Prozess gegen Khaled El Masri: In die einsame Freiheit
El Masri ist draußen. Zwei Jahre Bewährung verhängte das Memminger Gericht wegen Brandstiftung gegen die Ex-CIA-Geisel. Der Gutachter sieht ihn an der Grenze zum Wahnhaften.
In diesem Gesicht lässt sich nicht lesen. Selbst in dem Moment, als Richter Götz Helms die Aussetzung der zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verkündet - als mit einem Mal die Freiheit ruft, die Rückkehr zur Familie -, verzieht Khaled El Masri keine Miene. Er verlässt den Memminger Gerichtssaal, wie er gekommen ist: scheinbar unbeteiligt, ohne Geste. Kein Freund, kein Verwandter von ihm sitzt im Zuschauerraum. El Masri hat schon lange keine Freunde mehr.
Die Tat: Am 29. Januar wird in Neu-Ulm ein Lehrer des Kfz-Prüfers Dekra zusammengeschlagen. Am 16. Mai wird im Metro-Markt in Neu-Ulm Feuer gelegt. Täter ist in beiden Fällen das CIA-Entführungsopfer Khaled El Masri. Der Brandstiftung war ein Streit über einen defekten MP3-Player vorausgegangen.
Der Angeklagte: Khaled El Masri, 44, kämpft seit seiner Entführung durch die CIA nach Afghanistan im Jahr 2004 erfolglos um seine Rehabilitierung. Eine Therapie wird ihm bis heute von der Krankenkasse verweigert. Zuletzt hatte er seine Wohnung, in der er mit seiner Frau und sechs Kindern lebt, kaum noch verlassen.
Das Urteil: Wegen Brandstiftung, Körperverletzung, Beleidigung und Hausfriedensbruch verurteilt das Landgericht Memmingen den Angeklagten zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Das Urteil berücksichtigt sein 2004 erlittenes Unrecht. Ob und wo El Masri eine Therapie bekommt, ist weiterhin unklar. RB
In seiner Wahrnehmung dürfte der 44-Jährige an diesem Dienstagabend lediglich einen Zwischenerfolg im lange währenden Kampf gegen die Geheimdienste erreicht haben. Es ist ein Kampf außerhalb der Begrenzungen deutschen Rechts, einer, der aus El Masris Sicht allein nicht zu gewinnen ist: Die Angriffe der CIA und des BND werden mit den Methoden des Verrats und der gezielten Desinformation geführt, notfalls müssen sie mit dem Mittel der Gewalt beantwortet werden. Das ist die Logik dieses Angeklagten, der nun wieder frei ist.
Das Denken eines Verrückten, ließe sich schlussfolgern. Doch ist nicht auch die Vorgeschichte dieses Straftäters verrückt? Im Dezember 2003 wurde Khaled El Masri auf einer Busfahrt nach Skopje in Mazedonien von Sicherheitskräften festgesetzt und 23 Tage später von CIA-Agenten in einem Flugzeug nach Afghanistan verschleppt. Die Namen der 13 Agenten sind bekannt, die Münchner Staatsanwaltschaft hat Haftbefehle erlassen. Doch die Bundesregierung hat sie, mit Verweis auf die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, nie an die Amerikaner weitergeleitet. Fünf Monate verbrachte El Masri in einem Kerker, bis er an der albanisch-mazedonischen Grenze wieder in die Freiheit gestoßen wurde. In Gefangenschaft war er immer wieder nach den Vorgängen und Personen im Neu-Ulmer Mulitikulturhaus gefragt worden, einer Moschee, in der er früher oft war. Der jetzt verbotene Verein galt als islamistische Zelle.
Erlebnisse aus dieser Haftzeit hat El Masri dem Gericht geschildert. Einmal, als er mit seiner leisen Stimme, die keine Modulation kennt, von der Folterung eines Zellennachbarn berichtet, bricht seine Rede ab. Aus seinem Gesicht rollen Tränen, durch kein Schluchzen angekündigt, ganz unerwartet, wie aus einer Steinbüste. Richter Helms, der dem Angeklagten interessiert und geduldig zuhört, ordnet eine zehnminütige Pause an.
