Proteste in Kenia: Die Wut auf der Straße
Kenias Präsident William Ruto wird in Deutschland hofiert, zu Hause von der Jugend herausgefordert. Mit ihm steht und fällt ein System.
I m Jahr 2023 war William Ruto der Afrika-Star der Berliner Politik. Gleich zweimal besuchte Kenias frisch gewählter Präsident die deutsche Hauptstadt, traf Bundespräsident Steinmeier, Bundeskanzler Scholz, Minister und Investoren. Zwischendrin besuchte Scholz Nairobi und lobte die deutsch-kenianische Freundschaft, die auf „demokratischen Grundsätzen und veranwortungsbewusstem staatlichen Handeln“ aufbaue.
Nach seinem kometenhaften Aufstieg im Ausland erlebt William Ruto dieses Jahr einen meteoritenhaften Absturz in der Heimat. Die jugendliche Protestbewegung „Generation Z“, entstanden im Widerstand gegen höhere Steuern, fordert mittlerweile seinen Rücktritt. Seit einer chaotischen Erstürmung des Parlaments ähnelt bei jedem Protesttag das Zentrum der Hauptstadt Nairobi einer Kriegszone. Dutzende Menschen sind bereits gestorben.
„Generation Z“ (GenZ) ist die Revolte einer abgehängten Generation gegen das System des organisierten Diebstahls, das Kenias Politik am Laufen hält und das allein den Politikern nützt. „GenZ“ hat keine Führung oder Struktur, sie ist ein Lebensgefühl eher als eine Organisation. Das Lebensgefühl ist Wut.
Von Den Haag ins Präsidentenamt
Rutos skrupelloser Umgang damit sollte niemanden überraschen. Rutos Ministerkarriere begann nach den umstrittenen Wahlen von Ende 2007, als Präsident Mwai Kibaki von Kenias größter Volksgruppe der Kikuyu sich zum Sieger erklärte, Oppositionsführer Raila Odinga von der zweitgrößten Volksgruppe der Luo das nicht anerkannte und Ruto von der kleinen Volksgruppe der Kalenjin im Bündnis mit Odinga das Wahlergebnis mit Gewalt zu korrigieren versuchte. Über 1.300 Menschen starben innerhalb weniger Wochen, viele bei organisierten Massakern. Wenige Jahre später landeten dafür sechs Kenianer beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, drei von jeder Seite. Einer hieß William Ruto.
Ruto, so die Anklage, hatte mit seinen Mitverschwörern ein organisiertes Netzwerk aufgebaut, um die Kontrolle seiner Heimatregion Rift Valley zu gewinnen und die Kikuyu dort „auszulöschen“. In der Neujahrsnacht 2007/08 etwa verbrannten Dutzende Menschen, als die mit Betenden gefüllte Dorfkirche von Kiambaa erst von außen abgeschlossen und dann angezündet wurde. Erinnerungen an Ruandas Völkermord wurden wach.
Noch vor Prozesseröffnung wurde einer der sechs Angeklagten – Uhuru Kenyatta vom Volk der Kikuyu – zum Präsidenten gewählt. Er machte Ruto zu seinem Stellvertreter. Die Feinde von 2007/08 waren nun verbündet und hatten kein Interesse mehr an Den Haag. Irgendwann fand die Anklage keine aussagebereiten Zeugen mehr. Alle Verfahren wurden eingestellt. 2017 wurde Kenyatta wiedergewählt, 2022 folgte auf ihn Ruto, der sich plötzlich als Mann des Volkes inszenierte. Nun hat die Jugend ihn durchschaut.
Ruto ist nicht der Einzige. Auf der anderen Seite Afrikas, in Senegal, wurde Präsident Macky Sall bei seiner ersten Wahl 2012 ebenfalls als Erneuerer bejubelt. Als Sall später nicht von der Macht lassen wollte, forderte ihn eine Jugendopposition heraus, die anders als in Kenia den Weg in die Politik fand. Während es in Senegal brodelte, reiste Sall durch die Welt, er vertrat Afrika bei G20- und G7-Gipfeln, er war gerne Gast in Berlin und empfing gerne deutsche Staatsgäste in Dakar. Dann verhedderte er sich in seinen Winkelzügen, und als er vor Gericht mit dem Ansinnen scheiterte, zwar nicht mehr zur Wiederwahl anzutreten, aber zugleich die Wahl abzusagen, war seine Zeit um.
Seit April regiert nun in Senegal die neue linkspopulistische Partei Pastef (Afrikanische Patriotien Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit) des ehemaligen Steuerangestellten Ousmane Sonko. Sie gewann die Wahlen 2024 als Wortführer eines „afrikanischen Patriotismus“, Sonko ist nun Premierminister unter seinem Protegé Bassirou Diomaye Faye als Präsident. Der Erwartungsdruck ist immens.
Zusammenarbeiten mit Respekt
Es fällt auf, dass Kenia und Senegal zu der Minderheit afrikanischer Länder mit Pluralismus, Gewaltenteilung, unabhängiger Justiz und friedlichen Machtwechseln an der Wahlurne gehören. Die Armee hält sich aus der Politik heraus, Machtkämpfe enden meist im friedlichen Ausgleich. Das vermeidet Bürgerkrieg, aber eben auch jeden radikalen Bruch. Das politische Spiel entpuppt sich als Machtkartell, in dem sich die führenden Politiker des Landes an den Fleischtöpfen abwechseln, während die Volksmehrheit darbt. Das ist die Kehrseite dessen, was die deutsche Afrikapolitk bei Ruto und Sall bejubelt hat.
Deutschland hält zu William Ruto, als wäre nichts gewesen. Im September 2024 wird der Kenianer als Staatsgast im Berliner Schloss Bellevue zum Bürgerfest des Bundespräsidenten erwartet. Das Fest hat „unseren Nachbarkontinent Afrika“ zum Schwerpunkt und steht unter dem Motto „Pamoja“ – das Swahili-Wort für „zusammen“, das auch in Kenias Nationalhymne vorkommt.
„Pamoja“ heißt in Kenia die Partei des Senatspräsidenten Amason Kingi. Dem fiel vergangene Woche zur „Generation Z“ folgendes ein: „Wenn ihr auf der Straße Reifen anzündet und ‚Ruto muss weg‘ ruft, werden die Touristen Sansibar oder Südafrika besuchen, statt herzukommen.“ Er erntete dafür Spott: „Sollen sie doch wegbleiben, bis wir uns um dich und deine verlogenen Freunde, Mörder und Betrüger gekümmert haben, die das System ausnutzen, um uns zu versklaven. So lange gibt es keinen Grund, warum Touristen nach Kenia kommen sollten, außer wenn sie zugucken wollen, wie eine Regierung ihre Bürger tötet.“
Wie heißt es in Kenias Nationalhymne? „Natujenge taifa letu / Ee, ndio wajibu wetu / Kenya istahili heshima / Tuungane mikono / Pamoja kazini“ – „Bauen wir unseren Staat; ja, das ist unsere Verantwortung; Kenia verdient Respekt, lasst uns die Hände reichen und zusammenarbeiten“. Die Nationalhymne singen manche jungen Protestierenden inbrünstig, wird aus Nairobi berichtet. Sie nehmen ihre Hymne beim Wort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft