Prozess gegen Aktivistin Elin Ersson: Verfahren wird neu aufgerollt
Im Sommer verzögerte Elin Ersson die Abschiebung eines Afghanen. Wegen Befangenheit des Gerichts wurde das Urteil gegen sie nun aufgehoben.
Ersson war im vergangenen Sommer weltweit bekannt geworden. Am 23. Juli hatte sie auf dem Flughafen Göteborg-Landvetter den Abflug von Flug TK1800 der Turkish Airlines, Ziel Istanbul, blockiert. Sie weigerte sich, an Bord Platz zu nehmen, und erklärte in einem über Facebook verbreiteten und später 14 Millionen Mal geteilten Livestream auch, warum: Sie wolle damit die Abschiebung eines an Bord befindlichen afghanischen Flüchtlings verhindern.
Für die schwedische Staatsanwaltschaft war dieser Protest ein Verstoß gegen Kapitel 13 Paragraf 4, 10 des Luftverkehrsgesetzes. Mit ihrer Weigerung, Platz zu nehmen, habe sie den Anweisungen des Flugkapitäns „zur Ordnung an Bord“ nicht Folge geleistet und damit den Luftverkehr gefährdet. Ein Vergehen, das mit bis zu sechs Monaten Haft bestraft werden kann. So streng sah das Amtsgericht die Sache zwar nicht, verurteilt wurde Ersson dennoch: zu einer Geldbuße von umgerechnet 300 Euro.
Einer der drei Schöffen, die neben einer Berufsrichterin im Prozess zum Einsatz kamen, hatte sein ganz persönliches Urteil ohnehin schon vorab gefällt: Eine „Kriminelle“ sei Ersson, schrieb der Mann im Kommentarfeld einer rechtspopulistischen und einwandererfeindlichen Netzpublikation bereits im Juli 2018. In weiteren Kommentaren beschimpfte er verschiedene Unterstützerinnen von Ersson – darunter Malena Ernman, die Mutter von Greta Thunberg – als „Batikhexen“.
Engagement für eine humanere Gesellschaft
In Schweden werden Schöffen von den politischen Parteien benannt. Der fragliche Schöffe war von den „Schwedendemokraten“ nominiert worden. Mit seinem Voraburteil über Ersson habe er sich als befangen erwiesen, konstatierte nun das Landgericht. An der Unparteilichkeit des Mannes müsse gezweifelt werden. Laut Gerichtsprotokoll hatte er, abweichend vom Rest des Gerichts, auch eine Haftstrafe für die Aktivistin gefordert. Er wurde mittlerweile suspendiert.
Während sie nun auf einen neuen Gerichtstermin wartet, ist Ersson nicht untätig. Zuletzt nahm sie Mitte März an einer Protestaktion vor einer Flüchtlingsunterkunft in Märsta bei Stockholm teil. Unter dem Motto „No borders, no nations, stop deportations“ protestierte sie dagegen, dass Schweden ungeachtet der Sicherheitslage in Afghanistan abgelehnte Asylsuchende weiterhin in dieses Land abschiebt.
„Ich war schon immer politisch interessiert und versuche mich, so gut ich kann, für die einzusetzen, die Unterstützung benötigen“, erklärte sie in einem Interview. „Schweden braucht eine humane Flüchtlingspolitik. Ich werde mit meiner Stimme und mit meinem Handeln auch in Zukunft versuchen, die Gesellschaft so zu verändern, dass sie humaner wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich