„Prominenz-Journalisten“ und Syrien: „Verblendung gepaart mit Eitelkeit“
Jürgen Todenhöfer und Peter Scholl-Latour schreiben freundlich über Syriens Herrscher Assad und geben sich als Aufklärer. Rafik Schami macht das wütend. Ein Selbstgespräch.
Seit Ausbruch des syrischen Aufstands am 15. 3. 2011 komme ich nicht zur Ruhe. Über 90 lange und unzählige Kurzinterviews habe ich bis Ende Februar 2012 gegeben. Die meisten davon schriftlich. Ich komme mir inzwischen wie ein fester Mitarbeiter der deutschsprachigen Medien vor.
Die Interviews streiften das gesamte Spektrum der arabischen Geschichte, Religionsgemeinschaften, Literatur, Politik, Revolution, Islamisten, Gegenwart und Zukunft. Die arabischen Aufstände und speziell die syrische Revolution haben vieles auf den Kopf gestellt. Es gab Tage, an denen sprachen Analphabeten mitten aus einer Demonstration Weisheiten, die kein syrischer Intellektueller besser hätte formulieren können. Kinder wurden gefoltert und Frauen führten mutiger als Löwinnen Demonstration an – und behielten dabei ihre Kopftücher auf! Syrische Christen riefen im Kugelhagel „Allahu Akbar“.
Aber mit der Zeit drängen sich immer mehr Fragen auf, deren Beantwortung Ruhe und eine Betrachtung von mehreren Seiten verlangen. Es geht um die Rolle arabischer Intellektueller vor und nun während der Revolution. Was kommt nach der Revolution? Müssen die Islamisten erst siegen, um dann zu verschwinden? Was ist mit den Palästinensern, von denen viele an die Regime der Assads glaubten, obwohl sie von diesen immer wieder auch gedemütigt und bekämpft wurden? Und: Wie und was soll Europa von der arabischen Revolution lernen?
Die Nacht sammelte meine Splitter zusammen. Da ich nur wenig Schlaf brauche, nahm ich die Zeit nach Mitternacht, um einige dieser Fragen in Ruhe für mich zu beantworten. Es wurden mehrere Nächte. Meine Recherche erfolgt zum größten Teil über das Internet. Für Neugierige habe ich die Artikel, die ich für dieses Selbstgespräch gelesen habe, angegeben.
Ich frage mich, was hat dich dazu veranlasst, den Begriff „Prominenz-Journalismus“ einzuführen. Was ist das genau? Und warum beschäftigt dich das so?
Ich glaube, dass wir in den letzten zehn Jahren eine Art Recycling von abseits geratenen Prominenten erleben. Wir sehen sie in Fernsehshows und immer wieder als angebliche Experten. Ihre Eitelkeit macht sie käuflich. Sie schreiben oft schlecht und sind oft unglaubwürdig, aber sie können durch die bewährten Seilschaften an die großen Medien herankommen.
Autoren wie Jürgen Todenhöfer oder Peter Scholl-Latour finden den Absatz ihrer bedenklichen Sympathien für Mörder wie Assad nicht etwa auf den Seiten der Bild-Zeitung. Sie sitzen bei ARD, FAZ, FAS und Die Zeit in der ersten Reihe. Und sind sie einmal da, werden sie von hunderten kleineren Medien zitiert. Man kann darüber den Kopf schütteln, aber das ist zu wenig. Ihre Beiträge sind kaum zu ertragen.
Der Syrer: geb. 1946 in Damaskus. Stammt aus einer christlich-aramäischen Familie. Besuchte ein jesuitisches Klosterinternat im Libanon. Studierte in Damaskus Chemie, Mathematik und Physik. Mit 19 Jahren gründete er die Wandzeitung al-Muntalek ("Ausgangspunkt"), die 1969 verboten wurde. Schami musste flüchten und Syrien verlassen.
