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Protest an der Berliner VolksbühneTheater der verpassten Chancen

Sophia Zessnik
Kommentar von Sophia Zessnik

Das Theaterduo Vinge und Müller sagt die Intendanz der Volksbühne ab, auch wegen der Etatkürzungen. Zeit, dass Kultursenator Joe Chialo handelt.

Übergangslösung für Intendanz der Volksbühne gescheitert: Die Fassade der Volksbühne im Rahmen des Aktionstag #BerlinistKultur Foto: Christoph Gollnow/dpa

K rise als Chance. So formulieren es die, denen eine Krise nichts anhaben kann. Die, die weich fallen werden, weil sie abgesichert sind. Vor allem finanziell.

Als „Chance“ bezeichnet der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) die aktuelle Haushaltskrise, die seinen Verantwortungsbereich besonders hart trifft: 130 Millionen Euro, das sind rund 13 Prozent des Kulturetats. Die Proteste dagegen sind laut: Seit Wochen demonstrieren Kulturschaffende lautstark vor dem Bundestag, veranstalten Trauermärsche durch die Stadt und drücken ihre Verzweiflung in sozialen wie herkömmlichen Medien aus.

Einen drastischen Schritt ging nun das norwegisch-deutsche Theaterduo Vegard Vinge und Ida Müller, das ursprünglich als Interimsleitung für die Berliner Volksbühne vorgesehen war, nachdem deren Intendant René Pollesch Anfang des Jahres überraschend verstorben war. Vinge und Müller sollten das Traditionshaus bis 2027 übernehmen, sagten dies nun aber ab. Ein Grund seien die aktuellen Haushaltskürzungen, geht aus einem Schreiben der Künstlerischen Betriebsdirektorin, Celina Nicolay, an die Belegschaft hervor.

Schon nach der Ankündigung, dass Vinge und Müller die Interimsintendanz der Volksbühne übernehmen würden, wurde Kritik daran laut, dass den als „radikal“ geltenden KünstlerInnen Leitungserfahrung fehle. Ihre an Überforderung, Anarchismus und der „Lust an der Destruktion des Theaters“ orientierte Kunst habe sich zudem noch nicht auf großen Bühnen bewiesen, schrieb hierzu erst unlängst taz-Autorin Katrin Bettina Müller.

Bis zu zwölf Stunden können Vorstellungen des Duos dauern, das mit seiner Arbeit regelmäßig an die Ekel- und Schmerzgrenzen des Publikums, gerne auch über sie hinaus geht. „Ihr ‚Zwölfspartenhaus‘ bei den Festspielen oder die Ibsen-Inszenierungen am Prater der Volksbühne gehören zum Eindrücklichsten und Verstörendsten, was man in Berlin in den letzten Jahren auf der Bühne sehen konnte“, schreibt die Berliner Zeitung. Eigentlich nicht die schlechteste Voraussetzung.

Haus mit Starbesetzung

Besonders für ein Haus wie die Volksbühne, das dafür bekannt ist, Theater radikal zu denken: Unter der 25 Jahre währenden Intendanz Frank Castorfs machte das Haus viele Schlagzeilen. Größen wie Corinna Harfouch, Martin Wuttke, Kathrin Angerer, Sophie Rois und Alexander Scheer bespielten die Bühne, Regisseure wie Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief und René Pollesch sorgten für vielbesprochene Inszenierungen.

Nur lässt sich auf diesem auch internationalen Ruhm nicht ausruhen. Seit Castorfs Weggang kränkelt das Haus, rappelt sich immer wieder auf, trotz Missbrauchsvorwürfen und dank bedeutender Arbeiten von Künstlerinnen wie Constanza Macras und Florentina Holzinger.

Letztere sorgte erst unlängst wieder an zwei Abenden mit ihrer Oper „Sancta“ für ein ausverkauftes Haus. Doch die Produktionskosten für so ein Bühnenspektakel sind hoch. Zwei Millionen Euro, die der Volksbühne nach den Sparmaßnahmen weniger zur Verfügung stünden, fallen da ins Gewicht.

„Wenn Krise einen Bruch in Kontinuität und Normalität bedeutet, dann entsteht durch Lebensübergänge eine Weiche für den weiteren Lebensweg. Hier entscheidet sich, ob ein Bruch zu einem Durchbruch oder einem Zusammenbruch führt“, hieß es im Deutschlandfunk.

Doch Krise als Chance? Dafür müsste der Kultursenator die Verantwortung auch mal übernehmen. Er sollte aktiv auf die von den Kürzungen Betroffenen zugehen und die Krise managen, statt nur zu bedauern, was er zwar nicht direkt mitverantwortet, aber immerhin entschieden hat.

Gerade wirkt es nicht so, als habe er einen Plan, wie es weitergehen soll, die Leitungsabsage an der Volksbühne ist nur das aktuellste Beispiel. „Ja, nichts ist okay!“, würde René Pollesch jetzt vielleicht sagen und die Lage der Kultur treffend zusammenfassen.

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Sophia Zessnik
Redakteurin für Theater
Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.
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