Die bis heute ungeahndete Entführung ist nicht nur für El Masris Verteidiger Manfred Gnjidic die Wurzel alles weiteren Unglücks, das sein Mandant erlitten und schließlich auch anderen zugefügt hat. Auch der vom Landgericht hinzugezogene psychiatrische Gutachter kommt zu diesem Ergebnis. Er attestiert dem Angeklagten eine "andauernde Persönlichkeitsveränderung nach einer Extrembelastung". Seit seiner Rückkehr aus Afghanistan fühlt sich El Masri eingekreist von Geheimdienstleuten, er hat eine feindselige Grundhaltung allen Menschen gegenüber entwickelt. Davon blieb auch sein Anwalt Gnjidic nicht verschont, er hatte den Kontakt zu seinem Mandanten zeitweise verloren.
Vor allem aber hat El Masri seine Reaktionen nicht mehr unter Kontrolle. Der Gutachter hat keinen Zweifel daran, dass es die Entführung durch die CIA und die Misshandlungen durch Kälte und Nahrungsentzug im Kerker tatsächlich gegeben hat.
El Masri selbst will nicht, dass man ihn für verrückt hält. Siebenmal seit 2004 haben die Krankenkassen Anträge seines Anwalts abgelehnt, seinen Mandanten zu therapieren. Im Januar 2006 kam es schließlich zu einigen Sitzungen im Ulmer Behandlungszentrum für Folteropfer. "Viel zu spät", befindet in Memmingen der Gutachter, zu diesem Zeitpunkt sei der Angeklagte bereits in Denkmuster verfallen, die an der Grenze zur Wahnhaftigkeit gelegen hätten. Eines Nachts, erzählt El Masri dem Gericht, sei er mit seiner Familie auf der Autobahn gefahren, als sein Wagen von vier Limousinen eingekeilt wurde. Kilometerlang habe ihn der Konvoi verfolgt, dann sei er im Dunkeln verschwunden.
Die einzige Behörde, die sich in dieser Phase intensiv um El Masri kümmert, ist das Arbeitsamt in Neu-Ulm. Die Mitarbeiter wollen ihn, den Hartz-IV-Empfänger, zwingen, endlich wieder zu arbeiten. Er muss an einer Fahrerschulung des Kfz-Prüfunternehmens Dekra in Ulm teilnehmen. "Ich wollte das nicht", sagt El Masri vor Gericht. Er fehlt unentschuldigt, soll das schriftlich begründen. Unwirsch schreibt er von einem Treffen mit einer "Blondine", das er habe wahrnehmen müssen. Der Dekra-Projektleiter ruft ihn in sein Büro und will ihm eine Abmahnung in die Hand drücken. Masri zerreißt sie, es kommt zum Wortwechsel, dann schlägt der 1,80 Meter große und 112 Kilogramm schwere Mann zu und verletzt den Vorgesetzten am Kopf. Es ist der 29. Januar.
El Masri hat jetzt eine Strafanzeige wegen Körperverletzung am Hals, doch ihn beschäftigen weiter die mysteriösen "Zwischenfälle" in seinem Alltag. Einmal ist er sicher, seine Wohnung sei durchsucht worden. Dann, Anfang April, geht er in den Metro-Markt in Neu-Ulm. Er will einen MP3-Player zurückgeben, aus dem "eine schwarze Flüssigkeit" ausgetreten sei. Die Verkäuferin zweifelt, fragt nach, will genau wissen, wie und was El Masri mit dem Gerät, mit den Batterien getan habe. Er schreit die Frau an, sie solle sie sich "in den Arsch schieben", und geht. Daraufhin wird seine Kundenkarte gesperrt, er bekommt Hausverbot.
