Protestbewegung in Spanien: "Sie kriegen uns nicht weg"
Die Wahlkommission hat alle Kundgebungen an diesem Wochenende verboten. Trotzdem wachsen in Madrid und vielen anderen Städten die Protestcamps weiter an.
MADRID taz | Spaniens Zentrale Wahlkommission hat für Samstag und Sonntag alle Kundgebungen und Demonstrationen im Land verboten. Nur so sei die freie Ausübung des Wahlrechts zu gewährleisten. Am Sonntag wählen die Spanier ihre Kommunal- und Regionalvertretungen. Der Samstag ist der sogenannte Tag des Nachdenkens, an dem keine Wahlkampfveranstaltungen stattfinden dürfen.
Die Entscheidung wurde mit fünf Ja-Stimmen, vier Nein-Stimmen und einer Enthaltung nach mehr als sechs Stunden Debatte knapp angenommen. Damit sind aber ab Mitternacht von Freitag auf Samstag die Protestcamps illegal, die seit den Großdemonstrationen für "Echte Demokratie jetzt!" am vergangenen Sonntag in dutzenden Städten Spaniens aus Protest gegen die als sozial ungerecht empfunden Krisenpolitik, Arbeitslosigkeit , Korruption und das aktuelle Wahlrecht errichtet wurden.
"Wir werden bleiben", teilt ein Sprecher des größten Camps, das mittlerweile in Madrid fast den gesamten Platz Puerta del Sol in der Stadtmitte einnimmt, den Beschluss der nächtlichen Versammlung an der Puerta del Sol mit. Rund 20.000 Menschen hatten im Zentrum Madrids die Entscheidung erwartet. Sie riefen immer wieder: "Sie repräsentieren uns nicht!"
Lied der Transición
In Barcelona nahmen die Versammelten das Urteil mit dem Ruf "No nos moverán" - "Sie kriegen uns nicht weg" auf. Der gleichnamige Song von Joan Baez spielte eine wichtige Rolle in Spaniens Übergang von der Franco-Diktatur zur Demokratie.
Die Campierenden in Madrid fühlen sich von dem "Beschluss nicht angesprochen". Sie würden schließlich "allgemeine Unzufriedenheit" zum Ausdruck bringen "und keinen Wahlkampf betreiben". Das Camp sei spontan entstanden und damit keine Kundgebung. "Wir werden den Samstag und den Sonntag nutzen, um gemeinsam nachzudenken, ganz im Sinne dessen, was das Wahlgesetz 24 Stunden vor einer Wahl vorsieht", gibt ein Sprecher wider, was die Rechtsanwaltskommission auf dem Platz als Argumentation ausgearbeitet hat.
Die Regierung des Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero steht jetzt vor der schwierigen Aufgabe, dieser Lage Herr zu werden. Das Innenministerium werde "mit Intelligenz" handeln, beteuerte Zapatero in einem Radioauftritt. Was das bedeutet, darüber schwieg er sich aus.
Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba hat alle Wahlkampfauftritte abgesagt, um sich ganz den Protesten zu widmen. Er versicherte, dass die "Polizei versucht, Probleme zu lösen und keine neuen zu schaffen".
Die Protestierenden im Camp, das den ganzen Freitag über immer größer wurde, sind zuversichtlich. "Es ist Wochenende. Wenn sich unter der Woche schon weit über zehntausend Menschen versammeln, dann werden es heute viel mehr", erklärte ein Sprecher. Im Fall von Polizeiübergriffen wollen die jungen Menschen gewaltfreien Widerstand leisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid