Programme gegen sexuelle Gewalt: Nicht viel Positives zu berichten

Seit massenhaft Missbrauchsfälle aufgeflogen sind, wird viel Geld gegen sexuelle Übergriffe auf Kinder ausgegeben. Die Opfer spüren davon nichts.

BERLIN taz | Julia von Weiler wirft drei dicke Broschüren und zwei pralle Papierstapel auf den Tisch. Berichte, Forschungsergebnisse, einen Gesetzentwurf, alles zum Thema „sexueller Kindesmissbrauch“. Seit vor knapp drei Jahren die massenhaften Übergriffe in kirchlichen Einrichtungen, Schulen und Heimen öffentlich wurden, ist viel Papier vollgeschrieben worden. „Aber passiert ist wenig“, sagt die Psychologin und Vorstandsfrau des Vereins Innocence in Danger.

Der Verein hat sich dem Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch verschrieben. Jedes Jahr werden 12.000 bis 16.000 Fälle angezeigt, die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher. In der Familie sind hauptsächlich Mädchen betroffen, in den Institutionen vor allem Jungen. Vielen werde noch immer nicht geholfen, sagt von Weiler.

Wie kann das sein? Seit April 2010 gibt es den Runden Tisch Sexueller Kindesmissbrauch der Ministerinnen Kristina Schröder, Annette Schavan (beide CDU) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Außerdem den Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig. Es gibt den Gesetzentwurf, mit dem Opfer ihre Rechte besser einklagen können, dazu einen Entschädigungsfonds und bundesweit 363 Beratungsstellen.

„Aber das Beratungsnetz ist löchrig, ländliche Gegenden sind unterversorgt und Angebote für Jungs und Männer sowie Menschen mit Behinderungen nach wie vor rar“, sagt Julia von Weiler. Das belegt auch eine Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Frauenforschungsinstituts der Evangelischen Hochschule Freiburg (SOFFI). So gelten Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit jeweils sechzig Anlaufstellen als „gut versorgt“. Der Osten hingegen ist unterversorgt. In Brandenburg gibt es drei Beratungsstellen, in Sachsen-Anhalt vier.

Es fehlt an Beratungsangeboten

Seit zwei Jahren wird viel Geld gegen Missbrauch ausgegeben: 30 Millionen Euro für Forschung, über 5 Millionen Euro für Kampagnen, Fernsehspots, Theaterstücke. Aber bei den Opferprojekten und den Beratungsstellen kommt kein Geld an, beklagen die BetreiberInnen.

Beispielsweise „Tauwetter“ in Berlin. Die Anlaufstelle für Jungen und Männer bekommt lediglich Zuschüsse für Sachleistungen, auf der Website werben die ehrenamtlichen Berater um Spenden. Geöffnet hat „Tauwetter“ an zwei Tagen in der Woche für jeweils zwei Stunden.

Oder die psychotherapeutische Stelle „Warbede“ in Worms in Rheinland-Pfalz. Die wird vom Bund und vom Land nicht gefördert, sondern abgewickelt. „Wir haben zufällig erfahren, dass wir ab Januar keine Therapien mehr anbieten können“, sagt Therapeutin Anja Lechleitner. Das Land entzog die 25.000 Euro Förderung – wegen der Schuldenbremse, wie es offiziell heißt. Durchschnittlich 15 von 19 Frauen in Lechleitners Therapie sind Opfer von Kindesmissbrauch.

So geht das nicht, kritisiert der Missbrauchsbeauftragte Rörig. Donnerstag will er die Bilanz seines ersten Amtsjahres ziehen. Was wird er sagen? Vermutlich das, was er häufig sagt: „An adäquaten Hilfsangeboten für Betroffene fehlt es.“

Heimlich den Termin verschoben

Das hat Folgen: Die Opfer warten lange auf eine Therapie, mitunter jahrelang, kritisiert die Psychotherapeutenkammer. Sie bekommen keine Entschädigungen und vielfach zu geringe Renten, weil sie nicht mehr arbeiten konnten.

Dagegen sind „Strategien erforderlich“, schlussfolgern die beiden Psychologinnen Barbara Kavemann und Sibylle Rothkegel, die die SOFFI-Bestandsaufnahme erstellt haben. Diese Strategien hatten die drei Ministerinnen am runden Tisch vor zweieinhalb Jahren versprochen. Am 12. Dezember wollten sie öffentlich verkünden, was daraus geworden ist. Jetzt ist der Termin von der Website verschwunden, er wurde leise auf Mitte Februar verschoben. Warum? An diesem Tag finde eine wichtige Debatte im Bundestag statt, alle drei Ministerinnen müssten anwesend sein, erklärte das Familienministerium.

Aber das glauben BeobachterInnen der Szene nicht. Vielmehr habe es wohl damit zu tun, dass die Ministerinnen nicht viel Positives zu berichten haben. So kann der Entschädigungsfonds mit 100.000 Euro, die jeweils zur Hälfte vom Bund und von den Ländern getragen werden sollen, nicht zahlen. Grund: Die Länder haben ihren Anteil noch nicht zugesagt. Auch das Opfergesetz ist noch nicht beschlossen. Und die Forschungen zu den Abgründen des Missbrauchs und zum Täterverhalten liefern jetzt zwar wissenschaftlich fundierte Zahlen – über bereits bekannte Sachverhalte.

Richtigstellung

Ursprünglich war der Artikel „Nicht viel Positives zu berichten“ auf www.taz.de vom 6.12.2012 mit einem Foto versehen, das die Unterzeile trug: „Mahntafeln nahe der Odenwaldschule in Ober-Hambach. Die Gelder für die Opfer sexueller Gewalt sind bis heute nicht geflossen.“ Das ist falsch.

Im Text geht es um eine Initiative des Bundesministeriums (da fließt Geld) und um einen wesentlich bedeutenderen Hilfsfonds von Bund und Ländern (da fließt noch kein Geld). Mit der Bildunterschrift wurde ein dritter Zusammenhang hergestellt, der so im Text gar nicht auftaucht: Die Entschädigungszahlungen der Odenwaldschule an ehemalige Schüler, die auch Opfer von sexueller Gewalt an der Odenwaldschle geworden sind. Hier hat die Odenwaldschule nach eigener Aussage bis zum 19. November 2012 bereits 300.000 Euro an Geldern gezahlt.

Die Redaktion

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