Der Schriftsteller: lebt seit 1971 in der Bundesrepublik. Arbeitete in Fabriken, als Verkäufer, Kellner und im Baugewerbe. 1979 Promotion in Chemie. Seit 1982 freier Schriftsteller. 2011 wurde er u. a. mit dem "Georg-Glaser-Preis für Literatur" sowie dem "Preis gegen das Vergessen und für Demokratie" ausgezeichnet. 2004 erschien im Carl Hanser Verlag sein großer Roman "Die dunkle Seite der Liebe", 2011: "Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte. Oder wie ich zum Erzähler wurde". Sein Werk wurde in 25 Sprachen übersetzt. Rafik Schami ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Das Selbstgespräch: Lesen Sie im Editorial der taz, wie der Beitrag von Rafik Schami zustande gekommen ist.
Was ist es, das diesen Prominenz-Journalismus so überzeugend wirken lässt, so dass ihm auch angesehene Presseorgane ganzseitige Veröffentlichungen einräumen?
Prominenz-Journalisten verfügen offensichtlich über wundersame Eigenschaften.
Erstens sind sie als Politiker oder ehemalige Journalisten geübt darin, so sensationell wie die Boulevardpresse zu schreiben. Oder etwa in einem kurzen Film von 30 Minuten zehn mal hin und her zu fliegen. Von Frankfurt nach Kairo, nach Tripoli, Bengasi oder Damaskus. Und in jedem Bericht so zu tun, als seien sie gerade noch der Verhaftung entkommen. Wie in B-Filmen oder Groschenromanen sind sie zwar ohnmächtig gegenüber bewaffneten Soldaten, aber natürlich sind sie klüger als diese. Sie lächeln sie an und entwaffnen sie.
Das allein lässt viele Presseorgane der Bundesrepublik vor ihnen einknicken, da sie selber kaum noch Reporter vor Ort haben. Es kommt einer Erpressung gleich. Todenhöfer und Scholl-Latour wiederholen das in jedem Artikel und Gespräch: Ich war ja da, ihr nicht. Als ob die bloße Anwesenheit ein Qualitätsmerkmal wäre, aber der erpresserische Moment wirkt.
Zweitens unterhalten diese alten Herren in der Tat langjährige Beziehungen zu Diktaturen, die sie nun aktivieren. Und plötzlich trinken sie Tee mit Assad. Das beeindruckt bedauerlicherweise viele Redaktionen.
Jürgen Todenhöfer wurde am 12. November 1940 als Sohn eines Amtsrichters im badischen Offenburg geboren. Er ist ausgebildeter Jurist und trat 1970 der CDU bei. Von 1972 bis 1990 war er Bundestagsabgeordneter der CDU. Er wurde dem konservativen Flügel der Partei zugerechnet. Nach 1990 zog er sich von der aktiven Parteiarbeit zurück und war bis 2008 Manager im Burda-Medienkonzern. Er bereiste als Kritiker der Sowjetunion und immer mehr auch der USA verschiedene Krisenregionen der Welt. Zuletzt traf er sich im November mit Assad in Syrien.
Ebenso wie der 1924 geborene Peter Scholl-Latour neigt er dazu, die Weltereignisse aus einer vermeintlich neutralen Gipfelkulisse zu beleuchten. Scholl-Latour traf sich mit dem syrischen Diktator im Dezember. Der frühere ARD- und ZDF-Fernsehjournalist ist Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Wegen seiner Nähe zur neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit geriet er wiederholt in die Kritik.
***
Ihre Texte:
„Die Kirschen aus Daraa“; Todenhöfer in der Zeit (Juni 2011)
„Chile klarmachen“, Todenhöfer im Spiegel (1975)
„Reise in ein verbotenes Land“; Todenhöfer in der Frankfurter Rundschau (26.11.2011)
„Wir inspizierten gerade ein glimmendes Wrack“; Interview mit Todenhöfer im Tagesspiegel (23.01.12)
„An der Seite des Mörders Assad“: Daniel Brössler in der Süddeutschen Zeitung (12.1.12)
„Die syrische Tragödie“; Todenhöfer in der FAS Nr. 7 vom 19. 2. 2012, S. 25
„Der syrische Knoten“; Todenhöfer in der FAZ vom 12. 12. 2011
„Nachdenkliches von Todenhöfer zu Syrien“; Blogger-Beitrag auf freitag.de
„Linke Solidarität mit Schlächter Assad“; Spiegel-Online (10.1.12)
„Assad ist durch die Krise stärker geworden“; Interview mit Todenhöfer bei Morgenpost-Online (23.1.12)
„Scholl-Latour in Syrien bei Assad“; Bericht auf zenithonline.de (21.12.11)
„Den Sicherheitsrat kann man vergessen“; Interview mit Scholl-Latour in der Passauer Neuen Presse (2.2.12)
Und was ist daran so schlimm, dass sie als Prominente aufklären wollen?
