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Provozieren in der Psychotherapie„Es geht darum, sich selbst nicht so ernst zu nehmen“

Heilen mit Witz: Der Psychotherapeut Federico Sarink erklärt, wie Humor die Symptome von Depressionen und Angststörungen lindern kann.

Wer das nicht lustig findet, kein Problem: Humor lässt sich trainieren Foto: Justin Bailie/Cavan Images/laif
Interview von Nora Noll

taz: Herr Sarink, als Psychotherapeut bringen sie Ihre Pa­ti­en­t*in­nen bewusst zum Lachen. Warum sollten wir psychischen Problemen mit Humor begegnen?

Federico Sarink: Es geht darum, die emotionale Flexibilität der Patienten zu stimulieren. Wenn Menschen Hilfe in der Psychotherapie suchen, heißt das meistens, dass sie sich zu sehr an ihre Gedankenmuster gewöhnt haben. Sie denken ständig darüber nach, was hätte passieren können, anders hätte laufen sollen, verlieren den Zugriff auf die Gegenwart: Was jetzt passiert und passieren kann.

Im Interview: Federico Sarink

Federico Sarink arbeitet als Familientherapeut in Leiden und nutzt Mittel der provokativen Therapie. Er forscht zu Humor-Interventionen im klinischen Kontext und bietet Workshops für The­ra­peu­t*in­nen an.

taz: Wie sieht diese fehlende Flexibilität aus?

Sarink: Ich denke zum Beispiel an eine Person mit geringem Selbstwertgefühl und großer Angst, zu scheitern. Jemand ohne Angststörung hat vielleicht Bedenken, um eine Gehaltserhöhung zu bitten, aber schafft es, die Angst zu überwinden und sich zu sagen: „Ja, das ist unangenehm, aber ich arbeite hier seit fünf Jahren, es ist gerechtfertigt.“ Eine sehr ängstliche Person geht diesen Schritt nicht, weil es sich kurzfristig besser anfühlt, der Angst zu glauben. Dadurch bekommt die Angststörung am Ende recht.

taz: Wie kann Humor helfen, solche Muster zu durchbrechen?

Sarink: Humor ermöglicht es, die Perspektive zu wechseln. Es geht darum, sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Der Gründer der kognitiven Verhaltenstherapie, Albert Ellis, hat gesagt: Ja, es geschehen schlimme Dinge im Leben, ernste Dinge, aber die Art, wie du mit den Erlebnissen umgehst, macht den Unterschied.

taz: Geht es in einer Therapie nicht gerade darum, Erfahrungen ernst zu nehmen und anzuerkennen?

Sarink: Wir lachen nicht über das Trauma. Wir lachen über die Konsequenzen. Erst heute habe ich mit einem Patienten telefoniert, der Angst hat, dass bald alle herausfinden, was er für ein Versager ist. Ich habe zu ihm gesagt: „Na gut, dann sind Sie eben ein Versager. Was ist daran so schlimm? Immerhin wissen Sie es.“ Da musste er lachen.

taz: Für mich klingt das so, als würden Sie sich über Ihren Patienten lustig machen.

Sarink: Ich mache mich über ein bestimmtes Verhalten von ihm lustig. Das ist eine Methode der provokativen Therapie: Ich gehe davon aus, dass viele Patienten mit ­depressiven oder Angstsymptomen einen inneren Konflikt austragen. Ich spiegele und übertreibe die dunkle Seite. Dann muss sich der ­Pa­tient verteidigen und argumentieren: Nein, ich bin doch gar kein Versager! Damit argumentiert er eigentlich gegen­ sich selbst, erkennt den eigenen inneren Konflikt und merkt: Ich will wirklich etwas ändern.

taz: Reagieren Pa­ti­en­t*in­nen darauf nicht auf mit Wut oder Ablehnung?

