Prostitution: Grenzverkehr auf der Potse
Prostitution sind die Anwohner der Potsdamer Straße gewohnt. Doch aggressiv anschaffende Frauen und ihre Zuhälter verschlechtern das Klima im Kiez. Nun ist auch noch ein großes Bordell geplant.
"Die sollen bloß weg", sagt der Kebab-Imbiss-Besitzer unweit des U-Bahnhofs Kurfürstenstraße. Er meint die osteuropäischen Straßenprostituierten vor dem dortigen Sexkaufhaus LSD. "Ich will die nicht mehr sehen", sagt auch der Mann von der Eisdiele daneben. Ein Bistro weiter ist die Stimmung nicht besser: "Wir sind absolut dagegen." Der Wirt beschreibt, wie sich Frauen vor dem Sexkaufhaus auf ihn gestürzt haben, als er an der Ampel wartete: "10 Euro, sagt sie und will mich ins LSD ziehen." Prostitution, das kenne man auf der Potsdamer Straße, damit habe man sich arrangiert, aber zu viel sei zu viel.
Der Kiez rund um den U-Bahnhof ist in Aufruhr. Im letzten halben Jahr tauchen an der Grenze zwischen Tiergarten und Schöneberg vermehrt Prostituierte aus Bulgarien, Rumänien, Ungarn auf. Sie werden von Geschäftsleuten und Passanten als sehr aggressiv geschildert. "Sie machen Männer direkt an, kneten ihre Brüste, spielen mit der Zunge rum, nötigen Autofahrer zum Halten", erzählt eine Mitarbeiterin aus dem Bezirksamt. "Neulich saß bei mir plötzlich eine Prostituierte im Auto, als ich an der Ampel hielt", berichtet ein Anwohner. Eine Passantin sagt, sie habe gesehen, wie einer Prostituierten direkt vor Bolle ins Gesicht geschlagen wurde.
Das aggressive Auftreten der Frauen und ihrer Zuhälter wirke sich mittlerweile geschäftsschädigend aus, sagt Detlef Matuscewska, Filialleiter von Woolworth: "Kunden sagen, das ginge so nicht." Auch seine Mitarbeiterinnen klagen über die Anmache, das Geschrei und das unwürdige Vermarkten der Körper.
Matuscewskas Büro ist ein Logenplatz mit direktem Blick auf die Straße vor dem Sexkaufhaus. Ein Dutzend junger Frauen in Straßenkleidung stehen vor den Schaufenstern oder lehnen gegen parkende Autos. Fast jeden Mann, der an ihnen vorbeiläuft, sprechen sie an. Bei manchen haken sie sich ein und zeigen zum Hintereingang des LSD. In den dortigen Videokabinen soll der Verkehr stattfinden. Den Frauen ist es egal, wie die Männer aussehen - ob jung oder alt, ob bärtiger Muslim von der angrenzenden Moscheegemeinde oder Fahrradfahrer. Man sieht, dass die Prostituierten durch den Hintereingang im Sexkaufhaus ein und aus gehen. Man sieht, wie die Frauen miteinander streiten. Man sieht, wie Zuhälter in großen Schlitten ankommen und wegfahren. Der Ton ist rau.
Verschärft wird die Situation durch ein Bordell mit 40 Zimmern, das in den bisher leeren Etagen über dem LSD geplant ist. Der Antrag ist gestellt. Baurechtlich wäre ein Bordell an dieser Stelle zulässig, denn die Ecke gilt nicht als reines Wohngebiet. Der zuständige Schöneberger Stadtrat Bernd Krömer (CDU) will die massiven Bedenken, die von Quartiersmanagement, den Anwohnern, Vereinen, Schulen und Kirchengemeinden eingebracht werden, jedoch nicht übergehen. Er will "rechtskonform, aber auch angemessen" entscheiden.
Prostitution gibt es schon lange im Kiez. Zu Westberliner Zeiten hatte die Mischung aus Kultur, Gewerbe und Sex hier fast Weltstadtflair. Nach der Wende indes kam zum käuflichen Sex der wirtschaftliche Niedergang. Mit Hilfe des Quartiersmanagements, engagierter Eingesessener und sozialer Projekte wurde versucht, diese Entwicklung zu stoppen, was halbwegs gelang.
Die osteuropäischen Prostituierten bringen nun das fragile Gefüge ins Wanken. Sie tragen extreme Konkurrenz in die Szene, bestätigen Sozialarbeiterinnen von Olga, einer Beratungsstelle für drogenabhängige Prostituierte. Sie versuchen mit den Frauen in Kontakt zu kommen, verteilen Kondome, scheitern aber meist an Sprachbarrieren.
"Der Kiez ist kein katholisches Wolkennest, aber wir fürchten, dass die soziale Stabilisierung so nicht aufrechtzuerhalten ist", fürchtet Michael Klinnert vom Quartiersmanagement Magdeburger Platz. "Die Frage für oder wider das Bordell, auf die sich die öffentliche Auseinandersetzung jetzt zuspitzt, kann die eigentliche Problematik nicht lösen", meint indes eine Frau, die im Café Isotop in der Pohlstraße sitzt. In letzter Zeit hab sich die ganze Atmosphäre im Kiez verändert. "Wenn ich nachts unterwegs bin, bekomme ich dauernd Offerten." Sage sie zu den Freiern, sie sei keine Prostituierte, werde sie gefragt, was sie dann auf der Straße zu suchen habe.
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