Gar nichts. Aufklärung ist immer gut. Aber wenn der Prominenz-Faktor zur Blendung führt und zur Akzeptanz einer von Fehlern, Rassismus und Falschheit getränkten Berichterstattung, so ist das nicht akzeptabel. Verblendung gepaart mit Eitelkeit ist gefährlich. Verblendung nicht nur gegenüber einer Diktatur, sondern auch gegenüber deren Gegnern.
Ein erwachsener Mensch muss sich doch die simple Frage stellen: Warum werden alle Journalisten aus Syrien verjagt, und warum bekomme ich die Erlaubnis, mit Kamera und Mikrofon von Damaskus loszufahren, werde an den Kontrollpunkten durchgelassen, um in die Hochburg des Aufstands zu gelangen? Und wenn der Prominenz-Journalist sich nicht einmal fragt, warum Daraa, die Wiege der Revolution, auf einmal so ruhig ist, sondern nur begeistert von den günstigen Kirschen schwärmt, dann ist man verblendet.
„Nirgendwo sehen wir uniformierte Polizei, nur zwei Soldaten beim Kaufen von Aprikosen. Ich sehe kleine knackige Kirschen. Kirschen aus Daraa sind eine syrische Köstlichkeit. Ich kaufe ein Kilo für 25 syrische Lira, das sind 35 Cent,“ so Todenhöfer. Und dann geht es weiter, in Humphrey-Bogart-Stil: „Der Anführer der Geheimpolizisten, ein übermüdeter, älterer Mann mit kurzen grauen Haaren, schaut mir nachdenklich in die Augen. Ich schaue ihm genauso nachdenklich in die Augen.“
Damals, im Juni 2011 waren bereits Tausende umgebracht und Zehntausende Menschen entführt, verschleppt und verhaftet worden. Das ist Verblendung total. Was mich bei Todenhöfer bis zur Empörung erstaunt. Er setzt das elf Monate nach dem Ausbruch des Aufstands in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, FAS, vom 19. 2. 2012 fort: „In manchen Stadtteilen von Homs, das ich zweimal besucht habe, hängen noch immer große Poster mit Assads Bild. Im größten Teil von Homs (es mögen 70 Prozent sein) geht das Leben seinen normalen Gang.“
Der Prominenz-Journalist hat noch nicht begriffen, in welchem Theater er seine naive Rolle bekommen hat. Ob Scholl-Latour oder Todenhöfer, sie singen unbeeindruckt von der Wirklichkeit eine Lobeshymne auf den weisen Baschar al-Assad.
Für sie ist Baschar al-Assad außerhalb der Gesellschaft. Ein Eremit auf einem fernen Berg, von dem sie die Erlösung erhoffen.
Todenhöfer im Januar 2012 über Assad: „Er ist Arzt, und so wirkt er auch – nicht wie ein arabischer Potentat. Er ist ein Mann, der Sie an der Tür abholt, ohne Security. Der nicht trickreich argumentiert. Er hat mir gesagt, Demokratie sei für Syrien ’zwingend‘, er werde das Land in die Demokratie führen.“
Scholl-Latour: „Er wirkte selbstbewusst, heiter und entspannt“, „Assad wirkte sehr locker“. Nun beeilte sich Todenhöfer, auch mit Assad Tee zu trinken, um uns am 19. 2. 2012 (FAS) nach 8.000 Toten, 50.000 Verschleppten und einer fast zerstörten Stadt Homs mitzuteilen: „Wenn der im Westen ausgebildete Assad derselben Meinung ist, muss er sich an die Spitze der Demokratiebewegung stellen“, und Todenhöfer ist geschickt. Er findet angeblich einen so verblödeten Marxisten, der angeblich 14 Jahre im Assads Kerker saß, um zu der erleuchteten Schlussfolgerung zu kommen: der Einzige, der Demokratie auf friedlichem Wege bringen könne, sei Assad.
