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Produktive Verwirrung

Mit Corny Littmann wird eine Persönlichkeit Präsident des FC St. Pauli, die das verkaufte Image des Vereins wieder mit Inhalten füllen möchte – und keine persönlichen Interessen verfolgt

Interview MARCO CARINIund OKE GÖTTLICH

taz: Herr Littmann, was treibt Sie dazu, Präsident eines Fußballclubs zu werden, der sich auf rasanter Talfahrt befindet?

Corny Littmann: Das Positive an der Situation ist, dass es nur aufwärts gehen kann. Als ich vor kurzem 50 geworden bin, habe ich mich gefragt, welche neuen Herausforderungen ich noch anpacken will. Diese Frage hat sich nun schneller als erwartet beantwortet. Mein Amtsantritt soll ein Signal setzen: Wenn es bei diesem Verein eine Führungskrise gegeben hat, ist die mit dem heutigen Tag beendet.

Welche sportliche Kompetenz bringen Sie für dieses Amt mit?

Niemand unterstellt mir, dass ich über den Sachverstand verfüge, bei jeder sportlichen Entscheidung kompetent mitreden zu können. Dadurch werden Zuständigkeiten und Verantwortungen klarer. Die sportliche Verantwortlichkeit liegt ganz eindeutig beim Trainer, beim Sportdirektor und beim Manager. Das ist ein entscheidender Unterschied zu meinem Vorgänger, der früher Fußballprofi war. Es ist ein Gewinn für den Verein, dass ein Präsident nicht in Versuchung kommt zu behaupten, er habe mehr sportliche Kompetenz als jeder Fan.

Wie sieht es mit Ihrer unternehmerischen Kompetenz aus?

Bisher habe ich niemand getroffen, der sagt: Littmann weiß nicht, wie man ein mittelständisches Unternehmen leitet. Das wichtigste Kapital des Vereins sind aber ohne Zweifel die Fans. Meine Sponti-Vergangenheit bringt mich ihnen wesentlich näher als viele meiner Vorgänger. Ich bin St.Pauli-Fan mit Leib und Seele und will deshalb vor allem ein Präsident der Fans sein.

Das heißt konkret?

Die bisherigen Präsidenten haben vielleicht nicht kapiert, was für kreative, fantasievolle, mitunter anarchistische Fans diesen Verein ausmachen. Sie haben den Club nur als mittelständisches Unternehmen begriffen und wären nie darauf gekommen zu sagen: Auf der Gegengerade, da wird so viel gekifft, dass der Gegner bedröhnt durch die Gegend rennt.

Sie gelten als sehr politischer Mensch. Wie weit soll auch der Verein zu politischen Fragen Stellung nehmen?

Sport und Politik haben viel miteinander zu tun, und ich werde mich auch als Präsident nicht verbiegen lassen. Außerdem zeichnet sich der Verein durch Fans aus, die einen zutiefst antifaschistischen Geist haben.

Welche Nähe suchen Sie zur Mannschaft?

Also unter die Dusche will ich mit ihr nicht, aber ich werde natürlich den Kontakt suchen. Immerhin ist die Mannschaft der Star des Vereins. Das Präsidium muss der Mannschaft zuarbeiten. Das heißt aber auch, dass es jetzt Sache des Teams ist, dieses Signal umzusetzen. Ich verstehe mein Amt so, dass ich es dann gut ausführe, wenn nicht über mich gesprochen wird.

Ungewöhnlich für jemanden, dessen Beruf von der Selbstdarstellung geprägt ist.

Ich bin ja durch meinen Beruf in der Lage, mich neben meine Person zu stellen und zu sagen: „Jetzt guck dir den mal an, was macht denn der da eigentlich?“ Für mich ist es nicht so wichtig wie für manch anderen Club-Präsidenten, meine Eitelkeit zu Markte zu tragen, ich habe schon eine andere Bühne. Jemand, der es kennt, im Rampenlicht zu stehen, weiß auch, dass er nur drei Schritte zur Seite gehen muss, um schon vom Lichtkegel nicht mehr getroffen zu werden.

