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Proteste junger Geflüchteter in BremenVermessene Praxis

In Bremen protestieren junge Geflüchtete gegen die Altersfeststellung und gegen ihre Unterbringung in Metall-Zelt-Konstruktionen am Rande der Stadt.

Fragwürdige Befragung: Geflüchtete stellen Verfahren zur Altersfeststellung nach Foto: Gareth Joswig

BREMEN taz | Die letzten Tage waren die Hölle. Immer noch sind die Bewohner der Notunterkunft Gottlieb-Daimler-Straße am Rande Bremens in ihren Metall-Zelt-Konstruktionen unter widrigsten Bedingungen untergebracht. Dass die Sozialbehörde zwar eine Schließung der unmenschlichen Einrichtung im Winter versprochen hat, hilft nicht bei Temperaturen von über 40 Grad in den Metallhütten. Deshalb demonstrieren die etwa 90 Bewohner*innen der Gottlieb-Daimler-Straße weiter: Für die sofortige Schließung ihrer unerträglichen Unterbringung und gegen die aus ihrer Sicht menschenrechtsverletzende Praxis der Altersfeststellung.

Die Bremer CDU-Fraktion hat am Mittwoch in der Bürgerschaft einen Antrag zur verbindlichen Einführung von medizinischen Altersfeststellungen gestellt, obwohl Verfahren wie Röntgenuntersuchungen von Knochen und Weisheitszähnen als unwissenschaftlich gelten. Die Bundesärztekammer hielt Ärzt*innen ausdrücklich dazu an, medizinisch nicht indizierte Röntgenuntersuchungen nicht durchzuführen – weil diese die Menschenwürde verletzten und zudem nicht in der Lage seien, das Alter festzustellen. Nach einer kontroversen Debatte wurde der CDU-Antrag abgelehnt – neben der Union stimmten nur die FDP, AfD und Bürger in Wut dafür.

Im Norden führt lediglich der Rechtsmediziner Klaus Püschel am Uni-Klinikum Eppendorf in Hamburg solche Altersfeststellungen durch. Deswegen verweist auch das Jugendamt in Bremen „im Zweifel“ junge Geflüchtete nach Hamburg. Denn nach Angaben der Sozialbehörde veranlasst das Jugendamt bei Zweifeln an einer Altersangabe bereits eine solche medizinische Untersuchung – gemäß der geltenden Rechtslage.

Wie entwürdigend das sein kann, wissen insbesondere diejenigen, die heute vor dem Bremer Landtag protestieren: Die jungen Geflüchteten wurden alle von der Sozialbehörde in eine Unterkunft in einem Industriegebiet am Rande Bremens gesteckt, weil sie ihrer Altersfeststellung widersprochen hatten. Die „qualifizierte“ Altersfeststellung des Jugendamtes ergab bei ihnen, dass die jungen Geflüchtete Erwachsene seien – obwohl die papierlosen Betroffenen darauf bestehen, minderjährig zu sein. Solange Widersprüche und Klagen gegen die Altersfestsetzung laufen, sind sie in der unwirtlichen Zeltstadt neben einem Stahlwerk untergebracht.

Moderne Körpervermessung

Aus einem Ablehnungsbescheid nach einer „qualifizierten Inaugenscheinnahme“ durch zwei Mitarbeiter*innen des Jugendamtes:

„Sie besitzen deutliche umlaufende Halsfalten und einen Kehlkopf, der deutlich ausgeprägt ist. Sie haben eine Armbehaarung, die bis auf den Handrücken verläuft und gut sichtbar ist. Sie haben einen sehr deutlichen Bartschatten an der Oberlippe, am Kinn und an den Wangen bis hoch zu den Koteletten trotz scharfer Rasur. Sie besitzen ein grobporiges Hautbild, die Spuren von vernarbter Akne aufweist, markante, breite Kinnpartie, hohe Wangenknochen und gut sichtbare Naso-labial-Falten. Sie besitzen große, kräftige, adrige Handinnenflächen, die wenig beansprucht wirken.“

Diese äußeren Körpermerkmale wie das zudem reife, freundliche Verhalten und die gewissenhaften und reflektierten Antworten während der Befragung hätten dazu geführt, dass für die Mitarbeiter des Amts keine Zweifel bestehen, „dass Sie eindeutig volljährig sind. Daher wird für Sie das fiktive Geburtsdatum 1999 festgelegt.“ (Quelle: „Shut down Camp Gottlieb-Daimler-Straße“)

Viele der Jugendlichen klagen gegen Altersfeststellungen, nicht selten mit Erfolg, wie einer ihrer Anwälte im taz-Interview berichtete. Die Sozialbehörde spricht davon, dass in Folge von Gerichtsentscheidungen ein Viertel in der Jugendhilfe verbleiben, weil nicht nachgewiesen werden könne, dass der Jugendliche erwachsen sei.

