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Protzpalast und Missionsstation

Südafrika hat viele Seiten und unversöhnliche Gegensätze: Der Prunk im künstlichen Unterhaltungsparadies Sun City und in der Luxussuite schärft manchmal die Sinne für das Aidsdrama und für die Armut, nicht weit vom Protzhotel entfernt

von BERND MÜLLENDER

„Sie möchten mal schauen?“ Natürlich, bevor einem das Zimmer nicht gefällt oder das Preis-Leistungs-Verhältnis eine Unwucht hat. Also zeigt Lucas. Und er zeigt viel. Schon in Quadratmetern. 330 davon hat die „African Suite“. Dazu kommt noch eine Terrasse mit Rundumsicht von gut 200 Quadratmetern, bewachsen mit einem kleinen privaten Urwald. Am Horizont in der warmen Nachmittagssonne ein großer See, weiter vorne die Südseebadelandschaft. Künstlich? „We made it“, sagt Lucas.

Doch, sehr schön alles. Knapp 8.000 Mark kostet die Nacht all inclusive, der Privatsekretär rund um die Uhr gehört übrigens dazu. Die Wände der hallenhaften Räume sind mit edlem Reispapier bespannt, 300 Mark habe das pro laufenden Meter gekostet, sagt Lucas, und die im Zimmer reichlich verteilten Bilder und Figuren seien „alles Originale von südafrikanischen Künstlern“. Wir begehen den, so Lucas, „little small bathroom“. Manche Sozialwohnung in Deutschland ist kleiner.

„The Palace“ heißt das Hotel. „The Palace of the Lost City“ mitten in der Wüste, im ehemaligen Homeland Boputatswana, wo 1979 die Vergnügungsoase Sun City eröffnet wurde. In unserem Besichtigungsobjekt oben im 4. Stock hat Elton John schon manches Mal logiert, berichtet Lucas. Und Nelson Mandela, es sei dies „seine Lieblingssuite im ganzen Land“. Und Hillary Clinton, als sie 1994 zu den ersten freien Wahlen Südafrikas da war. Zu großen politischen Anlässen ist Sun City ein ideales Basiscamp: gut abzusichern, relative Ruhe, nur um die 150 Kilometer bis Johannesburg oder Pretoria. Da ist man schnell mit dem Helicopter.

Ende der Suitentour. Denn die Königssuite sei heute „belegt, unglücklicherweise“. Welcher König? „Kein König“, sagt Lucas, „nur ein Geschäftsmann mit einer Menge Geld. Glücklicherweise.“ Der muss knapp 12.000 Mark die Nacht hinlegen, hat dafür zwei Stockwerke und handbemalte Decken. Beruhigend: In den vier Hotelsuiten wie auch in unseren Billigzimmern unten (Listenpreis: nicht mal 1.000 Mark die Nacht) gibt es die gleichen hässlichen Kugelschreiber, die gleichen Wassergläser und die gleichen vergoldeten Armaturen im Bad.

Szenenwechsel. Eine knappe Autostunde von Durban in der Provinz KwaZulu-Natal landeinwärts. Zuckerrohrarbeiter am Straßenrand. Die Felder werden zunächst abgeflämmt. Dann müssen die Schwarzen in ihren weiten schwarzen Schutzanzügen in die abgebrannten Felder. Ein unvorstellbarer Drecksjob. 250 Mark im Monat verdienen sie. Oben am Ende der Staubpiste liegt Ecophangeni, Missionsstation und Krankenhaus der Franziskaner. Die Elendesten der Elenden haben Aids im Endstadium.

In Ecophangeni arbeitet zum Beispiel Father John (51), der geistliche Chef. Dazu diverse einheimische Helfer und drei deutsche Schwestern, darunter Schwester Michaela (64), seit über 30 Jahren am Kap, eigentlich aus dem westfälischen Kirchhellen. Drumherum wohnt das Aidsvirus, überall. KwaZulu-Natal ist im betroffensten Kontinent die Provinz des betroffensten Landes mit der höchsten Aidsrate: 30 Prozent der jungen Generation, sagen vorsichtige Schätzungen, haben das tödliche Virus in sich.

„Wir tun, was wir tun können“, sagt Schwester Michaela. Es sind kleine Tröpfchen der Fürsorge. Die Patienten, erzählt Michaela, wissen oft wenig über die Krankheit, zudem wird sie schamvoll verdrängt und mit Mythen noch weiter gefüttert: Staatspräsident Mbeki glaubt, die Krankheit breite sich nicht durch Sexualkontakte, sondern durch Armut aus. Viele infizierte Männer glauben, Sex mit einer Jungfrau bringe Heilung. Und schreiten zur Tat. Im Wartezimmer hängen Plakate der südafrikanischen Bischöfe, die den geschützten Geschlechtsverkehr propagieren. Mit Schwester Michaela lässt sich über Abtreibung und Kondome reden. Die Kranken, erzählt sie und zeigt in der saftig grünen Hügellandschaft Richtung Horizont, kommen oft von weit her. Manche seien einen Tag unterwegs. „Und manchmal, wenn sie selbst nicht mehr laufen können, müssen Verwandte sie stundenlang in der Schubkarre herschieben.“

