Protest gegen zu hohe Mieten in Hannover: Mit dem Plüschhai gegen Profiteure

Mit einer Protestaktion setzt sich die offene Mieter*innengruppe „Nordstadt solidarisch“ in Hannover gegen Mieterhöhungen und Verdrängung ein.

Demonstranten halten einen Plüschhai an einem Stock in die Luft.

Zu viele Miethaie sind in Hannover unterwegs. Dieser hier war am Samstag in der Tulpenstraße Foto: Christian Wyrwa

HANNOVER taz | Es wirkt wie ein feierlicher Akt: Funkelndes Konfetti fliegt durch die Luft, Sektkorken knallen, schäumende Flüssigkeit tropft auf den Asphalt. Mitten im Konfettiregen steht Aktivistin Pia Blomberg, bekleidet mit hellblonder Perücke, weißen Handschuhen und lilafarbenem Federschal, und streckt einen goldenen Plüschhai in die Höhe.

Den grimmig dreinschauenden Fisch platziert Blomberg im Namen der offenen Mieter*innengruppe „Nordstadt solidarisch“ vor der Haustür der Tulpenstraße 10. Der Inhaber des Gebäudes, Mikhail Bievetskiy, bekommt so ohne seine Anwesenheit symbolisch den Negativpreis überreicht – den „Goldenen Miethai“.

„Profitdenken ist im Kapitalismus nicht nur legal, sondern erwünscht“, hatte Blomberg noch wenige Minuten zuvor vor den über 200 Demons­trierenden ins Mikrofon gerufen. „Deshalb müssen wir jetzt selbst aktiv werden.“ Selbst aktiv werden, das bedeutet für Blomberg, dreistes Verhalten von Immobilienbesitzern öffentlich zu kritisieren. Um das zu tun, hat sich die 2018 gegründete Initiative Nordstadt solidarisch den „Goldenen Miethai“ ausgedacht – eine in dröhnende Musik und Glitter verpackte Protestform, die eigentlich einen ganzen und gar nicht feierlichen Hintergrund hat.

Seit Juli 2019 zeichnen die Aktivist*innen „die übelsten Wohnraumspekulanten“ aus. Dafür versammeln sich die Demonstrierenden monatlich in der Nordstadt und laufen gemeinsam zu einem Objekt, dessen Mieter unter dem rücksichtslosen Verhalten der Immobilienbesitzer leiden, und hinterlassen dort ihren Miethai – Konfetti inklusive.

Pia Blomberg, „Nordstadt solidarisch“

„Profitdenken ist im Kapitalismus nicht nur legal, sondern erwünscht“

Im September wurde zuletzt der Investor Thomas Klinke Immobilien ausgezeichnet, der in der ehemaligen Landesfrauenklinik Hannover Luxusappartements plant. Den Preis bekam der Makler auf einer Info-Veranstaltung des Immobilienentwicklers BPD überreicht.

Eine Stunde nach der Übergabe des Preises wurden Demonstrierende beim Kaffeetrinken in der Nordstadt von der Polizei kontrolliert und teilweise in Handschellen abgeführt. Auch im Anschluss an die vierte Preisvergabe wurden nun von einigen Teilnehmer*innen der Demo die Personalien kontrolliert. Laut Nordstadt solidarisch wird Ihnen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vorgeworfen. Das Kollektiv kritisierte den Polizeieinsatz als unverhältnismäßig brutal.

Dennoch verlief die öffentlich angemeldete vierte Verleihung friedlicher. Investor Bievetskiy wurde mit dem Negativpreis stellvertretend für das Geschäftsmodell der Kurzzeit-Vermietung ausgezeichnet. In der Tulpenstraße hat er ein Mehrfamilienhaus mit 14 Mietparteien erworben. Laut eines Schreibens von Nordstadt solidarisch „gab es Geldangebote bei Auszug sowie Modernisierungsankündigungen“. Mittlerweile werden frei gewordene Wohnungen über das Internetportal Immobilienscout24 zur Kurzmiete angeboten: Zur Messezeit kostet eine Übernachtung 119 Euro pro Person.

Unter der prekären Situation auf dem Wohnungsmarkt leiden gerade ältere und ärmere Menschen. Laut einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) von 2019 haben mittlerweile selbst Mittelschichtsfamilien in Hannover Probleme bei der Wohnungssuche. „43 Prozent aller Haushalte müssen mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens allein für ihre Miete (bruttokalt) ausgeben“, so der DGB.

Gründe dafür sieht Tobias Just, wissenschaftlicher Leiter der IREBS Immobilienakademie und Professor für Immobilienwirtschaft an der Uni Regensburg, neben der Zuwanderung seit 2018 in zwei Faktoren. „Zum einen sorgte die Baulandvergabe nach dem Höchstbieterfahren für rasant steigende Bodenpreise“, sagt Just. „Und zum anderen kletterten Baupreise aufgrund verschärfter Bauvorschriften und der Verknappung im Arbeitsangebot.“

Um die Situation auf dem Immobilienmarkt gemeinwohlorientierter zu gestalten, müssten laut Just mehrere Strategien angewandt werden. „Zu so einem Maßnahmenbündel sollte gehören, dass Boden nicht nach dem Höchstpreisverfahren, sondern in Konzeptvergaben veräußert wird“, sagt er.

Drohung von ImmobilienbesiterInnen

Auch Aktivistin Blomberg, die selbst Mitglied der gemeinwohlorientierten Genossenschaft „Woge Nordstadt“ ist, hält solche Maßnahmen für hilfreich. Sie will sich für einen Wandel im Wohnungsmarkt auch während der Verleihung der letzten beiden goldenen Miethaie im November und Dezember stark machen.

Dass sich Blomberg und die anderen Aktivist*innen gegen Mieterhöhungen und Entmietung einsetzen, finden in der Nordstadt nicht alle gut: Vermeintliche Immobilienbesitzer*innen der Tulpenstraße haben Nordstadt solidarisch per Twitter kontaktiert. „Wir sollten uns bei der Demo doch besser gut vermummen“, wiederholt einer der Aktivist*innen die Drohung. „Aber wir lassen uns nicht einschüchtern – für uns ist das ein Zeichen, dass sich manche Investoren und Vermieter angesprochen fühlen. Und das ist gut so.“

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