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Propagandamaterial

■ Die Einstürzenden Neubauten verfeinern ihre 80er-Hausbesetzer-Gesinnung weiter

Einstürzende Neubauten: das war wie Ton Steine Scherben schon im Bandnamen Programm. Das Konzept modernistischer Dichtung auf den Poptitel gebracht. Bejahung von Neubauten, weil sie schon in ihrem Zerfall gesehen werden. Der modernistische Dichter ist deshalb immer ein wenig melancholisch. Er muss in seinen Texten gegen den Ennui, seine Langeweile, wüten. Er muss sich im Stil, als Dandy interessant machen. Er hat die ewige Wiederkehr gesehen und fühlt sich deshalb der Erinnerung und dem dionysischen Gelächter verpflichtet.

Die Einstürzenden Neubauten haben diese Poetik des 19. Jahrhunderts, die der Philosoph Walter Benjamin systematisierte, popularisiert. Und ihre politisierende Kraft musikalisch zu retten versucht. Silence Is Sexy, die jüngste Veröffentlichung der Band zu ihrem 20jährigen Bestehen, lässt dies vielleicht deutlicher hervortreten als je zuvor. Sie ist ein Essay voller Anspielungen und dabei amüsanter denn je. Als Rockstars in Würde zu altern ist nicht leicht. Zumal für eine Band, die aus der Hausbeset-zerbewegung in Berlin Anfang der 80er in einem politischen Kontext entstanden ist, der nurmehr als Ruine, in Resten existiert. Den Neubauten gelang es, darüber nicht zu resignieren oder ihren Anspruch aufzugeben. Sie haben ihre Arbeit verfeinert. Den Parolen der frühen Jahre ist eine Reflexion gewichen, die sich gleichwohl in bald jeder Zeile, jedem Sound gegen das Bestehende wendet. Das Bestehende: das Deutschland, das seine historischen Narben vertuscht, die neue kapitalistische Weltordnung, die eigene Identität und sogar das Weltgebäude des toten Gottes.

Die Strategie der Einstürzenden Neubauten gegen diese Architekturen ist ihre Liebe zum spezifischen Material, zum Wort- und Klangmaterial, wie es unseren Alltag umgibt. Sie kochen nicht in Einbauküchen, sondern schlagen darauf ihre Küchenlieder. Das Material aber ist widerständig. Im Song wird dieser Widerstand nicht gebrochen, sondern wirksam als Sound. Die Musik der Neubauten ist insofern bester historischer Materialismus, politische Praxis präfigurierend. Ole Frahm

Mo, 22. Mai, 20 Uhr, Kampnagel, k6

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