Programm für Brennpunktschulen: Später Startschuss für Startchancen
Bund und Länder einigen sich auf ein 20-Milliarden-Paket für Brennpunktschulen. Doch nicht alle Ministerien sind begeistert.
![Vier Schüler stehen nebeneinander hinter einer Klassentafel. Ihre versteckten Oberkörper sind auf die Tafel gezeichnet. Vier Schüler stehen nebeneinander hinter einer Klassentafel. Ihre versteckten Oberkörper sind auf die Tafel gezeichnet.](https://taz.de/picture/6801443/14/15324493-1.jpeg)
Im Anschluss stellen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und Vertreter:innen der Kultusministerkonferenz (KMK) das Ergebnis offiziell in Berlin vor. Damit kann das zentrale Bildungsvorhaben der Ampelregierung wie geplant in diesem Jahr starten.
Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP versprochen, 4.000 Schulen in „herausfordernder sozialer Lage“ über zehn Jahre finanziell und personell zu unterstützen. Ziel des Programms ist es, die anhaltend hohe soziale Ungleichheit im Land zu verringern. Nun steht fest: Für das Programm stellen Bund und Länder insgesamt 20 Milliarden Euro bereit. Und: Ein Großteil der geförderten Schulen sollen Grundschulen sein.
Damit reagieren Bund und Länder auf den wachsenden Anteil von Schüler:innen, die die Mindeststandards im Rechnen, Lesen und Schreiben verfehlen. Die Ergebnisse der Pisa-Studie hätten überdeutlich gezeigt, dass der Handlungsdruck „noch nie so groß war wie jetzt“, sagte Stark-Watzinger im Dezember mit Blick auf die fehlenden Grundkompetenzen. Die sich schon damals abzeichnende Einigung zwischen Bund und Ländern beim „Startchancen-Programm“ bezeichnete sie als „Meilenstein“.
Abkehr von Königsteiner Schlüssel
Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg. Vor allem um zwei Punkte wurde hart verhandelt: nach welchen Kriterien die Mittel verteilt werden sollen – und wie stark sich die Länder an den Kosten beteiligen.
Die Einigung sieht nun vor, dass sich eine der drei Programmsäulen nach dem Anteil der armutsgefährdeten Minderjährigen sowie dem Anteil mit Migrationshintergrund richtet. Auch das Bruttoinlandsprodukt der Länder wird mit berücksichtigt. Es ist das erste Mal, dass die Gelder nicht rein nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt werden, wie sonst üblich bei Bund-Länder-Programmen.
„Bei der Abkehr vom Königsteiner Schlüssel ist uns etwas Großes gelungen“, sagt die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Ria Schröder, der taz. Durch die Mittelvergabe nach sozialen Kriterien komme das Geld „genau dort an, wo es gebraucht wird“. Schröder hofft, dass sich das Modell durchsetzt. Bisher verteilen längst nicht alle Ministerien ihre Ressourcen nach sozialen Kriterien. Auch Grüne und SPD feiern die Abkehr vom Prinzip Gießkanne als „Meilenstein“ beziehungsweise „Durchbruch“.
Beim zweiten strittigen Punkt – der Kofinanzierung – kommt der Bund den Ländern entgegen. Sie müssen zwar zur Milliarde des Bundes pro Jahr eine weitere Milliarde dazugeben. Allerdings dürfen sie sich bereits bestehende Bemühungen für sozial benachteiligte Schulen anrechnen lassen. Hamburg oder Hessen haben bereits vorgerechnet, dass sie bereits ein Vielfaches dessen für sozial benachteiligte Schüler:innen ausgeben, was sie nun vom Bund überwiesen bekommen
Nicht nur Begeisterung
„Das Startchancen-Programm ist grundsätzlich richtig“, heißt es aus dem CDU-geführten Hessischen Kultusministerium. Sonderlich viel werde sich dadurch in Hessen aber nicht ändern. Klar ist jedenfalls: Durch den Kompromiss, eigene Ausgaben anrechnen zu können, wird deutlich weniger „frisches“ Geld ins System gehen.
Aus Sicht der Linkspartei ist das Startchancen-programm auch deshalb „nicht der große Wurf, für den sich die Ampelfraktionen ständig gegenseitig auf die Schultern klopfen“, wie die bildungspolitische Sprecherin Nicole Gohlke es formuliert. Sie fordert „wesentlich mehr Ambitionen“ vom Bund bei der Bildungspolitik.
Markus Warnke, Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung, wertet die Einigung überwiegend positiv. „Es stimmt, dass es idealerweise noch mehr Mittel für das Startchancen-Programm gegeben hätte“, sagt er zur taz. Wichtig sei aber auch das Signal für Schulen im Brennpunkt, dass ihre Nöte gesehen werden. „Das hat es in diesem Umfang bisher nicht gegeben“. Die Wübben Stiftung Bildung begleitet rund 250 Brennpunktschulen aus vier Bundesländern.
Aus Warnkes Erfahrung benötigt eine Schule, die in in ein neues Programm aufgenommen wird, ein Jahr, um zu reflektieren, wo sie steht. Den Zeitplan beim „Startchancen-Programm“ nennt er deshalb ambitioniert. Im Herbst sollen die ersten 1.000 Schulen profitieren.
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