In Wirklichkeit ist Assad der Befehlshaber der Armee und oberste Herr der 15 Geheimdienste und der mafiösen Vetternwirtschaft in Syrien. Aber die Lernresistenz bei Todenhöfer & Co kennt keine Grenzen. Hat sich ein solcher Journalist nicht gefragt, welche Leute das Land seit vierzig Jahren beherrschen und ausbluten lassen? Wie wurden Verwandte des Präsidenten zu Multimillionären, so wie sein Bruder Maher und sein Onkel Rifaat al-Assad, oder gar zu Milliardären wie sein Cousin Rami Makhlouf? Wie konnte Baschar al-Assad die Republik vom Vater einfach erben? Was machen die 15 Geheimdienste? Was hat Assad jun. in den letzten zehn Jahren daran gehindert, das Land zu reformieren? Was mich noch mehr erstaunt: Gab es keinen Redakteur in FAZ, FAS, Die Welt oder FR, der ihm sagte, den Schmarrn haben Sie bereits vor sechs Monaten in der Zeit behauptet – die Wirklichkeit sieht aber nun mal anders aus?
Ich frage mich aber auch: Wie erklärt man sich die Sympathie, die solche Prominenz-Journalisten ebenfalls unter Linken und manch kritischer Zeitung wie Der Freitag erhält?
Die Linkspartei-Abgeordneten Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter und deren außenpolitische Sprecherin Sevim Dagdelen vertreten ähnliche Haltungen wie die Prominenz-Journalisten Todenhöfer und Scholl-Latour. Auf einmal stehen sich Extremlinke und reaktionäre alte Herren so nahe. Das erstaunt, aber es ist nicht neu.
Ich habe als Student in Heidelberg in den 1970er Jahren erlebt, wie Anhänger einer linksradikalen Studentengruppe gegen uns und unsere chilenischen Freunde, aber für Pinochet, Sadat und Assad auftraten. Damals war Todenhöfer CDU-Bundestagsabgeordneter und wie CSU-Chef Franz Josef Strauß ein bekennender Freund des chilenischen Diktators Pinochet. Heute lügt Todenhöfer, wenn er sich als einstigen Kritiker des Mörders Pinochet darstellt. Sein Pech ist, dass seine Freundschaft dokumentiert ist. Einige Linkspartei-Abgeordnete verschließen heute die Augen vor den über 7.000 ermordeten und 50.000 gefangenen Menschen seit dem Beginn des Protests. Sie wollen Assad bis zum letzten Syrer verteidigen.
Ich frage mich, ob die Haltung dieser Linksparteiabgeordneten etwas mit der Russlands zu tun hat, so dass sie parallel und nur scheinbar identisch mit dem launischen, oberflächlichen Prominenz-Journalismus erscheint, in Wirklichkeit aber Teil einer globalen Politik ist.
Es ist nicht einfach scheinbar und zugleich nicht ganz identisch. Es ist eine merkwürdige Konstellation der Freunde des Assad-Regimes. Todenhöfer findet die Russen auf einmal sehr klug und die Linkspartei vertritt in Teilen, wie die DKP und SED früher, die Meinung der Russen. Die russischen Machthaber aber sind keine Vermittler, sondern stehen eindeutig auf der Seite des Diktators. Sie liefern ihm Waffen, Militär- und Geheimdienst-Experten zur Bekämpfung des syrischen Volkes. Russland ist Partei in dem Konflikt, es folgt seinen historisch gewachsenen geopolitischen Interessen.
Die Russen haben seit der Zarenzeit von Warmwasserhäfen geträumt. Ihre Politik stand nicht selten unter diesem Drang. Persien, Indien, der frühere Südjemen, Syrien, Ägypten, Libanon oder die Türkei wurden gezielt angegangen. Die imperiale russische Politik scheiterte aber auf der ganzen Linie. Heute haben sie nur noch in Syrien offene Häfen am Mittelmeer und ihren letzten Stützpunkt. Die arabischen Diktatoren haben in den 1960 und 1970er Jahren Milliarden-Waffengeschäfte mit der früheren Sowjetunion getätigt. Dafür verrieten die Sowjets auch die arabischen Kommunisten an die jeweiligen Machthaber.