Die Unterbringung in der Gottlieb-Daimler-Straße ist aus Sicht der Betroffenen reine „Schikane“, weil sie es wagten zu widersprechen. Seit einigen Wochen suchen die etwa 90 jungen Geflüchteten mit Demos die Öffentlichkeit, um gegen ihre Unterbringung und Einstufung als Erwachsene zu protestieren.

Wie absurd und unwissenschaftlich dabei eine solche Altersfeststellung im Jugendamt ist, führen die jungen Geflüchteten während ihrer 24-stündigen Protestaktion vor der Bürgerschaft in einer Performance auf: Ein junger Sambier, höchstens 1,70 m, kindliche Gesichtszüge, große Drahtbrille auf der Nase, sitzt im Jugendamt. Mit Hilfe eines Dolmetschers macht der Sozialarbeiter des Jugendamtes klar, dass er zunächst fotografiert werden soll. Zwei „Mug­shots“ werden erstellt, einer von vorne, eines von der Seite. Sie erinnern an Polizeifotos aus amerikanischen Action-Filmen.

Danach darf der Jugendliche sich setzen und muss unzählige Fragen beantworten: Woher und durch welche Länder ist er gekommen? Kann er schreiben? Kann er beweisen, dass er ­schreiben kann? Wo ging er zur Schule? Durch welche Länder ist er geflüchtet? Warum ist er in Deutschland? Was will er hier? Er beantwortet die Fragen, ruhig und sachlich: Er ist gekommen wegen Armut und Perspektivlosigkeit, kann zudem schlecht sehen, fand in seiner Heimat keine angemessene ärztliche Behandlung.

Eine ärztliche Behandlung bekommt er dann vom Jugendamt: Plötzlich ist der abgeniedelte Tisch und der olle Scanner auf dem Marktplatz ein Behandlungszimmer. Zwei andere Geflüchtete spielen in weißen Kitteln die deutschen Ärzte, die eine Altersfeststellung durchführen wollen. Zwei Ärzte begutachten den Jugendlichen: „Hallo, ich bin Dr. Bremen“, sagt einer. Sie schauen kurz in den Mund des Jugendlichen, legen seine Hand auf den Scanner – die angeblich wissenschaftliche Zahnuntersuchung und eine Röntgenuntersuchung der Handknochen. „Wie war nochmal der Name?“, stellt sich der Arzt vor.

Eine absurde Inszenierung

Es ist eine absurde Inszenierung und eine Form von Verarbeitung und Selbstermächtigung. Das Ergebnis erfährt der junge Mann schließlich wieder im Jugendamt: „Sie sind 19 Jahre alt.“ – „Nein, ich bin 16.“ – „Doch, das müssen Sie akzeptieren, wir sind hier immer noch in Deutschland.“

Die Realität ist tatsächlich entwürdigend, wie aufgestellte Pappwände mit Dokumentationen von Altersbestimmungen des Jugendamtes belegen. Ausgestellt sind dort auch ablehnende Bescheide (siehe Kasten), die unter anderem anhand körperlicher Merkmale und Verhalten den Geflüchteten als Erwachsen einstufen.

Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) ging vor der Debatte zu den protestierenden Geflüchteten, um mit ihnen zu sprechen. Sie versprach erneut, sich so schnell wie möglich um die „nicht optimale“ Unterbringung in der Gottlieb-Daimler-Straße zu kümmern. Deutlich sei sie gegen den CDU-Antrag, alle minderjährigen Geflüchteten medizinisch zu untersuchen, aber sie verteidigte dennoch die derzeitige Praxis des Jugendamtes.

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12 Kommentare

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  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Ich muss, wenn ich einen neuen Pass brauche, mein Alter auch mit Geburtsurkunde nachweisen. Wo ist das Problem? Es ist doch wohl die Bringschuld des Asylbewerbers, sein Alter nachzuweisen, zumal wenn davon Folgeleistungen abhängig sind. Was daran menschenunwürdig sein soll, ist mir ein Rätsel. Vielleicht flieht man dann doch besser in ein anderes Land, wo es würdiger zugeht? Warum tut es aber kaum jemand? Warum gibt es Widerstand, wenn jemand nach Italien oder Norwegen abgeschoben werden soll?

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Das dein Alter hier feststeht ist ein Geschenk. Stell dir vor, du hättest nicht zur Schule gedurft, weil einer deiner Lehrer behauptet, du benimmst dich zu volljährig.

      Ein Pass kann natürlich entsorgt werden. Oder man verliert ihn. Oder man hatte nie einen. Oder man konnte sich keinen leisten... oder oder.......

      Aber bovor jemanden eine Unterschlagung unterstellt werden kann, gibt es die Beweispflicht DES STAATES! Die Unschuldsvermutung ist immer noch menschlich bindend. Nicht du bist in der Beweispflicht. Und das ist gut so!

      Eine Röntgenuntersuchung ist hingegen nicht nur ein medizienisch unnötiger Eingriff in die Grsundheit und deshalb Verfassungswiedrig. Sie ist zu dem auch ungenau. Das Gesetzliche Alter ist dem biologischen nicht gleich. Da aber alle Menschen nach dem Gesetz gleich sind, ist eine Normierung zu treffen. Ich wünschte, eine genaue Altersuntersuchung sei möglich. Bis sie es ist, gilt aber: Ein Minderjähriger, dem nichts anderes einwandfrei nachgewiesen ist, hat in die Schule zu gehen und gehört unterstützt!

      Liebe Grüße und die Hoffnung, euer alter steht fest. Wir wollen ja nicht daran zweifeln ;)

      • @Gionny:

        Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Nicht der Staat ist in der Beweispflicht, sondern der Antragssteller, denn er wünscht sich eine Leistung für sich. Wenn ich morgen Kindergeld beantrage, muß ich nachweisen, daß ich Kinder habe, wenn ich einen Behindertenausweis will, muß ich ein medizinisches Gutachten vorzeigen, wenn ich H4 will, muß ich nachweisen, daß ich weder über Vermögen, noch Einkommen verfüge. Wenn ich Leistungen haben will, die für Minderjährige vorgesehen sind, muß ich nachweisen, daß ich minderjährig bin.

  • 8G
    87546 (Profil gelöscht)

    Was für ein Theater weger der Röntgenuntersuchung. Meine Kinder mussten wegen einer Wachstumsuntersuchung (Knochenalterbestimmung) bereits 2-3-mal in ihrem Leben zu so einer Untersuchung. Wenn Leute ohne Alternsnachweis zu uns kommen und glaubhaft einen Bleibegrund nachweisen können, dann sollte man auch mit medizinischen Methoden wie Röntgenuntersuchung und Zahnuntersuchung (die beide etabliert sind!) und ggf. auch mit Handyauswertung deren Identität und Alter möglichst zweifelsfrei festststellen dürfen. Kein Elternteil will bspw. dass seine 15/16-jährige Tochter mit einem jungen Mann anbändelt, der vielleicht bereits 20-22 Jahre alt ist, was zudem verboten wäre.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Wenn ich in einem Land leben möchte und dazu noch ohne Papiere komme, dann richte ich mich nach den dortigen Regeln. Punkt.

    Eine Altersfeststellung per Röntgenaufnahme der Hand ist sehr wohl möglich. Ich weiss das aufgrund der Röntgenaufnahme, bei einem Kind, einer befreundeten Familie. Dort wurde anhand der Aufnahme festgestellt, in welchem Alter, er wie groß sein wird. Damit würde damals eine vermutete Wachstumsstörung ausgeschlossen. Das war vor 40 Jahren und heute hat sich die Erkennung sicherlich verbessert.

    Dieses ganze Gedöns ist lachhaft und stärkt den Verdacht, dass betrogen werden soll.

  • Die im Text genannten Personen verlangen besonderen Schutz und Versorgung, sind aber nicht bereit, am Nachweis dieser besonderen Schutzbedürftigkeit mitzuwirken. Man möge ihnen doch einfach glauben.

    In Dänemark waren etwas mehr als 70% der "Minderjährigen" nicht minderjährig und dabei wird im Zweifelsfall sogar zu Gunsten des Antragstellers entschieden.

