Prozess gegen Epstein-Vertraute: Die Dame des Hauses

Ghislaine Maxwell, frühere Partnerin von Jeffrey Epstein, will im Prozess keine Aussage machen. Ein Urteil könnte noch vor Weihnachten fallen.

Bild eines Gerichtszeichners von Ghislaine Maxwell beim Prozess

Bild einer Gerichtszeichnerin von Ghislaine Maxwell beim Prozess Foto: Jane Rosenberg/reuters

NEW YORK taz | Ghislaine Maxwell wohnt ihrem eigenen Prozess schweigend bei. Von sich selbst gibt sie lediglich ein paar Gesten preis, die sie mehrfach die Stunde wiederholt: Sie schiebt das dunkle Haar wie einen Vorhang vor das Gesicht. Sie setzt ihre Brille auf und wieder ab. Sie nimmt einen Block und schreibt oder zeichnet. Manchmal deutet sie ein Winken mit den mittleren Fingern ihrer rechten Hand an. Als wäre sie die Gastgeberin bei einem eleganten Empfang. Und als genieße sie weiterhin das Privileg, bloß auf die Namen von Präsidenten und Prinzen, von Hollywood- und Rockstars und von Anwälten und Spitzenunternehmern in ihrem Adressbuch tippen zu müssen, um mit ihnen sprechen zu können.

Aber damit ist es vorbei. Die 59-Jährige ist allein. Ihr langjähriger Partner, Jeffrey Epstein, ist tot. Er starb einen Monat nach seiner Verhaftung in seiner Zelle. Suizid, befand die Gerichtsmedizinerin. Die Prominenten, die jahrzehntelang Maxwells Freunde waren, wollen nichts mehr von ihr wissen. Und Frauen, die den Fehler gemacht haben, ihr als Jugendliche zu vertrauen, beschreiben sie heute in Büchern und Interviews als „Ungeheuer“.

Bloß die eigene Familie hält noch zu Maxwell. Zwei aus England angereiste andere Kinder des 1991 bei einem mysteriösen Yachtunglück verstorbenen Verlegers und Labour-Politikers Robert Maxwell sitzen in der ersten Reihe des Gerichtssaals. Sie betrachten ihre jüngste Schwester als Opfer in vielfacher Hinsicht: Opfer des pädophilen Epstein, der ihr Leben ruiniert habe; Opfer der US-amerikanischen Justiz, die sie als Sündenbock nehme; und Opfer des New Yorker Gefängnisses, das sie „foltere“, weshalb sie Gewicht und Haare verliere. Die Familie hat vergeblich versucht, Maxwell gegen Kaution freizubekommen. Geld ist nicht das Problem. Vielmehr will die US-Justiz, die schon den Tod von Epstein nicht verhindert hat, weitere Risiken vermeiden. Sie sieht Fluchtgefahr.

Die Anklage gegen Maxwell wiegt schwer. Sie steht unter anderem wegen Zuhälterei und Sexhandel mit minderjährigen Mädchen vor Gericht. Sie soll für den Investmentbanker und Multimillionär Epstein, mit dem sie eine lange Beziehung hatte, die zumindest am Anfang auch eine Zweierbeziehung war, nach Mädchen gesucht haben. Die jüngsten waren erst 14. Epstein hat die Mädchen sexuell missbraucht sowie an andere Männer weitergereicht. Er transportierte die Mädchen in seiner Boeing 727 zwischen seinen Wohnsitzen in New York, New Mexico und Florida sowie Paris und auf einer Privatinsel in der Karibik hin und her.

Mindestens 100 Opfer

„Sie war die Dame des Hauses“, sagt Juan Alessi dem Gericht über seine Ex-Chefin, „sie bestimmte.“ Der 71-Jährige hat mehrere Häuser für Epstein und Maxwell gemanagt. Die Dame des Hauses verlangte von ihren Beschäftigten absolute Diskretion, dass sie den Mund halten und dass sie Augenkontakt mit Epstein vermeiden. „Ich sollte blind, taub und dumm sein“, sagt Alessi dem Gericht. David Rodgers, einer der Piloten der Boeing 727, bestätigt dem Gericht, dass Maxwell die „Nummer zwei“ in Epsteins Imperium war.

