Proteste in der Slowakei: Mit Musik und Trachten gegen die Zerstörung der Kultur
Regelmäßig protestieren Slowaken gegen die Kulturpolitik ihrer Regierung. Zuletzt in Bratislava.

Die ungewöhnliche Protestaktion beginnt pünktlich und, nach kurzer Begrüßung, mit Musik. Zwei Geigen und ein Kontrabass eröffnen, gefolgt von Beethovens „Ode an die Freude“, der Europahymne, während das Publikum mitpfeift.
Was zunächst wie ein fröhliches Volksfest wirkt, ist eine Kundgebung unter dem Motto „Folklore für die Unterstützung der Kunst“, adressiert an das Kulturministerium auf der anderen Seite des Platzes. Seit ihrem Amtsantritt sorgt Martina Šimkovičová von der rechtsextremen SNS-Partei für viel Kritik.
Sie bestellte Direktoren wichtiger Institutionen wie der Nationalgalerie und dem Nationaltheater von einem Tag zum nächsten ab, ließ den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVS formal neu gründen und beendete über 200 Kooperationen und Kunstprojekte, die nicht in ihr Kulturverständnis passen.

Missbrauch der Volkskultur für politische Zwecke
„Ich bin Sängerin in einer Volksmusikgruppe und ich bin angewidert davon, wie die Ministerin funktionierende Kultureinrichtungen zerstört“, sagt Romana Ručková (24), die aus Poprad in der Zentralslowakei stammt und Architektur in Bratislava studiert.
Besonders empört ist sie darüber, dass Šimkovičová die Volkskultur für politische Zwecke missbraucht: „Es ist für uns Volksmusiker ärgerlich, dass sie uns als angebliches Vorbild benutzt, wie slowakische Kultur auszusehen hat.“ Dabei seien gerade jene, die sich mit Volkskultur beschäftigen, intelligente und weltoffene Leute, die die Vielfalt der Kultur anerkennen.
Die Demonstrierenden sind bunt gemischt – junge Männer in roten Jankern, Frauen in bunten Trachten, Familien mit Kinderwagen, Menschen direkt von der Arbeit. Ein kleiner Junge sitzt auf den Schultern seines Vaters und schwenkt eine EU-Flagge. Zwischen den Musikdarbietungen halten Kulturvertreter Reden. Die Stimmung ist, trotz des ernsten Hintergrunds, ausgelassen: Bei schnelleren Musikstücken bilden sich spontane Ringelreihen, viele Zuschauer tanzen und singen mit.
Der Protest richtet sich gegen konkrete Maßnahmen, sagt Daniel Vadas von der Protestplattform „Otvorona Kultura“ (Offene Kultur): Die Übernahme des slowakischen Kunstrats durch politische Nominierte, die Entlassung qualifizierter Direktoren und ihre Ersetzung durch Freunde der Ministerin, Verzögerungen und Streichungen von Fördergeldern.
Auch Fico steht in der Kritik
Zentraler Kritikpunkt ist der Versuch der Ministerin, die slowakische Kultur zu verengen. Auf der Bühne wird ein Manifest verlesen: „Vielfalt ist Grundlage unserer Kultur – sie ist bunt, und das ist gut so. Deshalb ist es für uns absurd, dass Minister uns das Bild einer einfarbigen Kultur aufzwingen.“
Auch die Musikwissenschaftlerin Alžbeta Lukáčová ist erzürnt. Sie beobachtet ein hohes Maß an Korruption gerade in der Volkskultur, in die viel Geld fließt. Ein großes Problem sei in ihren Augen, dass auch „minderwertige Projekte, Kitsch und Projekte, die eigentlich nichts mit unserem kulturellen Erbe zu tun haben“, unterstützt würden.
Aber nicht nur die Kulturpolitik der aktuellen Regierung steht in der Kritik: Der populistische Premier Robert Fico wendet sich immer stärker von der EU ab, fährt einen russlandfreundlichen Kurs, will die Medienfreiheit und Nichtregierungsorganisationen einschränken. Vadas vermutet, dass es Fico ganz recht kommt, dass die Kulturministerin immer wieder mit neuen Schikanen für Ablenkung sorgt: „Damit man nicht so mitbekommt, was hinter den Kulissen alles passiert.“
Nach einer Stunde leert sich der Platz wieder, so schnell wie er sich gefüllt hat. Seit mehr als einem Jahr gehen Menschen gegen die Kulturpolitik auf die Straße, nicht nur in Bratislava, auch in anderen slowakischen Städten. Zur Volkskultur war es die erste Kundgebung.
Alexandra Sciranková (25), wie Ručková Architekturstudentin und gemeinsam mit ihr gekommen, ist skeptisch, ob die Proteste wirklich etwas bewegen. Sie will dennoch weiter protestieren: „Früher oder später werden wir eine Veränderung bewirken.“
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