Proteste in Georgien: Razzien und Festnahmen
Die Behörden gehen weiter massiv gegen ihre Kritiker*innen vor. Der Ombudsmann zeigt sich ob massiver Polizeigewalt alarmiert.
In der drittgrößten Stadt Kutaisi gingen erneut Student*innen auf die Straße. Für den Abend war ein Marsch zum Rathaus angekündigt. Die Straße zwischen Jvari und Mestia, die die beiden Provinzen Swaneti und Megrelien miteinander verbindet, wurden von Protestierenden blockiert. Diese verlangten Neuwahlen nach dem, eine Wiederaufnahme der Bemühungen auf dem Weg hin zu einer EU-Integration sowie die Freilassung aller Personen, die bei den Kundgebungen der vergangenen Tage festgenommen worden waren. Die Opposition hatte nach den Parlamentswahlen am 26. Oktober massive Fälschungsvorwürfe erhoben.
Die Proteste hatten am 28. November begonnen und waren mehrfach in Gewaltexzesse seitens von Polizei- und Sicherheitskräften auch gegen Journalist*innen ausgeartet. Ultimativer Auslöser war die Ankündigung von Ministerpräsident Irakli Kobachidze gewesen, die Beitrittsverhandlungen mit der EU bis 2028 auf Eis zu legen. Im Dezember vergangenen Jahres hatte die Südkaukasusrepublik den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten.
In der Nacht zu Donnerstag waren die Sicherheitskräfte zwar nicht mehr ganz so brutal gegen die Demonstrant*innen vorgegangen, hatten sich dafür jedoch auf Razzien bei Oppositionellen verlegt. Bei einem dieser „Hausbesuche“ wurde Nika Gwaramia festgenommen, einer der Vorsitzenden der „Koalition für Veränderungen“. Ihm werden Rowdytum und Widerstand gegen die Polizei vorgeworfen. Laut seines Anwaltes sei er bei seiner Festnahme massiv geschlagen worden.
Schwere Gesichtsverletzungen
Laut Levan Ioseliani, Ombudsmann des Parlaments, seine bei den jüngsten Protesten insgesamt 260 Personen festgenommen und davon 1988 von Polizeikräften misshandelt worden. Sein Büro habe Haftanstalten in 15 Städten besucht. Dabei seien alarmierende Fälle polizeilichen Fehlverhaltens zutage getreten, inklusive der Festnahme des Vertreters der Partei „Starkes Georgien“ Aleko Elisaschwili, der schwere Gesichtsverletzungen erlitten hatte. Die Kausa sei einer Spezialermittlungseinheit übergeben worden. Zudem seien die Rechte von Bürger*innen in der Nähe von U-Bahn-Stationen während der Proteste verletzt worden.
Unterdessen legten Vertreter der Regierungspartei Georgischer Traum (KO) am Donnerstag mit Hasstiraden gegen die Opposition noch einmal nach. Ministerpräsident Irakli Kobachidze sprach von einem Aufruhr, der aus dem Ausland finanziert worden sei, um Radikalisierung und Polarisierung zu befeuern. Ausländische Akteure wollten mit undurchsichtigen Mitteln eine Revolution orchestrieren. Gelder aus dem Ausland stünden hinter diesem „liberalen Faschismus“, der für den Staat destruktiv sei.
Erneut verteidigte Kobachidze das sogenannte Agentengesetz. Das Gesetz hatte das Parlament trotz massiver Proteste im vergangenen Frühjahr verabschiedet, seit August ist es in Kraft. Nichtregierungsorganisationen und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten, unterliegen einer verschärften Rechenschaftspflicht und müssen sich in ein spezielles Register eintragen lassen.
Die Regierung werde alles tun, um derartige schädliche Gruppen und Nichtregierungsorganisationen aus der politischen Landschaft zu eliminieren, sagte Kobachidse. Eltern rief er dazu auf, ihre Kinder von diesen „Brutstätten des liberalen Faschismus“ fern zu halten.
Noch keine Sanktionen
Laut eines Berichts des georgischen Webportals JAMNews hätten sich bislang 382 Organisationen registrieren lassen. Informationen der georgischen Statistikbehörde Geostat zufolge gebe es landesweit über 32.000 Gruppierungen, davon seine 3900 aktiv. Bislang werden Organisationen, die in Sachen Registrierung säumig sind, nicht sanktioniert. Das könnte sich jedoch bald ändern.
Der georgische Politikanalyst Gia Nodia, den JAMNews zitiert, sieht die Regierung so verletzlich wie nie zuvor. Selbst Bürger*innen, die in den vergangenen 12 Jahren geschwiegen hätten, gingen jetzt auf die Straßen. Zum ersten Mal gebe es ein Licht am Ende des Tunnels.
„Der Teil der Menschen, der als „Gesellschaft“ bezeichnet werden kann, fordert Veränderungen und hat begriffen, dass ohne radikale Schritte, nichts passieren wird“, so Nodia. „Ich weiß nicht, wie sich die Ereignisse entwickeln werden, aber es eine reale Gelegenheit ist jetzt da und wir dürfen sie nicht verpassen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“