Professor Sauer über neues Attac-Buch: "Neustart des Wohlfahrtsstaats"
Ein neues Buch stimmt auf eine Kampagne von Attac im Herbst ein. Thomas Sauer über den vermeintlichen Frieden zwischen Globalisierungskritikern und Regierung.
taz: Herr Sauer, im Buch zur Finanzkrise loben Sie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schließen die Globalisierungskritiker Frieden mit der Regierung?
Thomas Sauer: Keineswegs. Aber eine gute Idee wird nicht dadurch schlecht, dass die CDU-Kanzlerin aufgreift, was die Zivilgesellschaft fordert. Merkel hat vorgeschlagen, bei den Vereinten Nationen einen Weltwirtschaftsrat zu gründen. Dieser könnte die globale Ökonomie beaufsichtigen. Das ist dringend notwendig.
Machen Sie sich durch diese Nähe zur offiziellen Politik bei den Globalisierungskritikern nicht verdächtig und angreifbar?
Attac sollte nicht beleidigt sein, wenn die offizielle Politik globalisierungskritische Forderungen nach demokratischer Kontrolle aufgreift. Die Idee von einem Weltwirtschaftsrat ist bereits vor zehn Jahren in die Diskussion eingebracht worden. Auch das europäische Attac-Netzwerk fordert eine UNO-Aufsicht über den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation. Und genau darum geht es bei einem Weltwirtschaftsrat.
Haben wir angesichts der Krise augenblicklich nicht konkretere Sorgen, als über eine schönere Weltregierung nachzudenken?
Es geht nicht um eine Weltregierung - die gibt es nur in alten Science-Fiction-Filmen.
Sondern?
Die aktuelle Finanzkrise ist doch auch ein Ergebnis der mangelhaften Koordination von Geld- und Finanzpolitik. Aktuell hoffen die deutsche Exportindustrie und die Bundesregierung schon wieder auf die Konjunkturprogramme der USA und Chinas. Das würde dem deutschen Steuerzahler Belastungen ersparen. Global ist das aber nichts anderes als eine makroökonomische Form des Trittbrettfahrens und die Kehrseite der übermäßigen Verschuldung in den USA.
Was müsste ein Weltwirtschaftsrat demnach leisten?
Er müsste die Aufgabe haben, derartige globale Ungleichgewichte in Zukunft zu verhindern und eine globale Aufsicht der Finanzmärkte durchzusetzen und zu kontrollieren.
Dieser Artikel wurde der aktuellen sonntaz vom 8./9.8.09 entnommen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Jena und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac.
Warum spielt Attac in den gegenwärtigen Diskussionen über die Finanzkrise trotzdem eine so geringe Rolle?
Die Debatten über eine Neuordnung des Internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems sind erst einmal sehr abstrakt, scheinbar weit weg von den Sorgen der Menschen, die in der Krise unmittelbar um ihren Arbeitsplatz fürchten. Da scheinen die Politiker mächtiger zu sein, die herumreisen und Geld oder Bürgschaften verteilen können. Aber die Bürger wissen sehr genau, dass am Ende der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Und hier kommt die Gerechtigkeitsfrage ins Spiel.
Was plant Attac, in naher Zukunft dagegen zu tun?
Im Herbst soll eine Kampagne für eine Vermögensabgabe starten, mit der die Verursacher der Krise zur Finanzierung der Krisenlasten herangezogen werden. Und als mögliches Zukunftsmodell könnte sich in unseren Diskussionen der Green New Deal herauskristallisieren.
Was verstehen Sie darunter?
Der Green New Deal beinhaltet nachhaltige Konjunkturprogramme, die unsere Wirtschaft auf einen klima- und umweltverträglichen Entwicklungspfad bringen. Ein Neustart des Wohlfahrtsstaats ins 21. Jahrhundert, um die Wunden der neoliberalen Ära zu heilen und auch um eine breite Mehrheit in unseren Gesellschaften zu finden.
Thomas Sauer, Silke Ötsch, Peter Wahl, Wissenschaftlicher Beirat von Attac: "Das Casino schließen! Analysen und Alternativen zum Finanzmarktkapitalismus". VSA Verlag, Hamburg 2009, 205 Seiten, 14,80 Euro
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