Protest gegen Abschiebungen in Berlin: Afghanen gehen auf die Straße
Am Samstag wird in Berlin erneut gegen Abschiebungen nach Afghanistan protestiert. Getragen wird die Demo vor allem von Afghanen selbst.
Rund 3.000 Menschen waren es, die im Dezember in Berlin an der ersten Demonstration gegen Abschiebungen nach Afghanistan teilnahmen, am heutigen Samstag könnten es noch mehr werden.
Für eine asylpolitische Demonstration ist das viel, doch die Teilnehmerzahl allein ist nicht das einzig Interessante an den Protesten: Auch wenn bekannte Organisationen wie der Berliner Flüchtlingsrat ebenfalls zu der Demonstration aufrufen, wird sie hauptsächlich von der afghanischen Community selbst getragen. Von der Oranienplatz-Bewegung ist zumindest auf der Straße heute kaum mehr etwas zu sehen – bahnt sich hier nun eine neue Welle selbst organisierter Flüchtlingsproteste an?
„Es gibt in der afghanischen Community in Berlin eine sehr, sehr große Verunsicherung und Angst“, sagt Kava Spartak vom Yaar-Verein für afghanische Flüchtlingshilfe, Integration und kulturellen Austausch. Und zwar nicht erst, seit die Bundesregierung begonnen hat, Menschen nach Afghanistan abzuschieben: „Viele afghanische Flüchtlinge haben von Anfang an die Erfahrung gemacht, dass ihnen der Zugang zu Sprachkursen und ähnlichen Maßnahmen mit Verweis auf ihre geringe Bleibeperspektive verweigert wurde“, sagt Spartak. Die Nachrichten über die ersten Abschiebungen würden die Verunsicherung nun noch stark steigern.
Integration als Auftrag
Den Berliner Verein Yaar gibt es seit gut vier Jahren, seit vergangenem Jahr wird er vom Senat gefördert und ist explizit damit beauftragt, zur Integration der hierher geflohenen Afghanen beizutragen. Nur: „Wir können unserer eigentlichen Aufgabe kaum nachgehen, weil wir so überrannt werden von Geflüchteten, die in Bezug auf ihr Asylverfahren völlig verunsichert sind“, sagt Spartak.
Denn seit etwa sechs Monaten gibt es beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) eine regelrechte Anhörungswelle in den Asylverfahren afghanischer Flüchtlinge – und immer mehr Anträge werden abgelehnt. Gleichzeitig würden unter den Flüchtlingen Berichte über Abschiebungen anderer EU-Länder nach Afghanistan kursieren, erzählt Spartak. Die Aussicht, auch in Deutschland kein Asyl zu finden, werde damit zur existenziellen Bedrohung – und zum Grund, sich politisch zu organisieren.
„Die Idee zu den Demonstrationen kommt aus der Community“, sagt Spartak, der selbst vor 26 Jahren mit seiner Familie aus Afghanistan nach Deutschland geflohen ist. Menschen wie er, die schon lange in Deutschland leben und gut vernetzt sind, treiben die Organisation voran.
In vielen Städten wird am Samstag gegen Abschiebungen nach Afghanistan protestiert. In Berlin beginnt die Demonstration um 13 Uhr am Brandenburger Tor, zieht von dort an der Senatsverwaltung für Inneres vorbei durch Mitte und endet am Alexanderplatz.
Aufgerufen hat das Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan, zu dem unter anderem das Afghanische Kommunikations- und Kulturzentrum, der Berliner Flüchtlingsrat, die Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen, der Migrationsrat Berlin-Brandenburg und das Bündnis gegen Rassismus gehören.
Weitere Informationen gibt es am Samstag unter twitter.com/abschiebestopp. (mgu)
„Es gibt Leute von uns, die in die Heime gehen, mit den Menschen sprechen und sie auf den Protest aufmerksam machen“, sagt er. Dabei ginge es auch darum, diejenigen, die noch ein Bleiberecht bekommen haben, davon zu überzeugen, sich auch für die einzusetzen, denen es anders geht.
Für einen Paradigmenwechsel
Vor der neuen Direktive der Bundesregierung gab es so gut wie keine Abschiebungen nach Afghanistan – auch aus Berlin wurde 2016 niemand in dieses Land abgeschoben, teilt die Senatsverwaltung für Inneres mit. Im Moment zählt Berlin zu den Bundesländern, die weiterhin nicht nach Afghanistan abschieben – mit Ausnahme von straffällig gewordenen Asylbewerbern.
Im Koalitionsvertrag hatte die neue Regierung einen „Paradigmenwechsel“ beim Thema Abschiebungen versprochen. Unter anderem heißt es dort: „Rückführungen in Regionen, in die Rückführungen aus humanitären Gründen nicht tragbar sind, wird es nicht mehr geben.“
Momentan haben die Länder die Möglichkeit, eigenmächtig die Abschiebungen in ein bestimmtes Land für drei Monate auszusetzen, wenn aus ihrer Sicht humanitäre Gründe dagegen sprechen. Allerdings: Auf dem Bund-Länder-Gipfel am Donnerstag zu diesem Thema gab die Bundesregierung bekannt, genau an dieser Stelle der Gesetzgebung eine „Vereinheitlichung“ anzustreben – möglich also, dass dieses Schlupfloch bald geschlossen wird.
„Wir haben weiter Hoffnung, dass dieses himmelschreiende Unrecht, nach Afghanistan abzuschieben, nicht umgesetzt wird“, sagt Spartak.
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