck, beinahe arrogant. Mangione sieht aus, als wäre er auf einer Gartenparty in den Hamptons, wo ihn zweifellos ebenfalls Frauen der verschiedensten Altersstufen umschwärmt hätten.
Grün sind alle ihre Kleider
Am Tag zuvor, als es noch nicht regnete, hatten die „Mangione Girls“ den Platz vor dem neoklassizistischen Gerichtsgebäude in einen Zirkus verwandelt. Sie trugen uniform Grün, die bevorzugte Modefarbe Mangiones, und hielten Transparente mit der Aufschrift „Free Mangione“ in die kalte New Yorker Winterluft. Nicht einmal die Trump-Anhänger hatten bei dessen Prozess am gleichen Gericht vor anderthalb Jahren einen derartigen Rummel auf die Beine gebracht.
Luigi Mangione ist jetzt schon jetzt zu einer modernen Version von Billy the Kid geworden, dem romantischen Outlaw und Frauenschwarm, der für den kleinen Mann sein Leben aufs Spiel setzt. Sein vornehmer College-Boy-Appeal, seine feinen italienischen Gesichtszüge und seine athletische Figur tun das Ihre zu seinem Kultstatus, der seit seiner Verhaftung vor knapp einem Jahr stetig zu wachsen scheint.
Der Kult behagt freilich nicht jedem. Donald Trump persönlich hat seiner Abscheu angesichts der Verehrung Mangiones und der Verherrlichung seines Verbrechens Ausdruck verliehen. In linken Kreisen ist man Mangione zwar dankbar, dass er der Debatte um die Grausamkeit und den Zynismus des amerikanischen Krankenversicherungssystems eine neue Brisanz verliehen hat.
Auf den Hülsen seiner Patronen stand: „Delay, Deny, Defend“ – Abkürzungen für die Taktik der Versicherungen, Ansprüche zu verschleppen, abzuweisen oder dagegen zu klagen. Das Mittel, das Mangione wählte, um darauf aufmerksam zu machen, wird allerdings von diesen Kreisen ebenso wenig gebilligt wie die Romantisierung von Mangione.
Die Frage der Beweisstücke
Doch der Hype um die Person Mangiones und die Debatten um seine Tat haben gerade erst begonnen. In den kommenden Wochen wird der Fall Mangione erneut ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken. Auf die Anhörungen dieser Woche folgt die Datumssetzung des Hauptprozesses des Staats New York gegen Mangione, bei dem es um Mord zweiten Grades geht. Der Terrorismusvorwurf des New Yorker Staatsanwaltes Alvin Bragg wurde abgewiesen. Am 9. Januar beginnt dann das Verfahren des Bundes gegen Mangione, bei dem die Anklage die Todesstrafe anstrebt.
Die Anhörungen in dieser Woche sind allerdings mehr als nur ein Vorgeplänkel für die beiden Hauptevents im kommenden Jahr. Richter Gregory Carro fällt es zu, festzustellen, welche Beweismittel zu den Hauptprozessen zugelassen werden. Die Verteidigung versucht zu beweisen, dass zentrale Beweisstücke verfassungswidrig gesichert wurden und deshalb den Geschworenen nicht vorgelegt werden dürfen.
Dabei geht es vor allem um einen Rucksack, der bei der Verhaftung Mangiones in Pennsylvania sichergestellt wurde. Darin befand sich die mutmaßliche Tatwaffe sowie ein Tagebuch mit einer Art Manifest, in dem Mangione das Motiv seiner Tat darlegte. Laut Mangiones Anwälten wurde der Rucksack jedoch vor der Verhaftung durchsucht – ein Vorgehen, das die Rechte des Angeklagten verletzt.
So wurden die Presse und die Mangione-Girl-Ecke im New Yorker Gerichtssaal einer zähen Betrachtung der Body Cam – und Überwachungs-Videos aus dem McDonald’s in Pennsylvania unterzogen, um Sekunde für Sekunde den Hergang der Verhaftung zu rekonstruieren. Zu jeder Szene wurden die beteiligten Beamten ausführlich befragt. Kein besonders aufregendes Material.
Mangione selbst war jedoch überaus lebendig bei der Sache, machte sich Notizen, tuschelte mit seinen Rechtsanwälten. Die Möglichkeit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe oder gar des elektrischen Stuhls schien ihn nicht allzu sehr zu bedrücken. Noch liegt schließlich ein langer Weg und die Möglichkeit überraschender Wendungen vor ihm. Und die Chance, seinen Status als charmanter Killer und Ritter der Entrechteten endgültig zu zementieren.
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