Es war makaber, russische Kommunisten in Eintracht und inniger Freundschaft (inklusive Küsschen) mit ägyptischen, syrischen, irakischen oder algerischen Diktatoren zu sehen, während arabische Kommunisten in den Kellern der jeweiligen Geheimdienste und in Folterlagern in der Wüste starben. Ostdeutsche Spezialisten sowie KGB-Experten bauten den syrischen Geheimdienst mit auf. Und die arabischen Stalinisten kramten nach Zitaten von Lenin oder Stalin, die diesen Verrat unter „Unabhängigkeit der kommunistischen Bewegung und der sozialistischen Länder in ihrem politischen Handeln“ rechtfertigen sollten.
Für die Kommunisten in den arabischen Ländern war das der größte Schock ihrer Geschichte. Die Rechtfertigung aber wirkte so vertikal in die Seelen der Stalinisten, dass heute zwei winzige K-Parteien (mit jeweils ein paar hundert Anhängern) Assad in Syrien unterstützen. Putin, der heutige russische Machthaber und ehemalige KGB-Offizier, handelt in diesem Sinne in der Tradition seiner Vorfahren.
Die Russen werden bei einer Befreiung Syriens die großen Verlierer sein. Deshalb klammern sie sich an Assad. Hier könnten die alten Abhängigkeiten die heutigen Ideologien von manch Linken mit beeinflusst haben.
Ich rätsle auch darüber, warum Prominenz-Journalisten behaupten, die Syrer hätten ihren Aufstand bislang nicht so zäh führen können, wenn nicht ausländische Kräfte und geheime Mächte dabei ihre Finger im Spiel hätten.
Zunächst einmal ist es purer Rassismus, wenn einer nicht einmal ein arabisches Wort spricht, aber Analysen über die arabischen Aufständischen im Untergrund anstellt. Es erinnert an Marco Polo, der auch kein Wort Arabisch oder Persisch sprach und die bis heute hartnäckig sich haltende Lüge über die Haschaschin (Assassinen) verbreitet hat. Solche Behauptungen implizieren, dass die Araber unfähig seien zwischen Freiheit und Sklaverei zu unterscheiden, dass sie wie Marionetten aus dem Ausland bewegt würden.
Todenhöfer: „Insgesamt funktioniert die Lawrence-von-Arabien-Strategie jedoch vorzüglich. Viele Araber erkennen nicht, dass der Westen sie noch nie befreien, sondern immer nur beherrschen wollte.“ (FAS, 19. 2. 2012). Das ist nicht einmal originell, die Einschätzungen des Prominenz-Journalisten bewegen sich auf dem Niveau des syrischen Propagandaministeriums. Das Assad-Regime behauptete von Anfang an, der Aufstand würde von außen gesteuert. So etwas Herrliches wie diese Revolution hat die Diktatur vom unterjochten Volk nicht erwartet. Der Herrscher ist geschockt. Seit vierzig Jahren führt sein Clan das Land wie eine Farm mit Leibeigenen und Sklaven und ausgerechnet diese sollen nun in der Lage sein, so raffiniert organisierte Demonstrationen täglich und gleichzeitig und mit derselben Parole (jede Woche steht unter einem Moto) an 200 bis 400 Orten stattfinden zu lassen.
Es ist ein großes Zeichen der Stärke, dass die syrische Revolution immer noch mutig auf die Straße geht, trotz massiver Repression des Regimes, das in seiner Gewalt von Geheimdiensten des Irans, Iraks, Russlands und leider auch von US-amerikanischen Computer- und Internetfirmen wie Blue Coat unterstützt wird. Die Oppositionsbewegung hält durch, ohne Parteien, ohne öffentliche charismatische Führung und auch ohne Intellektuelle.
Ich frage mich und hadere täglich mit mir, wenn die Berichte des Prominenz-Journalismus eine Lüge, ein Produkt der Eitelkeit sind. Warum schmerzt mich das so?
Weil ich nicht imstande bin, diese Prominenz-Journalisten ausreichend anzuklagen – wegen Vertuschung von Völkermord, wegen der Verachtung der syrischen Frauen und Männer, die ihr Leben auf der Straße geben, um die Freiheit zu erkämpfen.
