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Proteste in der UkraineDie Wut der geprellten Sparer

Tausende Rentner demonstrieren am Dienstag im Zentrum von Kiew gegen Korruption. Viele werden für ihren Einsatz bezahlt.

Aufgebrachte Rentnerin bei einer Straßenblockade im Zentrum von Kiew am 3. November Foto: ap

Kiew taz | Mit Rufen wie „Eine Gefängnispritsche für Gontarewa“ und „Banditen haut ab!“ zogen am Dienstag über fünftausend Menschen vom Maidan im Zentrum Kiews zur Nationalbank, dem Sitz von Nationalbankchefin Walerija Gontarewa. Sie war in den vergangenen Wochen immer wieder Ziel von Protesten Tausender Sparer, die ihre Einlagen durch die Schließung von über 80 Banken in den letzten zwei Jahren verloren hatten.

Der Wirtschaftsexperte Alexander Klimenko schätzt die Zahl der um ihre Spareinlagen betrogenen Ukrainer auf 1,5 Millionen, die Politikerin Julia Timoschenko geht gar von 4,5 Millionen betrogenen Sparern aus. Für weiteren Unmut sorgte die Einkommenserklärung von Walerija Gontarewa. So hatte die Notenbankchefin Ende Oktober angegeben, zwei Porsches und ein Finanzvermögen von 1,8 Millionen Dollar zu besitzen.

„Unser Land hat derzeit zwei Probleme“, rief Mitveranstalter Wadim Rabinowitsch der Menge auf der Abschlussveranstaltung vor der Zentralbank zu. „Wachsende Ausgaben für kommunale Leistungen und die Person der Zentralbankchefin.“ „Früher haben wir über Honduras gelacht“, so Rabinowitsch weiter. „Heute lacht man in Honduras über uns.“ Denn dort liege der Durchschnittslohn bei 120 Dollar, in der Ukraine bei gerade einmal 110 Dollar. Die Zentralbankchefin solle Rechenschaft ablegen über die Gelder, die das Land aus dem Ausland erhalten habe.

Es müsse endlich Schluss sein mit der „verbrecherischen Privatisierung“, forderte Jewgenij Murajew, ein Mitveranstalter der Demonstration. Obwohl die Ukraine formal unabhängig sei, sei sie abhängig, vom State Department, Russland, von Europa. Nun gelte es, die „Partei des Krieges zu entmachten“.

„Für das Leben“

Die Organisatoren der Dienstagsdemonstration, die Abgeordneten Wadim Rabinowitsch und Jewgenij Murajew, sind langjährige Weggefährten. 2014 verkaufte Rabinowitsch den Fernsehkanal Newsone an Murajew. Beide waren über die Liste des Oppositionsblocks in das Parlament gewählt worden und hatten im Sommer dieses Jahres den Oppositionsblock verlassen, um die Partei „Für das Leben“ zu gründen.

„Sehen Sie sich mal Rabinowitsch an: in Jeans und einer einfachen Jacke tritt er vor die Menge. Doch er ist genauso ein Oligarch wie all die anderen Parlamentarier“, empört sich Jewgenija, eine Passantin. „Rabinowitsch und Murajew wollen an die Macht. Und dabei spielen sie mit den Hoffnungen der betrogenen Sparer und kaufen sich Demonstranten.“

In der Ukraine liegt der Durchschnittslohn gerade malbei 110 Dollar

Pünktlich um halb zehn Uhr hatten sich Tausende von Demonstranten auf dem Maidan eingefunden. Von Begeisterung unter den Teilnehmern der Demonstration, in ihrer Mehrheit Rentner, war indes nichts zu spüren gewesen. Die Ankommenden waren von älteren Damen in ihre Kolonne eingewiesen und in Teilnehmerlisten eingetragen worden.

Eine Stunde warteten die Menschen geduldig und emotionslos in Fünferreihen auf ihren Einsatz. Dann brachte ein Lieferwagen Dutzende blaue Fahnen mit einer Sonnenblume und der Aufschrift „Politische Partei für das Leben“.

Fünf Euro

„Ich bin angerufen worden von einer Bekannten aus der Partei der früheren Regierungschefin Julia Timoschenko“, erklärte ein Taxifahrer. „Es gehe um eine Demonstration für das Leben und gegen Korruption, war mir erklärt worden. Da hat wohl die Timoschenko-Partei ihre Kontaktdaten der Partei von Rabinowitsch und Murajew geliehen“, mutmaßt er. Er sei hier, weil man ihm für die Teilnahme an der Demonstration fünf Euro versprochen habe.

„Für das Leben“ kündigte weitere Proteste vor der Nationalbank an. „Wir werden so lange demonstrieren, bis Gontarewa zurückgetreten ist“ rief Mitveranstalter Rabinowitsch der Menge zu.

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