Protest im Irak: Sadr-Anhänger im Präsidentenpalast
Im Irak rief der schiitische Prediger und Politiker zu zivilem Ungehorsam auf. Kurz zuvor hatte er seinen Rückzug aus der Politik erklärt.
![Ein großes Schwimmbecken mit vielen Menschen, im Hintergrund ein Garten und ein großes Gebäude. Vordergrund: Ein Mann macht einen Kopfsprung ins Wasser Ein großes Schwimmbecken mit vielen Menschen, im Hintergrund ein Garten und ein großes Gebäude. Vordergrund: Ein Mann macht einen Kopfsprung ins Wasser](https://taz.de/picture/5758974/14/bagdad-sadr-protest-1.jpg)
Sadr-Anhänger hatten am Montagnachmittag begonnen, den Präsidentenpalast innerhalb der Grünen Sicherheitszone – in der viele staatliche Institutionen sowie internationale Botschaften ihren Sitz haben – in der Hauptstadt Bagdad zu stürmen. Sie forderten Neuwahlen.
Auch nahe der niederländischen Botschaft sollen am Montag Schüsse gefallen sein. Der niederländische Außenminister gab auf Twitter bekannt, dass die Mitarbeiter der Botschaft evakuiert wurden und nun aus der deutschen Botschaft in Bagdad weiterarbeiten.
In den sozialen Medien kursierten Videos von Sadr-Anhängern innerhalb der schmucken Räume des Palastes und sogar im dortigen Swimmingpool, während sie Slogans zur Unterstützung ihres Idols rufen. Auch außerhalb Bagdads stürmten Anhänger des politisch aktiven Klerikers Gebäude der Provinzverwaltungen.
Hintergrund ist ein inner-schiitischer Streit
Der schiitische Politiker hatte seine Anhänger zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams aufgerufen und sie aufgefordert, aus allen Landesteilen nach Bagdad zu kommen – ein Aufruf, der am Nachmittag über die Lautsprecher von Moscheen weiterverbreitet wurde, die Sadr nahestehen. Die Sicherheitskräfte schickten daraufhin Verstärkung in die Grüne Zone und verkündeten eine am Nachmittag beginnende Ausgangssperre. Die Anhänger Sadrs ignorierten diese, die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein.
Begonnen haben die Unruhen mit der Ankündigung Sadrs, sich vollkommen aus der Politik zurückzuziehen. „Ich habe beschlossen, mich nicht mehr in politische Dinge einzumischen und erkläre hiermit meinen endgültigen Rücktritt und die Schließung aller Institutionen, die mit unsrer politischen Bewegung in Verbindung stehen“, hatte er am Mittag erklärt. Einige religiöse sadristische Institutionen sollten aber weiter geöffnet bleiben.
Es ist nicht das erste Mal, dass Sadr seinen Rückzug aus der Politik verkündet, um nur kurz darauf wieder seine Anhänger für tagespolitische Ereignisse zu mobilisieren.
Hintergrund ist ein seit Monaten andauernder innerschiitischer Streit zwischen Sadrs Partei und einer pro-iranischen Parteienallianz. Sadrs Partei hatte bei den Parlamentswahlen im Oktober die meisten Sitze gewonnen, es aber nicht geschafft, eine regierungsfähige Allianz zu formen. Daraufhin hatte Sadr seine Abgeordneten aus dem Parlament abgezogen. Anfang August forderte er dann die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen, um eine neue funktionierende Regierung zu formen.
Wer dominiert den Irak?
Seit zehn Monaten wird der Irak von der alten Regierung kommissarisch regiert und ist politisch gelähmt. Am Dienstag hätte das Oberste Gericht in Bagdad eigentlich über die verfassungsmäßige Rechtlichkeit der Parlamentsauflösung und der Ausrufung von Neuwahlen entscheiden sollen.
Im Kern geht es darum, wer die Schiiten, die die Mehrheit der Bevölkerung des Landes darstellen, dominiert: die pro-iranischen Parteien oder Muktada Sadr, der sich in letzter Zeit zunehmend vom Einfluss des Iran auf die Politik im Irak distanziert hat? Unklar ist, was der verkündete Rückzug Sadrs aus der Politik nun für diesen Streit bedeutet und wie weit Sadr bereit ist, die Lage auf der Straße weiter zu eskalieren.
Sadr spielt, wie so oft, eine Doppelrolle in der irakischen Politik. Einerseits hat er eine Partei, die die meisten Stimmen bei den letzten Wahlen gewonnen hat. Andererseits gibt er sich als Opposition und kann seine Anhänger mit einem Fingerschnipsen mobilisieren und sie auch wieder nach Hause schicken. Im Moment scheint der wohl einflussreichste Politiker des Irak vor allem auf die zweite Karte zu setzen.
Mitarbeit: Lisa Schneider
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