Protest für mehr Lohn: Der Streik der Arbeitgeber_innen
Behinderte Arbeitgeber_innen besetzen den Haupteingang des Berliner Abgeordnetenhauses. Sie kämpfen für höhere Löhne für ihre Assistent_innen.
Schon 2020 hatte Sam – Sams richtiger Name ist anders – hier protestiert. Damals wie heute geht es den Demonstrant_innen um höhere Löhne für ihre Assistent_innen.
Denn Sam ist, wie viele andere hier, behinderte_r Arbeitgeber_in, das heißt, die Assistenzkräfte, die Sam im Alltag unterstützen, sind nicht über einen Assistenzdienst angestellt, sondern direkt bei Sam.
Dieses sogenannte Arbeitgeber_innenmodell wurde „hart erkämpft“, erklärt Sam, „für uns bedeutet es maximale Selbstbestimmung“. Es werde aber immer schwieriger, Assistent_innen zu finden, denn die Bezahlung ist vergleichsweise schlecht: 2019 hatten die beiden großen Berliner Assistenzdienste Haustarifverträge abgeschlossen.
Seitdem werden die Assistent_innen dort nach Entgeltgruppe 5 (TV-L) bezahlt. Die im Arbeitgeber_innen-modell Beschäftigten sind damit zwei Entgeltstufen niedriger eingestuft als ihre Kolleg_innen bei den Diensten. Hinzu kommt: Bei Ausfällen müssen sie spontan einspringen. Die Arbeitsbelastung ist für sie also höher.
Daher wollten die behinderten Arbeitgeber_innen nachziehen und haben als neugegründete Tarifgemeinschaft „Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber*innen mit Persönlicher Assistenz“ mit der Gewerkschaft Verdi eine Tarifeinigung erzielt, die höhere Löhne für die Assistent_innen vorsieht. Dazu hatte ihnen die damalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) nach ihrem Protest 2020 geraten.
Die Polizei räumt nicht
Dieser Tarifvertrag muss nun vom Land Berlin refinanziert werden – wie es auch im Koalitionsvertrag steht. Um den Prozess zu beschleunigen, hatte das „Bündnis für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen“ am Mittwoch zum erneuten Protest aufgerufen. Anlass ist eine Sitzung des Hauptausschusses, der den Landeshaushalts maßgeblich bearbeitet.
Nach einer Viertelstunde ist die Polizei da, räumt aber nicht. Der Aufforderung, sich wegzubewegen oder „wenigstens leiser zu sein“, will hier keine_r nachkommen: „Die wollen jetzt, dass wir hier Platz machen, aber unser ganzes Leben ist voller Barrieren“, ruft eine Aktivistin.
Eine halbe Stunde später stellt sich schließlich Franziska Becker (SPD), Vorsitzende des Hauptausschusses, den Protestierenden und erklärt, sie werde „da noch mal nachfragen, wie das jetzt genau vorgesehen ist“. Man werde sich „drum kümmern, brauche aber „noch ein bisschen mehr Zeit“ ergänzt ihr Kollege Tobias Bauschke, sozialpolitischer Sprecher der FDP.
„Wie viel Zeit sollen wir Ihnen denn noch geben?“, fragt Steffen Willaredt, Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber*innen mit Persönlicher Assistenz“. „Wenn wir bis in zwei Wochen nichts hören, stehen wir wieder hier.“ Das zieht bei Tobias Bauschke, er verspricht: „In 14 Tagen melden wir uns.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe