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Protest gegen Sparprogramm"Hier kann ich tun, was ich will"

Bei einer Anhörung zu Jugendhilfe-Kürzungen melden sich im Rathaus viele Kinder zu Wort: Sie fürchten um ihre Mädchentreffs, Jugendclubs und Bauspielplätze.

Kritik auf den Punkt gebracht: Demonstration gegen die Kürzungen. Bild: dpa

Der Andrang war so groß, dass auch die Emporen im Festsaal geöffnet wurden. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) bescherte das am Ende der Anhörung zu den Kürzungen bei der Kinder- und Jugendarbeit am Dienstag einen peinlichen Moment. Es sei unverschämt, sagte eine Rednerin, die ihn zuvor von oben beobachtet haben musste, dass der Senator die ganze Zeit auf seinem Handy spiele. Tosen im Saal.

Zuvor hatten sie zwei Stunden lang konzentriert Kritik geäußert: Kinder, Jugendliche und Sozialarbeiter. Denn auf Streichlisten der Bezirke wird sie allmählich sichtbar, die angekündigte Kürzung im Volumen von 3,5 Millionen Euro. „Wir brauchen unsere Jugendcafés“ und „Mädchentreff statt Elbphilharmonie“ stand auf Transparenten, mit denen am Dienstag rund 800 Kinder und Erzieher vom Hauptbahnhof demonstrieren waren. Oder: „Olaf, wir wollen auch noch außerhalb der Schule Freunde haben“ – eine Anspielung auf Bürgermeister Scholz’ Idee von der Schule als alleinigem Mittelpunkt.

Im Rathaus dann saßen die Kinder vom Bauspielplatz Bonnepark in Bahrenfeld vor den Politikern auf dem Boden und brachten, als sie dran waren, die Kritik auf den Punkt: „Auf dem Baui kann ich selbst entscheiden, wann ich etwas tu“, sagte Umut. „Ob ich Feuer mache, Fußball spiele oder Hausaufgaben. Ich habe Sorge, dass ich diese Freiheit an der Ganztagsschule nicht mehr habe und es nur nach Stundenplan geht.“ So ähnlich äußerten sich etliche Kinder auf der Demo, auf der auffällig viele Mädchentreffs vertreten waren: Auch sie stehen auf der Abschussliste.

Das Jugendzentrum Bahrenfeld habe ihm sehr geholfen, sagte ein junger Mann, Fachabiturient. „Wenn sie da kürzen, nehmen sie Kindern die Chance, Kompetenzen aufzubauen.“ In Ganztagsschulen seien die Schüler nur bis 15 Uhr und in vollgestopften Klassen – „Die NDP tut mehr für die Jugend als der Hamburger Staat.“

Da schluckten die anwesenden Abgeordneten, nachdem zuvor eine beinahe feierliche Atmosphäre geherrscht hatte. Der Ausschussvorsitzende Gunnar Eisold (SPD) sprach mit dem ganzen Publikum so freundlich, wie man mit Kindern spricht. Und er erlaubte Applaus, der im Hohen Haus sonst immer verboten wird.

Ehe die Kinder wieder gingen, gab es noch „Feedback“ von der Politikerbank: Er sei zum ersten Mal auf einer Demo gewesen, sagte der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries. Die SPD brauche Geld, um ihr millionenschweres Wahlversprechen einer kostenlosen Kita einzulösen. Er sei auch Vater und würde die Beiträge lieber selbst zahlen, so de Vries: „Dann bräuchte man kein Geld in der offenen Jugendarbeit zu kürzen.“ Die kostenlose Kita sei wichtig, entgegnete die SPD-Abgeordnete Melanie Leonhard. Sie wisse, dass es zu „Kürzungen in anderen Bereichen kommt“.

Der Senator wird am 8. Juni zum Thema befragt. Er äußerte sich nun nur schriftlich – und wies darauf hin, dass die Kürzung „einmalig“ sei und es Änderungsbedarf gebe, da „bis zum Ende der Legislatur nahezu alle Grund- und Stadtteilschulen Ganztagsschulen“ seien. Dieser Umbau, der mindestens bis 2018 dauern soll, hat an vielen Schulen noch nicht mal begonnen. Und die betreute Ganztagsgrundschule ist auch nicht für alle Kinder geplant. Weshalb der FDP-Abgeordnete Finn-Ole Ritter fand, man solle vor dem Kürzen erst mal abwarten, „welchen Effekt die Ganztagsschule hat“.

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3 Kommentare

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  • S
    Stefan

    @Nachdenklich:

    Was meinst Du denn, von wem die Angebote wie Bauspielplätze usw genutzt werden? Von den Ganztagsschulen natürlich für ihr Nachmittagsprogramm! Das ist genau die Art der Kooperation, von der du schreibst. Ist schon seit langem in Planung.

