Protest in Venezuela: Rote Schwaden gegen Demonstranten
Mit Tränengas und Gummigeschossen geht die Regierung gegen die Opposition vor. Sind die jüngsten Demos der Auftakt zu einer neuen Protestwelle?
Dort sollte eine Petition übergeben werden. Darin fordert die Opposition die volle Anerkennung der Nationalversammlung und der Verfassung, die Zulassung humanitärer Hilfe in Form von Nahrungsmitteln und Medikamenten aus dem Ausland, die Freilassung der politischen Gefangenen sowie die seit Dezember 2016 verschobenen Gouverneurs- und Kommunalwahlen.
Für zusätzlichen Zündstoff sorgte die Nachricht von Freitag, das Capriles von der Finanzkontrollbehörde die Wählbarkeit für alle öffentlichen Ämter für 15 Jahre entzogen wurde. Die Behörde begründete ihre Entscheidung mit „verwaltungstechnischen Unregelmäßigkeiten“ während seiner noch laufenden Amtszeit als Gouverneur des Bundesstaates Miranda.
„Nicolás Maduro, sieh dich vor!“, warnte Capriles den Präsidenten, „es geht nicht darum, dass ich für die Kandidatur um öffentliche Ämter gesperrt wurde. Hier sterben Menschen vor Hunger, sie sterben in den Krankenhäusern.“
Auf dem Weg zum Defensor del Pueblo wurden die Protestierenden durch den Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gestoppt. Bei zum Teil heftigen Straßenschlachten zwischen den Uniformierten und einem Teil der Demonstrierenden wurden nach Angaben von Chacaos Bürgermeister Ramón Muchacho 17 Personen verletzt. „Zum Glück gab es keine Schussverletzten,“ so Muchacho.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte die Regierung auf, die Bestandteile eines am Samstag erstmals eingesetzten Tränengases bekannt zu geben, das sich in roten Schwaden ausbreitete.
Die prominentesten Oppositionspolitiker sind ausgeschaltet
Der Marsch vom Samstag war bereits der dritte, zu dem die Opposition in der vergangenen Woche mobilisiert hatte. Auslöser der jüngsten Proteste war die vorübergehende Entmachtung des Parlaments durch den Obersten Gerichtshof. Vor allem auf internationalen Druck wurde die Entscheidung der Richter jedoch revidiert.
Die Opposition nutzt die Empörung im Inland und Ausland, um die Straßenproteste wiederzubeleben, die in den vergangenen Monaten erheblich an Schwung verloren hatten. Weitere Proteste sind bereits angekündigt. Nicht auszuschließen ist, dass dies der Auftakt zu einer Protestwelle wie 2014 ist, bei der 43 Menschen ums Leben kamen. Erst vergangenen Donnerstag war ein Demonstrant getötet worden.
Zwar hat Capriles angekündigt, gegen die Aberkennung seiner Wählbarkeit Beschwerde einzulegen. Dass aber die Behörde ihre Entscheidung ohne eine entsprechende Anweisung der Regierung revidiert, ist nicht zu erwarten.
Im Gegenteil: Die Regierung hat einen Weg gefunden, nach der Inhaftierung von Leopoldo López auch den zweiten prominenten Oppositionspolitiker von zukünftigen Wahlen auszuschließen. Capriles war als Präsidentschaftskandidat 2012 gegen Hugo Chávez und 2013 gegen Nicolás Maduro angetreten, unterlag jedoch beide Male.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott