Prozess gegen Journalisten in der Türkei: „Sollen wir nicht darüber reden?“
Aus den Verteidigungsreden einiger Journalisten, denen in der Türkei der Prozess gemacht wird, weil sie über geleakte Mails des Energieministers berichteten.
Am Dienstag begann der Prozess gegen sechs Journalisten, die über Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak berichteten, welche zuvor von der Hackergruppe Redhack geleakt wurden. Nun wird ihnen Terrorunterstützung vorgeworfen. Der Vorsitzende Richter in diesem Prozess heißt Mustafa Çakar – jener Richter, der auch entschied, Deniz Yücel und Meşale Tolu in Untersuchungshaft zu nehmen. Ömer Çelik, Redaktionsleiter der Nachrichtenagentur Diha, prägte den ersten Prozesstag, weil er sich auf Kurdisch verteidigte.
Die Staatsanwaltschaft forderte Çeliks Freilassung und die Fortsetzung der Haft der weiteren zwei inhaftierten Journalisten. Am Nachmittag gab das Gericht diesen Anträgen statt. Minez Bayülgen, die Partnerin des weiterhin verhafteten Öğreten sagte nach der Verhandlung: „Diese Entscheidung haben wir erwartet, sie überrascht uns nicht. Wenn es Gerechtigkeit gäbe, wären wir darüber überrascht, aber es gibt hier keine Gerechtigkeit. Ich freue mich sehr darüber, dass Ömer Çelik freigelassen wurde. Bei der Verhandlung habe ich Tunca gesehen, wir konnten reden. Auch diese Tage werden vorübergehen.“ Es folgen Auszüge aus den schriftlichen und mündlichen Verteidigungen der drei verhafteten Angeklagten:
Çelik: „Sollen wir nicht darüber schreiben, dass der König nackt ist?“
„Wie sehr die Muttersprache die Persönlichkeit eines jeden prägt, habe ich während meiner Haft etwas besser verstanden. Deshalb möchte ich mich in meiner Muttersprache, auf Kurdisch, verteidigen. Während wir in einem anderen Land vielleicht einen Preis für die Arbeit bekommen hätten, für die wir hier heute angeklagt sind, unterliegen wir in diesem Land einer Behandlung, die physische Folter und Haft einschließt. Eigentlich hätte es sein können, dass ich heute gar nicht vor Ihnen stehe. Die Polizisten, die mich gefoltert haben, haben lange Zeit und in meiner Anwesenheit darüber diskutiert, ob sie mich töten sollen oder nicht.
In der Türkei wird heute eine Politik gemacht, die von mafiösen Vorgehensweisen geprägt ist. Müssen wir gegenüber jenen, die von uns bedingungslose Fügsamkeit wollen, einknicken? Sollen wir die Augen davor schließen, dass der König nackt ist? Sollen wir nicht darüber schreiben, darüber reden? Der Staatsanwalt bezeichnet die schmutzigen Beziehungen des Ministers als ‚strategische Aktivitäten‘ und behauptet, die Informationen in den Mails seien manipuliert worden. Ich frage mich, unter welche Art ‚strategischer Aktivität‘ der Ölhandel mit dem IS fällt. Und die Inhalte der Mails wurden bis heute weder vom Energieminister noch von anderen relevanten Personen dementiert.
Für Augen, die bereit sind, zu sehen und Ohren, die bereit sind, zu hören, ist alles glasklar. Ich möchte das Gericht deshalb fragen: ‚Wissen Sie, wer die eigentlichen Schuldigen sind?‘ Weil ich weiß, dass das Gericht die Antwort kennt, fordere ich, freigelassen und freigesprochen zu werden.“
Öğreten: „Wie kann kann etwas, das 7 Milliarden Menschen wissen, ein Geheimnis sein?“
„In der Anklageschrift wird uns vorgeworfen, eine Verbindung zwischen der Regierung und dem IS hergestellt zu haben. In dem Artikel, den ich nach der Veröffentlichung der Mails geschrieben habe, findet sich kein einziger Hinweis darauf. Die Beziehung zwischen dem IS und der türkischen Regierung stellte jener Staatsanwalt her, der die Anklageschrift vorbereitet hat.
Es ist die Rede davon, dass Staatsgeheimnisse enthüllt wurden. Eine Information ist entweder ein Staatsgeheimnis oder sie ist es nicht. Der gehackte Mailaccount ist der private Account des Energieministers Albayrak. Wieso befinden sich in einem privaten Account Staatsgeheimnisse? Wie kann etwas ein Geheimnis sein, worüber 7 Milliarden Menschen Bescheid wissen? 7 Milliarden Menschen konnten diese Mails lesen und ich werde dafür angeklagt, Staatsgeheimnisse enthüllt zu haben – nur weil ich darüber berichtet habe.“
Kanaat: „Ich habe Yücel getroffen. Hätte ich stattdessen einen Metzger treffen sollen?“
„Sie werfen uns Propaganda für eine Terrororganisation vor. Das ist eine Ungerechtigkeit. Wir recherchieren und schreiben Artikel. Nachrichten werden nicht im Supermarkt verkauft. Für eine Nachricht legt ein Journalist manchmal viele Kilometer zurück, manchmal findet er seine Nachricht am Laptop. Ein Journalist arbeitet für das Recht der Bevölkerung, informiert zu werden.
Es wird gesagt, dass ich mich mit Deniz Yücel getroffen habe. Es ist sehr normal, dass sich zwei Journalisten treffen. Oder wäre es normaler, wenn ich stattdessen einen Metzger getroffen hätte?
Während der Geburt meines Sohnes konnte ich nicht bei ihm sein. Ich befinde mich seit 10 Monaten in Haft. Meine Tochter ist sieben Jahre alt, seit Tagen fragt sie weinend: „Wann kommt mein Vater zurück?“
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