piwik no script img

Proteste im SudanZittern um die Revolution

Tage der Entscheidung in Khartum: Setzt sich die Protestbewegung gegen das Militär durch? Oder behält Sudans „tiefer Staat“ die Oberhand?

Wie lange geht das gut? Die blockierte Straße zu Sudans Verteidigungsministerium Foto: reuters

Khartum taz | Der herrschende Militärrat in Sudan sagt, er habe sich mit der Opposition darüber geeinigt, die seit Wochen von Dauerdemonstranten blockierten Brücken und Straßen in Khartum wieder zu öffnen. Aber das Sit-in auf dem Platz vor dem Armeehauptquartier, zentraler Ort des Protestes, kann weitergehen.

Die Opposition weigert sich, den Platz zu räumen, so lange es keine Einigung darüber gibt, ob in der geplanten Übergangsregierung – dem „Präsidialrat“, auf den sich beide Seiten im Grundsatz bereits verständigt haben – Zivilisten oder Militärs die Oberhand haben sollen.

„Die Zusammensetzung des Präsidialrates ist äußerst wichtig. Er wird die größte Macht haben und kann ein zukünftiges Kabinett feuern. Es ist ein wichtiger Schritt“, sagt Amal Bashir, ein 33-jähriger Mikrobiologe am Universitätskrankenhaus der sudanesischen Hauptstadt, während er mit Kollegen darauf wartet, dass der Generator wieder anspringt.

Das Sit-in blockiert seit dem 6. April eine der wichtigsten Verkehrsadern Khartums. Student Bashir ärgert sich regelmäßig über den dadurch entstandenen Stau, aber er findet, der Druck auf das Militär dürfe nicht nachlassen: „Wir sollten auf Nummer sicher gehen, damit unsere Bemühungen nicht umsonst waren. Ich habe wenig Vertrauen in die Sicherheitsorgane, nach dreißig Jahren Unterdrückung.“

Tagsüber sitzt meist der harte Kern der Demonstranten auf dem heißen sonnenüberfluteten Platz. Sobald es abends kühler wird, kommen große Menschenmengen an. In einem Land, in dem es wenig oder keine öffentlichen Unterhaltungsmöglichkeiten gibt, ist der Gang zum Platz sowohl ein Ausflug als auch ein Protest.

Es ist ein Ort, um Reden und Musik zuzuhören, einen Snack zu kaufen, vor allem aber um Slogans zu singen, die einen hohen Grad an Humor enthalten.

Die 20-jährige Reem Abubaker studiert in Malaysia und ist für zwei Monate Urlaub zurück in der Heimat. Zusammen mit ihrer älteren Schwester ist sie täglich auf der Demonstration zu finden. „Ich denke, es ist mein Beitrag zu unserer Revolution, aber ich mache es auch für mich selbst. Wenn hier während meines Urlaubs eine zivile Regierung entsteht, gehe ich nicht wieder weg. Dann werde ich mein Studium hier fortsetzen und mithelfen, einen neuen Sudan aufzubauen.“

Es ist leicht, sich gegen einen Feind zu vernetzen. Aber es ist viel schwieriger, wenn dieser Feind weg ist

Oppositioneller Khalid Omer Yousif

Zu einem neuen Sudan ist der Weg aber noch weit, betont Mariam al-Saddiq, Vizepräsidentin der politischen Oppositionspartei Ummat. Sie ist eine des halben Dutzends Unterhändler, die im Auftrag der Opposition mit dem Militärrat verhandeln.

„Der Ministerrat besteht aus sieben Mitgliedern und sie wollen alle in den Präsidialrat. Wir wollen dann wenigstens acht Oppositionsvertreter im Präsidialrat haben,“ erläutert sie. Der Militärrat will aber nur drei Oppositionsmitglieder im Präsidialrat zulassen.

Bemerkenswert ist, dass al-Saddiq die Soldaten lobt, während es die Armee war, die im Jahr 1989 ihren Vater Sadiq al-Mahdi als Premierminister absetzte und den jetzt erst gestürzten Diktator Omar Hassan al-Bashir an die Macht brachte.

„Die Soldaten wählten unsere Seite gegen Bashir“, erklärt sie. „Sie weigerten sich, seinen Befehl auszuführen, die Demonstranten mit Gewalt vom Platz zu entfernen. Deshalb sollten sie sicher ein Teil des Präsidialrates sein.“

In dem großen grünen mit Blattgold besetzten Sessel im riesigen Konferenzraum ihrer Partei in Omdurman, Zwillingstadt Khartums am anderen Nilufer, erscheint die Oppositionelle klein. „Der Präsidialrat ist wichtig, aber eine weitere große Aufgabe erwartet uns, nämlich den ‚tiefen Staat‘ zu entfernen, die unsichtbare und einflussreiche Elite des früheren Regimes.“

Die meist jungen Demonstranten haben aber wenig Vertrauen in die bestehenden Oppositionsparteien. Al-Saddiq glaubt, dass der Dachverband der Berufsgruppen SPA, der bei den Protesten die Führung innehat, Brücken zwischen politischen Parteien und der Bevölkerung gebaut hat.

Eine Partei, die das Vertrauen junger Menschen hat, ist die Sudanesische Kongresspartei (SCP), die aus verbotenen Studentenorganisationen hervorgegangen ist. Ihr Generalsekretär Khalid Omer Yousif saß bereits öfters in Haft.

Er betont, wie wichtig es jetzt ist, dass die Gegner des Bashir-Systems sich nicht spalten lassen: „Es ist leicht, sich gemeinsam gegen einen Feind zu vernetzen. Aber es ist viel schwieriger, wenn dieser Feind weg ist. Es gibt mehr, was uns trennt, als was uns verbindet. Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig bleibende Einheit ist.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!