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Protest in VenezuelaRote Schwaden gegen Demonstranten

Mit Tränengas und Gummigeschossen geht die Regierung gegen die Opposition vor. Sind die jüngsten Demos der Auftakt zu einer neuen Protestwelle?

Darf keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden: Oppositionsführer Henrique Capriles Foto: reuters

Buenos Aires taz | Mit einem massiven Einsatz von Nationalgarde und Nationalpolizei hat Venezuelas Regierung am Samstag einen Marsch der Opposition ins Zentrum der Hauptstadt Caracas verhindert. Tausende Menschen hatten sich auf der großen Avenida Francisco Miranda im Stadtteil Chacao versammelt, um nach einer Aufforderung von Oppositionsführer Henrique Capriles zum Defensor del Pueblo zu marschieren, dem staatlichen Ombudsmann.

Dort sollte eine Petition übergeben werden. Darin fordert die Opposition die volle Anerkennung der Nationalversammlung und der Verfassung, die Zulassung humanitärer Hilfe in Form von Nahrungsmitteln und Medikamenten aus dem Ausland, die Freilassung der politischen Gefangenen sowie die seit Dezember 2016 verschobenen Gouverneurs- und Kommunalwahlen.

Für zusätzlichen Zündstoff sorgte die Nachricht von Freitag, das Capriles von der Finanzkontrollbehörde die Wählbarkeit für alle öffentlichen Ämter für 15 Jahre entzogen wurde. Die Behörde begründete ihre Entscheidung mit „verwaltungstechnischen Unregelmäßigkeiten“ während seiner noch laufenden Amtszeit als Gouverneur des Bundesstaates Miranda.

„Nicolás Maduro, sieh dich vor!“, warnte Capriles den Präsidenten, „es geht nicht darum, dass ich für die Kandidatur um öffentliche Ämter gesperrt wurde. Hier sterben Menschen vor Hunger, sie sterben in den Krankenhäusern.“

Auf dem Weg zum Defensor del Pueblo wurden die Protestierenden durch den Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gestoppt. Bei zum Teil heftigen Straßenschlachten zwischen den Uniformierten und einem Teil der Demonstrierenden wurden nach Angaben von Chacaos Bürgermeister Ramón Muchacho 17 Personen verletzt. „Zum Glück gab es keine Schussverletzten,“ so Muchacho.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte die Regierung auf, die Bestandteile eines am Samstag erstmals eingesetzten Tränengases bekannt zu geben, das sich in roten Schwaden ausbreitete.

Die prominentesten Oppositionspolitiker sind ausgeschaltet

Der Marsch vom Samstag war bereits der dritte, zu dem die Opposition in der vergangenen Woche mobilisiert hatte. Auslöser der jüngsten Proteste war die vorübergehende Entmachtung des Parlaments durch den Obersten Gerichtshof. Vor allem auf internationalen Druck wurde die Entscheidung der Richter jedoch revidiert.

Die Opposition nutzt die Empörung im Inland und Ausland, um die Straßenproteste wiederzubeleben, die in den vergangenen Monaten erheblich an Schwung verloren hatten. Weitere Proteste sind bereits angekündigt. Nicht auszuschließen ist, dass dies der Auftakt zu einer Protestwelle wie 2014 ist, bei der 43 Menschen ums Leben kamen. Erst vergangenen Donnerstag war ein Demonstrant getötet worden.

Zwar hat Capriles angekündigt, gegen die Aberkennung seiner Wählbarkeit Beschwerde einzulegen. Dass aber die Behörde ihre Entscheidung ohne eine entsprechende Anweisung der Regierung revidiert, ist nicht zu erwarten.

Im Gegenteil: Die Regierung hat einen Weg gefunden, nach der Inhaftierung von Leopoldo López auch den zweiten prominenten Oppositionspolitiker von zukünftigen Wahlen auszuschließen. Capriles war als Präsidentschaftskandidat 2012 gegen Hugo Chávez und 2013 gegen Nicolás Maduro angetreten, unterlag jedoch beide Male.

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1 Kommentar

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  • Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Das Oberste Gericht hatte die parlamentarische Macht völlig verfassungsgemäß für begrenzte Zeit übernommen, weil sich dieses von der Radikalopposition dominierte Organ bis heute nicht im Mindesten um die Urteile des Obersten Gerichts schert. Es war also das Parlament, das die Checks and Balances missachtet hat, nicht das Gericht. Wenn ein Fußballspieler die Autorität des Schiedsrichters nicht anerkennt und sich über dessen Entscheidungen einfach hinwegsetzt, fliegt er ziemlich sicher auch vom Platz. Und sobald das Parlament den Urteilen jedoch Rechnung getragen hätte, hätte es seine Macht ohnehin zurückbekommen.

     

    Was nun die Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften betrifft: Eine Demonstration der (keineswegs durch die Bank friedlichen) Opposition, die (anderen Medien war das zu entnehmen) "spontan" und illegal auf eine Route mit eindeutigem Konfliktpotenzial umgeleitet wird - kennen wir das nicht? Gab es das nicht schon einmal? Und mit welchem Ergebnis?