    Diese Anspruchshaltung geht mir zunehmend auf die Nerven, Deutschland tut nicht gerade wenig für all die Leute, für die nach geltender Rechtslage andere Staaten zuständig wären (z.B. der erste sichere Staat, der betreten wird)

  • Die Einwände gegen die Altersfeststellung sind einfach lachhaft.

    Der Mehraufwand für Minderjährige rechtfertigt eine harmlose Röntgenuntersuchung.

     

    Wer beispielsweise als Freizeitkicker in der Kreisliga C gegen Hansaplast Krückstock und Holzbein Kiel antritt, ist auch Arztbesuche mit Röntgenaufnahmen gewohnt.

     

    Außerdem soll eine Röntgenuntersuchung kein Alter auf den Tag genau feststellen, sondern nur, ob der Betroffene über oder unter 18 Jahre ist.

     

    Einen Asylantrag mit Armut, Perspektivlosigkeit und mangelnder Sehkraft zu begründen ist des Weiteren unverschämt denen gegenüber, die tatsächlich verfolgt, gefoltert oder bedroht wurden. Wahrscheinlich ist das einfach eine Wissenslücke auf Seiten der oben genannten Antragsteller (Der Begriff "Geflüchteter" trifft ja hier offensichtlich nicht zu!).

    • @FrankUnderwood:

      Wenn die Altersfeststellung unwissenschaftlich ist, was will man dann damit beweisen oder klarstellen? Es ist immer noch nicht mehr als eine Schätzung. Schätzen aber reicht im Grunde nicht und warum sollte sich jemand röntgen lassen, der nicht krank ist oder sich etwas gebrochen hat?

      An welcher Stelle ist es denn relevant, ob jemand 17,5 Jahre ist oder 18,5 Jahre, vor allem weil man das nicht mal sagen kann mit den Methoden? Die Altersfeststellung ist nichts weiter als eine Nebelkerze zur Befriedigung der Wutbürger. In meinen Augen ist Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit natürlich ein Grund zu flüchten. Wenn hier jemand unverschämt ist, dann sind Sie das in meinen Augen.

      • @Enrico Wenzke:

        Ein grobe Schätzung (U18 oder Ü18) ist für das Verfahren völlig ausreichend. Außerdem werden neben medizinischen Verfahren auch mündliche Befragungen eingesetzt.

         

        Die Betreuung minderjähriger Flüchtlinge ist in Deutschland umfassend und liegt deutlich über dem Durchschnitt anderer Länder. Leider müssen wir davon ausgehen, dass viele beim Alter nicht die Wahrheit sagen. Beispiele hierfür gibt es zuhauf in diversen Berichten deutscher Leitmedien.

         

        Seit zweieinhalb Jahren gibt es in Deutschland einheitliche Regeln für die Altersfeststellung. Wenn die zuständigen Jugendämter Zweifel anmelden, ist der Arztbesuch nun mal notwendig.

         

        Wieso denken Sie eigentlich, dass die oben genannten Antragsteller Asyl erhalten werden? Wenn Sie die Asylgesetze mal aufmerksam gelesen hätten, wäre Ihnen doch klar, dass die voraussichtlich abgelehnt werden.

         

        Es gibt kein Gesetzbuch, dass ein Recht auf ein besseres Leben als Menschenrecht definiert! Es gibt kein Recht auf globale Migration.

         

        Sie können sich mit den Fakten auseinandersetzen oder mich ganz bequem als unverschämt betiteln, mir egal. Schönen Abend noch.

      • @Enrico Wenzke:

        Gute Fluchtgründe gibt es viele, legitime Anlässe für Migration noch mehr, aber nur nur politisch Verfolgte genießen Asylrecht!

        Butter bei die Fische und ein vernünftiges Einwanderungsrecht geschaffen, sonst wird das alles nix!

      • 9G
        98589 (Profil gelöscht)
        @Enrico Wenzke:

        es ist sehr wohl ein großer Unterschied ob jemand 17.5 oder 18,5 Jahre alt ist.

        Als minderjähriger Jugendlicher erhält er höhere Sozialleistungen und hat Anspruch auf Familiennachzug.

        • 8G
          87546 (Profil gelöscht)
          @98589 (Profil gelöscht):

          Möglicherweise hat eine solche Person dann ja auch die Möglichkeit, zweifelsfrei das exakte Alter nachzuweisen. Auch in Afrika gehen die meisten Kinder wenigstens in eine Art Grundschule ö.ä. oder könnten andere Nachweise liefern, sofern sie einen Familiennachzug in Anspruch nehmen wollten.