Die Prominenz-Journalisten wissen von den Morden, aber sie leugnen sie, weil sie dann ihre Verbundenheit mit den Mördern nicht mehr rechtfertigen könnten. Sie sind in gewisser Hinsicht ihre Gefangenen geworden. Das syrische Volk, das Leid und die ungeheuren Opfer spielen bei ihren eitlen Berichten nur eine Statistenrolle.
Es ist eine tiefe Verletzung, die ich beim Lesen empfinde. Homs, die tapfere Stadt, die nun vom eigenen Herrscher bombardiert wird, fand weltweit Sympathie und Solidarität. Aber nicht bei den Prominenz-Journalisten, weil das alles Lüge strafen würde, was sie behauptet haben. Homs, die grüne schöne Stadt am Orontes (arabisch al Assi = der Ungehorsame), und ihre Bewohner galten immer als besonders ruhige, gelassene und lustige Menschen. Und nun ist Homs zum Herzen der Revolution geworden und deshalb will Assad, der Sohn, ein Exempel statuieren, so wie Assad, der Vater, 1982 in der nahen Stadt Hama. Damals hatte er 30.000 unschuldige Tote hinterlassen.
Nicht das Christentum, nicht das Judentum und nicht den Islam, sondern uns müssen wir befragen, ob es nicht reicht, dass nach so vielen Morden Scham das Gesicht der Menschheit überzieht, so wie in Guernica, Sarajevo und Ruanda.
Der renommierte und engagierte spanische Autor Juan Goytisolo, der vor Jahren Aufsehen erregt hat, als er den mit 150.000 Euro dotierten Gaddafi-Preis ablehnte, schrieb in der spanischen Tageszeitung El País einen bewegenden Artikel über die Zerstörung der Stadt Homs durch den Mörder Assad.
Die deutschen Prominenz-Journalisten aber sehen nichts als eine westliche oder islamistische Verschwörung. Die kritischen Berichte über die Gräueltaten Assads in Syrien seien zum größten Teil gefälscht. Sie stellen sich blind gegenüber Live-Berichten aus der Mitte der Demonstrationen, die stündlich aktuell gesendet werden. Die Filmer sind das beliebteste Ziel der Scharfschützen. Über das Internet kann man auf die Vignette eines dieser Sender klicken und die Berichte sehen. Es sind oft fast 20 Filme täglich!!!
(Ich empfehle die Vignetten nicht anzuklicken, bei denen man Menschen sieht, die auf dem Boden liegen. Es sind traurige und bisweilen brutale Aufnahmen vom Tod von Demonstranten.) Die Mehrheit der Youtube-Videos zeigen direkte Demonstrationsaufnahmen und immer dokumentiert man akustisch und in Schrift Motto, Datum und Ort vor der Kamera. Es sind kluge Maßnahmen der Revolutionäre, um der Propaganda des Regimes entgegenzutreten, das behauptet, solche Aufnahmen würden im Irak von Schauspielern unter amerikanischer Regie gemacht.
Die Prominenz-Journalisten spielen eine widerliche Rolle. Sie verleumden Tote und Lebende, um den Diktator zu decken. Todenhöfer: „Bei den Getöteten handelt es sich zu einem hohen Prozentsatz um Soldaten, Polizisten, aber auch um Zivilisten, die von bewaffneten Rebellen getötet wurden.“ (FAS, 19. 2. 2012)
Das behaupten Sie, angesichts eines Regimes, das nicht davor zurückschreckt, Verletzte zu quälen, bis sie ihre Kameraden verraten, das sogar Kinder tötet und die Eltern eines genialen Komponisten und Pianisten foltert, weil ihr Sohn, im Ausland lebend, Solidarität mit der syrischen Freiheitsbewegung bekundet hat. Malek Jandali hat eine Freiheits-Symphonie für den Sänger der Revolution Ibrahim al-Qashoush (1977–2011) komponiert. Qashoush wurde trotz seiner heiseren Stimme „Nachtigall der Revolution“ genannt. Der Geheimdienst hat ihn entführt, gefoltert und ihm den Kehlkopf herausgeschnittenen.
Hören Sie sich bitte einmal die Musik an, die Jandali für Qashoush komponierte. Ich lasse das Stück dreimal spielen. Draußen graut der Morgen. Es ist Montag, der 27. Februar 2012.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland