Proteste in Frankreich: Studenten machen weiter Druck
Während der Senat die Rentenreform beschließt, gehen Hunderte gegen das Projekt auf die Straße. Sie wollen ihre Aktionen fortsetzen. Doch die Protestfront bröckelt.
PARIS taz | Die französische Regierung ist überzeugt, dass sie mit der definitiven Verabschiedung ihrer Rentenreform im Parlament einen Schlusspunkt unter die Proteste setzen wird. Auch der CFDT-Gewerkschaftsvorsitzende François Chérèque plant schon für die Zeit nach der Annahme der Rentenreform.
In einem Fernsehgespräch schlug er der Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot Verhandlungen über die Frage der Jugendarbeitslosigkeit vor. Parisot meinte dazu, sie sei dafür, "nun zu einem anderen Thema überzugehen".
Für die SchülerInnen und Studierenden, die gestern in zahlreichen Städten demonstrierten, ist die Akte Rentenreform aber keineswegs geschlossen. "Mensch, da geht es doch um unsere Zukunft, und wir leben nur einmal!", sagt Ludovic und bestätigt:
"Natürlich fühle ich mich von dieser Frage betroffen." Er macht in Paris eine Ausbildung zum Krankenpfleger und ist mit seinem Kumpel Clément zur Demonstration vor dem Senat gekommen, wo gestern zum selben Zeitpunkt die Schlussversion der umstrittenen Reform zur Abstimmung vorgelegt wurde.
Es sind nur einige hundert, die aber um so lauter schreien, damit sich ihrer Meinung nach die "politisch schwerhörigen" Ratsherren der Regierungsmehrheit für die Meinung der Jugend nicht taubstellen können. Draußen vor dem Palais du Luxembourg, in dem die Senatoren tagen, kündigt die Psychologiestudentin Jessica an: "Wir werden weiter protestieren, es wäre nicht das erste Mal, dass wir ein verabschiedetes Gesetz stoppen. Ich war noch Mittelschülerin, als wir gegen den Berufsanfängervertrag CPE demonstriert haben. Da ging es auch um unsere berufliche Zukunft. Der CPE wurde wegen unseres Widerstands nie in Kraft gesetzt."
Auf einem Plakat, das sie trägt, ist zu lesen: "Studentin mit 20, arbeitslos mit 25 und immer noch prekär mit 67 Jahren? Non merci!" Antoine und Nacer räumen ein, dass es wegen der Aufsplitterung der Zentren an ihrer Universität Paris-Villetaneuse am Stadtrand, wo sie in Soziologie eingeschrieben sind, bisher schwierig sei, die KommilitonInnen zu mobilisieren. Zudem sind in den Mittelschulen und einigen Hochschulen zurzeit Ferien.
"Seitens der Regierung ist das ziemlich plump, darauf zu setzen, dass die Abstimmung und die Schulferien das Ende der Proteste bedeuten. Eine Woche Ferien hat noch nie eine solche Bewegung gestoppt", glaubt Julie, die als Sprecherin der Studentengewerkschaft Unef gleichsam praktische Erfahrung für ihr Studium der politischen Wissenschaften sammelt. Alle meinen darum zur spärlichen Zahl der Demonstrierenden vor dem Senat, es sei bloß eine symbolische Aktion, um zu zeigen, dass der Widerstand weitergehe.
Etwas geniert schaut vor dem von Ordnungspolizisten hermetisch abgeriegelten Haupteingang eine Gruppe von Berufsschülern drein. Sie sind ausgerechnet an diesem Tag aus Dijon zu einem Anschauungsunterricht über das Parlament nach Paris gekommen. Nein, demonstrieren würden sie nicht, meint Nadine, aber betroffen fühle sie sich schon. Sie glaube nicht daran, dass die Jungen manipuliert würden.
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