In der kleinen Kapelle wird zum Abendgottesdienst gesungen. Rund um die Station begegnen einem die freundlichsten Menschen, die man sich vorstellen möchte. Ein kleines Idyll. An der Ecke hält im Zweistundenrhythmus der Bus nach Durban; lachende Schwarze quellen raus, andere rein. „Um Gottes Willen“, sagt Father John, „bloß nicht mit dem Bus zurück. Warum das Abenteuer provozieren?“ Sicher sei es für den Besucher eine Stunde authentisches Südafrika. Aber man wisse nie. „Heute ist Freitag. Heute gibt es Lohn. Dann wird mehr getrunken als sonst.“ Und die Endstation sei irgendwo im Township. „Da wartet kein Taxi.“ Schließlich macht Schwester Michaela die Taxifahrerin – ein schwarzer Missionsmitarbeiter muss mitfahren, als starker Mann für den Rückweg durch die Dunkelheit. Man weiß in Südafrika heute nicht, was ausgeprägter ist: die Kriminalität oder die Angst vor Kriminalität.

Unten vor der Küste glitzert die Millionenmetropole Durban. Weiter nordwestlich ist das Badeparadies der Weißen: Margate, Ramsgate, dahinter das East Cape mit Port Edward. Orte, die vertraut nach England klingen. Hier kann man in der Southbroom Lodge den leckersten Straußenbraten essen. Oder in der wundervollen Wailana Lodge logieren. Der schöne obere Durchschnitt – aus unserer Sicht. Die Vorstufe des Wahnsinns – aus normaler schwarzer Sicht.

Zurück zum Wahnsinn selbst. Das Palace in Sun City ist nicht nur ein Palasthotel von gigantischen Ausmaßen mit minarettartigen Türmen, steinernen Urwaldriesen, handgemalten Wildlife-Fresken im Foyer und demonstrativem Prunk hinter jeder Ecke. Es ist vor allem ein künstlicher Mythos aus Stein, gebaut 1992, inmitten der Wende am Kap. Es lässt sich „ungewöhnlichstes Hotel der Welt“ nennen, weil es der auf alt gestylte Nachbau einer vor Jahrhunderten untergegangenen Legendenstadt sein will. Deshalb „Lost City“. Das Palace ist ein potemkinscher Palast mit angegliedertem Golfplatz, wo man über einen Teich mit monströsen Krokodilen schippern muss („Hindernisse, die zurückbeißen“). Wo am „Grand Pool“ gerade die Schönen des Landes (alle Hautfarben) für die Wahl zur Miss South Africa den Fotografen entgegenposen. Wo im benachbarten Kunstdschungel zu jeder vollen Stunde ein albernes künstliches Erdbeben mit einer wackelnden Brücke für Schrecken und schaurige Untergangsstimmung sorgen will. Wo rund ums Palace die Illusion von Sümpfen, Tarantula- und Scorpion-Park, von Nilpferdhöhle, Tempeln und Goldminen wirken will. Gebaut hat die Anlage der südafrikanische Hotelier Sol Kerzner (66). Der Multimillionär sagt: „Mein Hauptproblem ist mein Erfolg“, und trägt stolz den Spitznamen „Vater Morgana“. Auch Sandra, eine Farbige Mitte 30, hat es geschafft. Sie ist Prominentenbetreuerin im Palace Hotel. Früher war sie Sekretärin, dann kam das Ende der Apartheid. „Wenn du immer dranbleibst, hat du auch als Coloured oder Schwarzer eine Chance in diesem Südafrika. Du musst lernen, arbeiten, lernen, arbeiten und darfst nie aufgeben.“ Sie erzählt schneller, als die künstlichen Wasserfälle in Sun City rauschen können, immer wieder ihr „Never give up!“. Als sei ihre Glückskarriere typisch für die Durchlässigkeit der südafrikanischen Gesellschaft.

Und Sandra erzählt von Michael Jackson. Auch ein Farbiger. Auch einer, der es geschafft hat. Der schon häufiger in der Superbowl von Sun City aufgetreten ist (wie so viele Stars seit 1979 für horrende Gagen, um der Welt die Normalität des Burenstaates vorzugaukeln) und den sie hier schon mehrfach betreut hat. Einmal einen ganzen Monat lang. Lange, sagt Sandra, habe sie sich immer wieder mit ihm unterhalten. „Das ist eigentlich ein ganz armer Kerl“, sagt sie mitfühlend, „er muss heute seine Kindheit nachholen, die er nie hatte, weil er nur auf der Bühne stand.“ Eigentlich sei Jackson „sogar richtig nett“.

Auch Südafrika ist immer anders. Es hat viele Gesichter und Fratzen. Und viele Images. Nachhilfe gibt es an unserem letzten Tag momenteweise. Weil der Autobahnring um Johannesburg auf dem Weg zum Rückflug verstopft ist, wählt der Busfahrer kurzentschlossen einen Schleichweg. Mitten durch die Wellblechwüste eines Township, mit unzähligen schwarzen Kindern am Straßenrand. Ein paar Minuten Staunen und Aufregung auf beiden Seiten der Scheiben. Wenigstens hat keiner der Touristen im Bus Fotos gemacht.

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