Proteste junger Geflüchteter in Bremen: Vermessene Praxis
In Bremen protestieren junge Geflüchtete gegen die Altersfeststellung und gegen ihre Unterbringung in Metall-Zelt-Konstruktionen am Rande der Stadt.
Die Bremer CDU-Fraktion hat am Mittwoch in der Bürgerschaft einen Antrag zur verbindlichen Einführung von medizinischen Altersfeststellungen gestellt, obwohl Verfahren wie Röntgenuntersuchungen von Knochen und Weisheitszähnen als unwissenschaftlich gelten. Die Bundesärztekammer hielt Ärzt*innen ausdrücklich dazu an, medizinisch nicht indizierte Röntgenuntersuchungen nicht durchzuführen – weil diese die Menschenwürde verletzten und zudem nicht in der Lage seien, das Alter festzustellen. Nach einer kontroversen Debatte wurde der CDU-Antrag abgelehnt – neben der Union stimmten nur die FDP, AfD und Bürger in Wut dafür.
Im Norden führt lediglich der Rechtsmediziner Klaus Püschel am Uni-Klinikum Eppendorf in Hamburg solche Altersfeststellungen durch. Deswegen verweist auch das Jugendamt in Bremen „im Zweifel“ junge Geflüchtete nach Hamburg. Denn nach Angaben der Sozialbehörde veranlasst das Jugendamt bei Zweifeln an einer Altersangabe bereits eine solche medizinische Untersuchung – gemäß der geltenden Rechtslage.
Wie entwürdigend das sein kann, wissen insbesondere diejenigen, die heute vor dem Bremer Landtag protestieren: Die jungen Geflüchteten wurden alle von der Sozialbehörde in eine Unterkunft in einem Industriegebiet am Rande Bremens gesteckt, weil sie ihrer Altersfeststellung widersprochen hatten. Die „qualifizierte“ Altersfeststellung des Jugendamtes ergab bei ihnen, dass die jungen Geflüchtete Erwachsene seien – obwohl die papierlosen Betroffenen darauf bestehen, minderjährig zu sein. Solange Widersprüche und Klagen gegen die Altersfestsetzung laufen, sind sie in der unwirtlichen Zeltstadt neben einem Stahlwerk untergebracht.
Aus einem Ablehnungsbescheid nach einer „qualifizierten Inaugenscheinnahme“ durch zwei Mitarbeiter*innen des Jugendamtes:
„Sie besitzen deutliche umlaufende Halsfalten und einen Kehlkopf, der deutlich ausgeprägt ist. Sie haben eine Armbehaarung, die bis auf den Handrücken verläuft und gut sichtbar ist. Sie haben einen sehr deutlichen Bartschatten an der Oberlippe, am Kinn und an den Wangen bis hoch zu den Koteletten trotz scharfer Rasur. Sie besitzen ein grobporiges Hautbild, die Spuren von vernarbter Akne aufweist, markante, breite Kinnpartie, hohe Wangenknochen und gut sichtbare Naso-labial-Falten. Sie besitzen große, kräftige, adrige Handinnenflächen, die wenig beansprucht wirken.“
Diese äußeren Körpermerkmale wie das zudem reife, freundliche Verhalten und die gewissenhaften und reflektierten Antworten während der Befragung hätten dazu geführt, dass für die Mitarbeiter des Amts keine Zweifel bestehen, „dass Sie eindeutig volljährig sind. Daher wird für Sie das fiktive Geburtsdatum 1999 festgelegt.“ (Quelle: „Shut down Camp Gottlieb-Daimler-Straße“)
Viele der Jugendlichen klagen gegen Altersfeststellungen, nicht selten mit Erfolg, wie einer ihrer Anwälte im taz-Interview berichtete. Die Sozialbehörde spricht davon, dass in Folge von Gerichtsentscheidungen ein Viertel in der Jugendhilfe verbleiben, weil nicht nachgewiesen werden könne, dass der Jugendliche erwachsen sei.
Die Unterbringung in der Gottlieb-Daimler-Straße ist aus Sicht der Betroffenen reine „Schikane“, weil sie es wagten zu widersprechen. Seit einigen Wochen suchen die etwa 90 jungen Geflüchteten mit Demos die Öffentlichkeit, um gegen ihre Unterbringung und Einstufung als Erwachsene zu protestieren.
Wie absurd und unwissenschaftlich dabei eine solche Altersfeststellung im Jugendamt ist, führen die jungen Geflüchteten während ihrer 24-stündigen Protestaktion vor der Bürgerschaft in einer Performance auf: Ein junger Sambier, höchstens 1,70 m, kindliche Gesichtszüge, große Drahtbrille auf der Nase, sitzt im Jugendamt. Mit Hilfe eines Dolmetschers macht der Sozialarbeiter des Jugendamtes klar, dass er zunächst fotografiert werden soll. Zwei „Mugshots“ werden erstellt, einer von vorne, eines von der Seite. Sie erinnern an Polizeifotos aus amerikanischen Action-Filmen.
Danach darf der Jugendliche sich setzen und muss unzählige Fragen beantworten: Woher und durch welche Länder ist er gekommen? Kann er schreiben? Kann er beweisen, dass er schreiben kann? Wo ging er zur Schule? Durch welche Länder ist er geflüchtet? Warum ist er in Deutschland? Was will er hier? Er beantwortet die Fragen, ruhig und sachlich: Er ist gekommen wegen Armut und Perspektivlosigkeit, kann zudem schlecht sehen, fand in seiner Heimat keine angemessene ärztliche Behandlung.
Eine ärztliche Behandlung bekommt er dann vom Jugendamt: Plötzlich ist der abgeniedelte Tisch und der olle Scanner auf dem Marktplatz ein Behandlungszimmer. Zwei andere Geflüchtete spielen in weißen Kitteln die deutschen Ärzte, die eine Altersfeststellung durchführen wollen. Zwei Ärzte begutachten den Jugendlichen: „Hallo, ich bin Dr. Bremen“, sagt einer. Sie schauen kurz in den Mund des Jugendlichen, legen seine Hand auf den Scanner – die angeblich wissenschaftliche Zahnuntersuchung und eine Röntgenuntersuchung der Handknochen. „Wie war nochmal der Name?“, stellt sich der Arzt vor.
Eine absurde Inszenierung
Es ist eine absurde Inszenierung und eine Form von Verarbeitung und Selbstermächtigung. Das Ergebnis erfährt der junge Mann schließlich wieder im Jugendamt: „Sie sind 19 Jahre alt.“ – „Nein, ich bin 16.“ – „Doch, das müssen Sie akzeptieren, wir sind hier immer noch in Deutschland.“
Die Realität ist tatsächlich entwürdigend, wie aufgestellte Pappwände mit Dokumentationen von Altersbestimmungen des Jugendamtes belegen. Ausgestellt sind dort auch ablehnende Bescheide (siehe Kasten), die unter anderem anhand körperlicher Merkmale und Verhalten den Geflüchteten als Erwachsen einstufen.
Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) ging vor der Debatte zu den protestierenden Geflüchteten, um mit ihnen zu sprechen. Sie versprach erneut, sich so schnell wie möglich um die „nicht optimale“ Unterbringung in der Gottlieb-Daimler-Straße zu kümmern. Deutlich sei sie gegen den CDU-Antrag, alle minderjährigen Geflüchteten medizinisch zu untersuchen, aber sie verteidigte dennoch die derzeitige Praxis des Jugendamtes.
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