Am 12. April kehrt er zurück, verlangt, erneut die Verkäuferin zu sprechen. Er spuckt ihr ins Gesicht. Der Sicherheitsdienst wird gerufen, doch El Masri setzt sich in die Cafeteria des Markts und verlangt, in Ruhe gelassen zu werden. Eine Polizeistreife muss ihn abführen. Damit hat er sich auch eine Anzeige wegen Beleidigung und Hausfriedensbruch eingehandelt.
Doch seine innere Logik führt ihn zu ganz eigenen Schlüssen. War er nicht bei dem Streit mit der Verkäuferin von einem dritten Mann beobachtet worden? Sollte er hier bewusst in eine "Falle" gelockt und danach als Gewalttäter und Querulant abgestempelt werden? Schon im Fall des verprügelten Dekra-Lehrers war der Vorgang verdächtig schnell der Presse zugespielt worden. Er habe gedacht, sagt El Masri vor Gericht, die Verkäuferin sei entweder direkt ein Mitglied der Geheimdienste oder eine "Marionette".
Schließlich, am 16. Mai, soll die CIA endlich seine Antwort bekommen. Am frühen Morgen kauft El Masri an einer Tankstelle drei Kanister mit Benzin und fährt zum Metro-Markt. Doch im Innern sieht er Menschen. Er ändert den Plan und kehrt am 17. Mai zurück. Mit dem Heck seines Wagens kracht er in die Eingangstür, dann stürmt er mit einem Beil und dem Benzin in den ersten Stock, auf der Suche nach den Büros. Er findet sie nicht und entzündet das Benzin schließlich an vier Stellen im Erdgeschoss, längst schrillt die Alarmanlage. Als die Polizei ihn festnimmt, wehrt er sich nicht.
"Ich musste was machen, um mich und meine Sicherheit zu verteidigen", begründet El Masri vor Gericht. "Ich musste irgendwas tun, um den Plan, das, was die vorhaben, zu zerstören."
Der Metro-Markt öffnet am 18. Mai wieder, anfangs ist von einem Schaden von 500.000 Euro die Rede. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Memmingen sind es noch etwas mehr als 300.000 Euro. Vor Gericht wird klar: Es entstand ein Schaden in Höhe von 89.000 Euro - verursacht durch das Löschwasser der Sprinkleranlage. Die Staatsanwaltschaft spricht lapidar von einem "Schreibfehler", ein Gutachter sagt, die Gefahr eines Großbrandes habe nie bestanden.
Der Ausbruch ist da
El Masri wird in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren untergebracht, eine Therapie findet nicht statt. Monate vergehen, während er auf das Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens wartet, an dessen Erstellung er willig mitarbeitet. Am 2. September kommt es zu einem Ausbruch. Er verlangt, einen Richter, einen Staatsanwalt und einen Arabischdolmetscher zu sprechen. Er ist überzeugt, das Gutachten werde absichtlich verzögert, die Ärzte arbeiteten mit der CIA zusammen, seine medizinischen Daten würden an diese weitergeleitet. Er spricht nur noch Arabisch. Bis zum Prozessbeginn wird er in eine Justizvollzugsanstalt verlegt.
Am Ende der Verhandlung spricht Richter Götz Helms ein mildes Urteil. Er macht deutlich, dass er die Entführung nach Afghanistan nicht nur für glaubhaft hält, sondern auch für ursächlich für die Straftaten des Angeklagten. Der kann zurück zu seiner Frau und seinen mittlerweile sechs Kindern. Zurück in seine Isolation, seine Geldnot und seine Ängste.
Einmal fragt Verteidiger Gnjidic den psychiatrischen Gutachter, was geschehen könnte, wenn sein Mandant weiter allein gelassen wird. "Es besteht die Gefahr, dass hier eine wahnhafte Entwicklung stattfinden kann", lautet die Antwort. Der Anwalt will wissen, ob El Masris Seele geholfen worden wäre, wenn ihm die Bundesregierung irgendwann mal eine Entschuldigung, irgendein Zeichen des Bedauerns, der Anteilnahme hätte zukommen lassen. "Ja, sicher", sagt der Gutachter sichtlich erstaunt - als sei es dumm, etwas anderes anzunehmen.
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