Protestaktionen für Deniz Yücel: Hupen für die Pressefreiheit
Aus Protest gegen die Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel gab es am Dienstag in vielen deutschen Städten Autokorsos und Protestaktionen.
In Berlin hatten die Grünen eine Kundgebung vor der türkischen Botschaft organisiert, zu der rund 400 DemonstrantInnen und MedienvertreterInnen kamen. Dort nannte Grünen-Chef Cem Özdemir den Staat, den Erdogan in der Türkei aufbaue, ein „Operetten-Sultanat“. Die Zeit für ein klares Stopsignal sei reif. Zudem rief Özdemir alle Deutschtürken auf, „für Nein zu stimmen beim Referendum“ am 16. April und sagte: „Das Spitzelnetzwerk in Deutschland muss zerschlagen werden. Oppositionelle müssen sich in Deutschland sicher fühlen können“.
Renate Künast sagte der taz während der Protestaktion, dass Deniz Yücel zwar ein Symbol für den Zugriff Erdogans auf die Presse sei – dennoch müsse man auch auf alle anderen inhaftierten Journalisten in der Türkei blicken und deren Freilassung fordern. „Eigentlich kommen zu wenig Zeichen der Bundesregierung,“ beklagte Künast.
Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, mahnte an, man müsse die Stationierung deutscher Soldaten in Incirlik überprüfen. Außerdem müsse man fragen, ob Erdogan hier in Deutschland ein Podium für seinen Wahlkampf bekomme.
Parallel zu der Kundgebung fand in Berlin ein Autokorso statt. Auch in München, Zürich, Wien, Köln, Bremen, Hannover, Frankfurt, Leipzig und Bielefeld waren Protestaktionen geplant. Beim Hamburger Korso kamen knapp 200 Demonstrantinnen zusammen, um für die Freilassung zu protestieren. Mit dabei war auch die Hamburger FDP-Chefin Katja Suding. „Ich mache mit beim Autokorso und fordere die Freilassung des inhaftierten @welt-Journalisten“, twitterte sie. Die Polizei sprach von etwa 160 TeilnehmerInnen in etwa 60 Autos und noch einigen Radfahrenden.
Auch die Türkische Gemeinde in Hamburg und Umgebung (TGH) forderte die sofortige Freilassung des Journalisten. Die Gemeinde verurteile die Entscheidung des Gerichts aufs Schärfste, den 43 Jahre alten Korrespondenten in Untersuchungshaft zu nehmen, sagte TGH-Geschäftsführer Dirk Tröndle. „Auch wenn in der Türkei weiter der Ausnahmezustand gilt, ist die Justiz dazu angehalten, mit Augenmaß und Bedacht zu handeln.“ Dies betreffe auch die vielen anderen türkischen Journalisten, die seit Monaten in Haft sind.
Politik fordert Konsequenzen für Ankara
In der Welt vom Mittwoch forderte die EU-Kommission die Türkei zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien auf. „Die Europäische Kommission ist sehr besorgt über die große Zahl an Verhaftungen von Journalisten in der Türkei und der selektiven Anwendung der Anti-Terror-Gesetzgebung“, sagte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn. Die Inhaftierung Yücels belastet die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara schwer.
„Der Fall von Deniz Yücel zeigt leider, wie berechtigt diese Sorgen sind“, sagte Hahn, der auch für die seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei verantwortlich ist. „Die EU hat wiederholt betont, dass die Türkei als Kandidatenland die höchsten demokratischen und rechtsstaatlichen Standards einhalten muss, insbesondere was die Meinungs- und Medienfreiheit betrifft“, sagte Hahn.
In Deutschland forderten PolitikerInnen parteiübergreifend scharfe Konsequenzen für Ankara bis hin zu Einreiseverboten für türkische Politiker. Laut Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) steht das deutsch-türkische Verhältnis „vor einer seiner größten Belastungsproben in der Gegenwart“. Den Haftbefehl gegen Yücel kritisierte Gabriel am Dienstag als „unnötig“ und „unangemessen“. Sein Ministerium habe den türkischen Botschafter zum Gespräch geladen, um ihm die deutsche Haltung deutlich zu machen.
„Die Bundesregierung muss ein Einreiseverbot für Erdogan und die türkische Regierung in Deutschland verhängen“, sagte die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen der Bild-Zeitung. Sie forderte die Prüfung von „Sanktionen“ gegen Präsident Recep Tayyip „Erdogan und seinen Clan“. Überdies müssten die Verhandlungen über einen EU-Beitritt und die Ausweitung der Zollunion mit Ankara „sofort auf Eis gelegt werden“ und die Bundeswehr müsse „aus der Türkei abgezogen werden“.
Der CSU-Außenexperte Hans-Peter Uhl sagte mit Blick auf einen möglichen Wahlkampfauftritt Erdogans vor dem umstrittenen Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems im April in der Türkei: „Ein Wahlkampfauftritt Erdogans in Deutschland kommt überhaupt nicht in Frage – erst recht nicht nach dem Fall Yücel.“ Mit seiner „autokratischen und antidemokratischen Politik“ und seinen Plänen für eine „Präsidialdiktatur“ treibe Erdogan die „Türkei in den Ruin“.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), sagte, die Inhaftierung Yücels sei ein „klarer Fall von Willkürjustiz“. Für ein Einreiseverbot für türkische Regierungsmitglieder sprach sich auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner aus.
Yücel: „Mir geht es ganz gut“
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatten bereits am Dienstag die Türkei zu Yücels Freilassung aufgefordert. Eine Annäherung der Türkei an die EU werde durch den Fall Yücel „nahezu unmöglich“, sagte Maas der Welt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Inhaftierung am Montagabend als „bitter und enttäuschend“ bezeichnet und die Hoffnung geäußert, „dass er bald seine Freiheit zurückerlangt“.
Grüne und Linke warfen Merkel daraufhin vor, sich aus politischer Rücksichtnahme gegenüber Ankara nicht entschieden genug für Yücel einzusetzen. Die Linke beantragte eine Aktuelle Stunde des Bundestages in dem Fall.
Der Ex-Chefredakteur der linksliberalen türkischen Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, schloss eine Freilassung von inhaftierten Journalisten in der Türkei vor dem Verfassungsreferendum aus. „Vor dem Referendum am 16. April gibt es meines Erachtens keine Chance auf Freilassung. Die Kollegen wissen, dass die türkische Regierung sie als Geiseln genommen hat“, sagte Dündar.
(Christoph Kürbel, Jean-Philipp Baeck und Lena Kaiser mit Material von dpa und afp)
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