Professorin über künstliche Intelligenz: „Empathie und Wertschätzung“
Sucht, Schulden, Kindererziehung – bei vielen Problemen können Online-Beratungsstellen via Chat und Mail helfen. Auch mit einer KI?
Emily Engelhardt öffnet die Website von OpenAi – dem Unternehmen hinter dem Chat-Bot ChatGPT, einer künstlichen Intelligenz. „Sind Sie ein Mensch?“, fragt die Website. Engelhardt lacht und klickt: „Ja“. ChatGPT öffnet sich, es sieht aus wie Whatsapp. Sie tippt: „Mein Kind schläft nachts nicht durch. Was kann ich tun?“ – Eine Frage, die so oder so ähnlich auch bei einer Online-Beratung gestellt werden könnte. ChatGPT antwortet: „Achten Sie darauf, dass das Kinderzimmer ruhig, dunkel ist und eine angenehme Temperatur hat.“ Es empfiehlt Vorlesen, Schlaflieder oder Entspannungsübungen und rät, Handys und Co. eine Stunde vor dem Schlafengehen auszuschalten.
taz: Frau Engelhardt, wie finden Sie diese Antwort?
Emily Engelhardt: Gar nicht so schlecht. Das sind sicherlich Punkte, die man Eltern auch in einer Online-Beratung sagen würde.
Was würden Sie anders machen?
Viel mehr nachfragen. Um eine gute Antwort geben zu können, muss ich als Beraterin ein genaues Bild vom Anliegen haben. Dafür muss ich Rückfragen stellen. Wie alt ist das Kind? Seit wann schläft es schlecht? Und so weiter. Das kann der Mensch, und ChatGPT nicht. Noch nicht.
Was macht eine gute Beratung aus?
ist studierte Pädagogin und ausgebildete Online-Beraterin. Sie arbeitet als Professorin für digitale Transformation in Sozialen Handlungsfeldern und Gesellschaft an der Hochschule München.
Gute Beratungsgespräche hängen nicht nur vom Inhalt ab, sondern ganz wesentlich von der Beziehung, die zwischen der beratenden Person und der ratsuchenden Person entsteht. In der Online-Beratung muss ich als Beraterin also Empathie und Wertschätzung verschriftlichen. Aber das gelingt uns bei Liebesbriefen ja auch.
Welche Vorteile hat eine Beratung per Mail oder Chat?
Solche Beratungsangebote sind anonym, das ist ein großer Vorteil. Man muss keine Beratungsstelle aufsuchen, wenn man nicht will oder kann. Und man muss keine Termine vereinbaren, man kann sich einfach hinsetzen und schreiben.
Das gilt ja auch für ChatGPT. Kann so ein Bot also die Online-Beratung ersetzen?
Das glaube ich nicht, zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Ich würde auch versuchen, wegzukommen von der Frage, ob ChatGPT die Online-Beratung ersetzen kann. Sondern fragen: Wie kann ChatGPT die Online-Beratung ergänzen?
Und wie?
Man könnte solche Chatbots auf Beratungsseiten einbetten. Sie wären rund um die Uhr erreichbar, auch wenn – um beim Beispiel zu bleiben – nachts mein Kind schreit. Oder der Chatbot stellt erste Fragen und vermittelt dann an die entsprechenden Berater*innen. So wie bei Telefon-Hotlines. Und es stellt sich die Frage, ob Berater*innen Chatbots nutzen könnten, um Antworten für Ratsuchende zu formulieren. Man kann ChatGPT sagen, dass es empathisch antworten soll. Als ich das mal gemacht habe, waren die Antworten nicht schlecht, vielleicht sogar besser als manche Antworten, die ich schon von Berater*innen gelesen habe.
Aber ChatGPT macht Fehler.
Solche Antworten müssten natürlich gegengelesen werden.
Online-Beratungen helfen auch bei Themen wie Suizid oder Extremismus. Wie gefährlich wären hier Bots?
Ich bin da zwiegespalten. Menschen befragen ja schon heute Suchmaschinen wie Google zu Themen wie Suizid. Und finden dort sehr gefährliche Antworten auf ihre Fragen. Wir müssen uns fragen: Welche Daten und Informationen werden in KIs eingespeist? Menschen müssen dort Antworten finden, die ihnen helfen und nicht schaden. Und wir dürfen den Datenschutz nicht vergessen – ein unglaublich hohes Gut in der Online-Beratung. Die Soziale Arbeit muss sich beteiligen und einbringen, damit unsere Adressat*innen von solchen Entwicklungen profitieren.
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