    Es geht doch nicht darum, dass man fordert, bei der GBS weniger Geld fließen zu lassen und dieses in die offene Kinder und Jugendarbeit zu stecken. Vielmehr muß beides ausreichend gefördert werden. Geld ist genug da, gerade hier in Hamburg. Was soll man mit einer Elbphilharmonie, was mit einem protzigen "Opernboulevard" am Dammtor (um nur mal 2 Dinge zu nennen), wenn gleichzeitig das Geld für soziale Projekte fehlt?

    Und wenn ich schon "Besitzstandswahrungsbemühungen" lese! Es ist doch nicht so, dass die Angebote der offenen Kinder und Jugendarbeit nicht genutzt werden, im Gegenteil! Guck dich doch mal um in Jugendzentren, Bauspielplätzen usw. Es muss nur ausreichend Personal vorhanden sein, um die Massen an Menschen auch adäquat betreuen zu können. Und angesichts der Einsparungen ist der "Pessimismus" mehr als berechtigt. Mit Verlaub: Du scheinst keine Ahnung von der Materie zu haben...

  • Z
    ZweckundSinn

    Besser "Nachdenklich"

    Die offene Kinder- und Jugendarbeit zeichnet sich durch Offenheit, Niedrigschwelligkeit, Freiwilligkeit und Partizipation aus. Gerade diese Grundprinzipien dieser Arbeit ermöglicht erst den Zugang zu einem Klientel, dessen Erreichung auch ausgewiesenes Interesse der Fachbehörde ist. Der Hinweis der Fachbehörde, die Offene Kinder- und Jugendarbeit könnte sich über das neue Programm „Sozialräumliche Hilfen und Angebote“ (SHA) und über die Kooperation mit Schulen finanzieren ist zu kurz gedacht und hält einer inhaltlichen Prüfung nicht stand. Auch die Zusammenarbeit mit Schule, die an vielen Standorten bereits erfolgreich umgesetzt wird, braucht verlässliche und langfristige finanzielle und personelle Rahmenbedingungen, sowohl auf Seiten der Schule als auch auf Seiten der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen. Nur so können fachlich sinnvolle Kooperationen und die Entwicklung gemeinsamer, neue Bildungsinhalte- und Formen zum Vorteil aller gelingen.

    Diese Kürzungen sind fachlich, wissenschaftlich und vor allen Dingen menschlich eine Katastrophe. Wer sich die Mühe macht und sich die Zahlen genauer ansieht wird feststellen, dass es nicht um eine Umverteilung, sondern ganz klar um eine Kürzung von 10 % im Bereich in der Offenen Kinder- und Jugendendarbeit (3,5Mio.), handelt. Begründet wird dies durch die Verpflichtung zu einem ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2020 und die damit zusammenhängende „Schuldenbremse“. Ich frage mich ernsthaft, warum hier nicht gesehen wird, dass auf der anderen Seite für eine Summe von 415 Mio. Euro wirtschaftlich hoch brisante Anteile von Hapag-Lloyd gekauft werden, für die die Stadt allein 15 Mio. Euro Zinsen zu zahlen hat? Seht die Zwecke liebe Leute! Humankapital aktivieren und Menschen zu Betreuungsverfolgten machen, kann nicht Eurer ernst sein. Ein Senat der so agiert ist für mich nicht regierungsfähig! Dies ist nicht im Geringsten der „Ruf nach guter Herrschaft“, sondern eine Warnung!

  • N
    Nachdenklich

    In der Durchführung ist die Umverteilung der Ressourcen in diesem Feld sicher zu kritisieren, da die Einführung der Ganztägigen Bildung und Betreuung an Schulen (GBS)sicher nicht ideal verlaufen, und zweifelsohne machen die SozialarbeiterInnen und ErzieherInnen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit wirklich gute Arbeit für wirklich wenig Geld. Allerdings ist zu hinterfragen, ob GBS nicht auch eine Chance sein kann, vor allem die Kinder und Jugendlichen zu erreichen, die es bisher nicht einmal in die Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit geschafft haben. Wäre die "Mischung" von klassischer Klientel und den - überspitzt formuliert - wohlstandsverwahrlosten Mittel- und Oberschichtskindern nicht im Grunde wünschenswert? Und sind die Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit nicht ohnehin (qua Angewiesenheit auf staatliche Zuschüsse) von der Stadt Hamburg abhängig? Böte nicht eine anzustrebende Kooperation zwischen Schule und den bestehenden Einrichtungen einen gewissen Erkenntnisgewinn auf beiden Seiten? Wie soll man diese Erfahrungen machen, ggf. auch negative Bilanzen ziehen und dann erneut nachbessern, wenn man es gar nicht erst versucht? Die Besitzstandswahrungsbemühungen seitens der offenen Kinder- und Jugendarbeit mögen verständlich und ein Stück weit legitim sein, doch Pessimismus und Beharren auf Bestehendem verbessert die Welt nur sehr bedingt...