Mindestens 100, meist minderjährige, junge Frauen sind Opfer von Epstein geworden. Aber bei dem Prozess in dem Gerichtssaal in Manhattan sind nur vier von ihnen als Zeuginnen geladen. Sie nennen sich zu ihrem eigenen Schutz Jane, Kate und Carolyn. Ihre Wege in Epsteins Falle ähneln sich. Maxwell sprach sie an – mehrfach direkt vor Schulen. Und vermittelte ihnen das Gefühl, bei Leuten zu sein, die sich für ihre Ziele im Leben und ihre Berufsausbildung interessieren. Nachdem sie bei den Mädchen Vertrauen erzeugt hatte, stellte sie ihnen Epstein vor und nannte ihn einen „Philanthropen“. Manchen Mädchen riet sie, ihm zu geben, was er wolle. Andere Mädchen massierte sie für ihn, bevor sie sich zurückzog. Epstein gab den Mädchen anschließend ein paar Hundert Dollar und drohte ihnen mit Konsequenzen, falls sie über das Geschehen sprächen.

Fast alle Mädchen schwiegen. Bloß von zwei Schwestern, Maria und Annie Farmer, ist bekannt, dass sie schon 1996 in New York zur Polizei gingen. Als Annie Farmer in dieser Woche als Zeugin vor dem Gericht ist, sagt sie, dass die Ermittler damals nichts zum Schutz der beiden Teenager unternommen haben.

Namen, die nicht auftauchen

Im Jahr 2008 verpassten die US-Behörden eine weitere Gelegenheit, Epstein und Maxwell zu stoppen. Damals wurden mehrere Dutzend neue Fälle von sexueller Gewalt gegen Mädchen in Florida bekannt. Aber dem Investmentbanker gelang es erneut, sich herauszumogeln. In einer außergerichtlichen Einigung gab er Prostitution mit einer Minderjährigen zu. Dafür bekam er eine Strafe von 18 Monaten. Und das Gericht verzichtete auf weitere Ermittlungen. Wegen guter Führung kam er nach 13 Monaten wieder frei. Schon zuvor musste er nur seine Nächte im Gefängnis verbringen. Tagsüber durfte er die Investmentberatung seiner Kunden in Freiheit fortsetzen.

Bei dem New Yorker Prozess beschränkt sich die US-Justiz erneut auf einen kleinen Teil der Vorwürfe. Richterin Alison Nathan lässt keine Beweisstücke zu, die Namen von potenziellen weiteren Mitwissern, Komplizen oder Nutznießern enthalten. Die Flugprotokolle des „Lolita Express“ oder das „Black Book“ von Maxwell müssen dem Gericht mit weitgehend geschwärzten Seiten vorgelegt werden. Die Namen Bill Clinton und Donald Trump, die der Investmentbanker ebenfalls auf seine Privatinsel in der Karibik und zu Terminen in Übersee geflogen hat, tauchen nicht in dem Prozess auf. Das Gericht befasst sich auch nicht mit einer jungen Frau, die verlangt, dass neben Maxwell auch Prinz Andrew angeklagt wird. Die heute 38-jährige Virginia Roberts Giuffre behauptet, dass Maxwell und Epstein sie unter anderem zum Sex mit dem Sohn der britischen Königin genötigt haben.

Stattdessen liefert der Prozess in New York die Gelegenheit, die Opfer erneut zu beschimpfen. Die Verteidiger von Maxwell suggerieren täglich, dass es den Frauen „um das Geld“ gehe. Sie laden zusätzlich eine Psychologieprofessorin in den Zeugenstand, die erklärt, wie wenig Verlass es auf das menschliche Gedächtnis – und damit auf die Erinnerungen der Opfer – gibt. Professorin Elizabeth Loftus ist schon bei Prozessen gegen Vergewaltiger, darunter Harvey Weinstein und Bill Cosby, als Zeugin der Verteidigung aufgetreten. Ihr Honorar von 600 Dollar pro Stunde zahlt die Angeklagte.

Aussage verweigert

Die Hoffnung, dass Maxwell Einblicke in ihr Leben erlauben oder Geheimnisse über die New Yorker High Society preisgeben würde, hat sich nicht erfüllt. Die Angeklagte spricht vier Sprachen, sie hat Eliteschulen besucht und sie ist bekannt als schnelle und spritzige Person. Aber im Gerichtssaal sagt sie nichts. Ihre Stimme und ihr elitärer Oxford-Akzent ertönen nur ein einziges Mal. Am Freitag, dem letzten Tag der Zeugenaussagen, begründet sie ihr Schweigen. „Euer Ehren“, sagt sie zu der Richterin, „die Regierung hat ihren Fall nicht über einen vernünftigen Zweifel hinaus bewiesen, und daher ist es nicht nötig, dass ich aussage.“

Am Montag sollen die Schlussargumente im Prozess beginnen. Danach werden sich die Geschworenen zur Beratung zurückziehen. Zu ihrem 60. Geburtstag, am 25. Dezember, könnte Maxwell ihr Urteil kennen.

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