Sie haben einmal betont, dass Sie sich für Intrigenspiele nicht eignen würden. Dann aber sind Sie in diesem Verein mit seinen vielen Fraktionen eine glatte Fehlbesetzung.

Ja und nein. Plötzlich kommt ein Präsident daher, der sagt: Mit all diesen internen Fraktionierungen habe ich nichts zu tun, weil ich daran nicht beteiligt war. Das schafft eine produktive Verwirrung. Auf einmal sagen alle: Jawohl, wir wollen den Erfolg des Vereins.

Aber die Fraktionen werden weiter versuchen, ihren Einfluss geltend zu machen.

Natürlich sind die Fraktionen nicht weg. In den nächsten Monaten wird sich für mich zeigen, wer welche Interessen verfolgt. Wenn sie dem Erfolg des Vereins nicht dienen, werden sie keinen Platz haben. Das ist für mich der einzige Gradmesser.

Wo liegen Ihre Interessen?

Zum Glück verfolge ich keine finanziellen und persönlichen Interessen mit dem Amt. Als Theaterleiter bin ich es gewohnt, mit Eitelkeiten umzugehen, weil ich ständig von Diven umgeben bin. Ich will auch überhaupt nicht nur von sozialverträglichen Angestellten umgeben sein. Wenn es zu Interessensgegensätzen kommt, wird das gesamte Präsidium – und nicht nur ich – konfliktfähig sein müssen und klare Entscheidungen treffen.

Sie werden es nicht leicht haben, Ihren Beruf und Ihr neues Amt zu verbinden. Auch Ihre Tage haben nur 24 Stunden.

Das ist mir schmerzlich bewusst. Im Januar wollte ich in der Karibik ausspannen, nun werde ich das Hamburger Wetter genießen. Bis Ende Januar will ich den Verein in seiner Führung so strukturieren, dass Verantwortlichkeiten klar sind, so dass ich mich auf die hauptamtlichen Mitarbeiter in meiner direkten Umgebung verlassen kann. Wenn mir das nicht gelingt, habe ich etwas falsch gemacht.

Was heißt das konkret?

Bisher hat ein dreiköpfiges Präsidium viel zu oft 2:1 abstimmt. Das hat mit der zutiefst demokratischen Seele dieses Vereins nichts zu tun. Nach heutigem Diskussionsstand wird es in der Zukunft ein fünfköpfiges Präsidium geben. Der Aufsichtsrat wird nicht mehr aus der Presse erfahren, was das Präsidium entschieden hat, sondern unmittelbar in die Entscheidung eingebunden sein. Wo Transparenz herrscht und Konsens gesucht sind, wird es schwieriger, Intrigen zu spinnen.

Ihr Sportdirektor behauptet, ohne mindestens drei Verstärkungen in der Winterpause steige das Team ab.

Wir werden uns bemühen, die nötigen Mittel bereitszustellen, aber der Sportdirektor trägt die Verantwortung für die Qualität der Verpflichtungen. Er kann nicht Spieler einkaufen und vier Monate später sagen, er braucht jetzt ganz andere Spieler. Das ist mit mir nicht zu machen.

Der Trainer steht längst zur Disposition.

Ich werde nicht derjenige sein, der öffentlich oder intern als Erster die Trainerfrage stellt. Dafür haben wir Franz Gerber und Stephan Beutel. Wenn wir die nächsten beiden Spiele verlieren, werde ich auf beide zugehen und ihnen eine klare Frage stellen: Sollen wir mit diesem Trainer weiterarbeiten? Und ich werde ihnen eine Antwort nicht ersparen.

Und wenn Sie zwei verschiedene Antworten erhalten?

Dann sperre ich die beiden in einen Raum und lasse sie erst wieder raus, wenn sie eine gemeinschaftliche Entscheidung getroffen haben.

Welche Bedingungen haben sie an die Übernahme des Amtes gestellt?

Nur eine: Das Schimpfwort Schauspieler ist ab sofort im Stadion verboten.

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