Sarink: Mir wurde schon einmal gesagt: „Sie sind ein Arschloch, aber das war hilfreich.“ Die meisten Menschen finden es aber witzig, wenn ich so direkt bin, und lachen dann auch über ihre eigenen limitierenden Denkmuster. Aber natürlich sind wir Therapeuten keine Comedians. Alles was wir sagen, sollte dem Patienten dienen. Das ist eines der Risiken, das in allen klinischen Studien zu Humor benannt wird: dass wir unsere Patienten nicht ernst genug nehmen. Die anderen Risiken sind, dass wir mit Witzen abwerten oder dass wir durch Humor eine Distanz schaffen, um die Probleme der Patienten von uns fernzuhalten.

taz: Andersherum kann das ja auch passieren: dass Menschen mit psychischen Problemen mittels Humor Distanz zu sich selbst schaffen und so den Zugang zu ihren Gefühlen verschließen.

Sarink: Ja, wenn jemand alles ins Komische zieht, immer nur selbstironisch über sich redet und sich über Humor selbst abwertet, dann ist es für den Patienten kein hilfreicher Humor. Aber auch dann ist es ein diagnostisches Werkzeug, dieses Verhalten zu beobachten. Wenn man die Risiken im Kopf behält, bleibt Humor in vielen Momenten der beste Icebreaker. Wenn ein neuer ­Patient zu mir ins Büro kommt, außer Atem und verschwitzt, und ich sage zum Beispiel: „Wow, Sie sind ja richtig motiviert, Sie haben das Wettrennen zur Therapie gewonnen!“, dann öffne ich damit emotional eine Tür und wir können leichter eine Verbindung aufbauen.

taz: Für Ihre Doktorarbeit wollen Sie den Nutzen von Humor in der Psychotherapie untersuchen. Wie sieht die Forschungslage aus?

Sarink: Sehr dünn. Für einen systematischen Überblick habe ich mir alle klinischen Studien zu Humor-Interventionen in meinem Feld angeschaut, es sind nur zehn und sie unterscheiden sich stark darin, wie sie Humor definieren und einsetzen. Fest steht, Humor kann die Symptome von Depressionen und Angststörungen lindern. Ich untersuche zurzeit, ob sich Humor auch positiv auf die Problemlösungskompetenz auswirkt, was wiederum mit psychologischer Flexibilität zusammenhängt.

taz: Was denken Sie, warum bisher noch nicht mehr dazu geforscht wurde? Gilt Humor als unprofessionell?

Sarink: Einerseits ist es schwierig, Humor systematisch zu erfassen und zu definieren. Gleichzeitig nehmen sich in der klinischen Psychologie viele Leute einfach viel zu ernst. Wir Therapeuten wollen immer den Prototypen des helfenden Engels entsprechen. Aber erst kürzlich sagte ein Pa­tient zu mir: „In meiner früheren Therapie war alles so ernst, das hat mich fast noch depressiver gemacht.“ Wenn wir alles nur ernst nehmen, laufen wir auch selbst Gefahr, in einen Strudel der Negativität zu geraten. Mit etwas Humor können wir Leichtigkeit in die Sitzungen bringen und es auch für uns angenehmer machen.

taz: Sie bieten Workshops zum Konzept der provokativen Therapie an. Dabei sollen The­ra­peu­t*in­nen unter anderem lernen, Humor als Werkzeug zu nutzen. Aber was, wenn sie einfach nicht witzig sind?

Sarink: Humor ist überall, in ganz alltäglichen Situationen. Oft heißt es ja, man hat entweder einen Sinn für Humor oder nicht, aber das stimmt nicht, man kann es trainieren. Und wenn man im Alltag auf witzige Situationen achtet, dann kann man irgendwann auch in Stressmomenten oder Konflikten immer noch das Komische sehen. Das bringe ich Psychotherapeuten bei, denn wenn sie im Alltag einen Zugang zu Humor haben, können sie das auch beruflich anwenden. Am besten wäre es, alle Menschen dazu anzuregen, ihren Sinn für Humor zu nutzen und damit depressiven und Angstgefühlen vorzubeugen. Das ist dann auch viel billiger, als eine wöchentliche Therapiestunde zu bezahlen.

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