Probleme türkischer Einwanderer: Integration ist mangelhaft
Laut einer neuen Studie sind Einwanderer aus der Türkei besonders schlecht integriert. Fragt sich bloß: Warum?
Kenan Kolat hatte keinen leichten Job. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde (TGD) war vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung eingeladen worden, um vor Journalisten das miserable Abschneiden der türkischstämmigen MigrantInnen in der neuen Studie des Instituts zu erklären. Diese untersucht die "Lage der Integration in Deutschland". Die Kernaussage lautet: Die größten Integrationsprobleme gibt es bei den türkischstämmigen EinwandererInnen, während die AussiedlerInnen erfolgreicher sind als ihr Ruf.
"Sind Sie überrascht?", fragt Institutsdirektor Reiner Klingholz den TGD-Chef. Kolat überlegt einen Augenblick, spricht von "kumulierter Unterschichtsproblematik" und sagt dann: "Nein, überrascht bin ich nicht."
Wie sollte er auch? In groben Zügen bestätigt die neue Studie, was andere Untersuchungen längst gezeigt haben: Der Anteil der türkischstämmigen Einwanderer ohne Schulabschluss ist besonders hoch (30 Prozent), der mit Hochschulberechtigung besonders gering (14 Prozent). Nur ein Drittel der türkischstämmigen Einwanderer hat einen deutschen Pass, die überaus meisten heiraten jemanden, der ebenfalls türkische Wurzeln hat.
Dennoch bietet die Studie etwas Neues: Die Autoren haben den Mikrozensus 2005 ausgewertet, der eine kleine, entscheidende Veränderung vorgenommen hat: Erstmals wurde nach dem eigenen Geburtsland und dem der Eltern gefragt. So ist es möglich, nicht nur zwischen Ausländern und Deutschen zu unterscheiden, sondern auch die Eingebürgerten zu erfassen. Und das macht einen Unterschied: "Die Türken mit deutscher Staatsangehörigkeit sind deutlich besser integriert", sagt Klingholz. Und: Die hierzulande geborene zweite Generation schneidet besser ab als ihre Eltern. Mit Hilfe von 20 Indikatoren haben die Mitarbeiter des Instituts einen "Index zur Messung von Integration" erarbeitet. "Ungenutzte Potenziale" heißt die daraus entstandene Studie und deutet an, was Integration für die Autoren vor allem ausmacht: ökonomischer Erfolg und sozialer Aufstieg. Die meisten der 20 Faktoren zur Messung von Integration gehören in die Bereiche Bildung, Erwerbsarbeit und soziale Absicherung. Hinzu kommt, was die Autoren "Assimilation" nennen: der deutsche Pass oder die bikulturelle Ehe.
Demnach ist es kein Wunder, dass die AussiedlerInnen deutlich besser abschneiden als die TürkInnen, die als ungelernte Arbeitskräfte für Industrie und Bergbau angeworben wurden. Als der Strukturwandel dort die Arbeitsplätze vernichtete, verloren sie ihre Jobs.
Die Aussiedler dagegen, von denen viele erst nach dem Mauerfall ins Land kamen, haben meist eine gute Schulausbildung und häufig auch einen Hochschulabschluss. Zudem gelten Aussiedler per se als Deutsche - und bekommen umgehend den deutschen Pass. Laut Studie heiraten sie häufig Einheimische. All das führt Klingholz zu einer optimistischen Einschätzung: "Der Migrationshintergrund dieser Gruppe löst sich vermutlich schon in der nächsten Generation auf."
Noch besser integriert als die Aussiedler sind laut Studie die Einwanderer aus den EU-Staaten, allerdings ohne die Anwerbeländer Griechenland, Spanien, Italien und Portugal. Sie gelten als "europaweite Wanderungselite", die leicht Beschäftigung findet und im Durchschnitt sogar besser ausgebildet ist als die einheimische Bevölkerung.
Ein hoher Anteil an AsylbewerberInnen aus afrikanischen Ländern oder dem Nahen Osten habe zwar ein hohes Bildungsniveau, könne dies aufgrund des Status auf dem Arbeitsmarkt aber wenig nutzen, sagte Klingholz weiter. Sein Institut beobachtet zudem, dass trotz eines niedrigen Bildungsstandards EinwandererInnen aus Griechenland und Italien inzwischen "erfolgreich ökonomische Nischen" besetzten, insbesondere in der Gastronomie.
Wie gut Menschen integriert seien, hänge stark vom regionalen Angebot an Arbeitsplätzen ab, sagte Steffen Kröhnert, Sozialwissenschaftler am Berlin-Institut. Beim Länder-Ranking liegen Hessen und Hamburg vorne, Niedersachsen und das Saarland hinten. Wie groß der Einfluss der Integrationspolitik ist, konnte Kröhnert nicht sagen. "Allerdings muss man sich schon fragen, warum es den Verantwortlichen im Saarland nicht aufgefallen ist, wie ernst die Lage ist." Im Städtevergleich schneiden München, Bonn, Frankfurt am Main und Düsseldorf besonders gut ab, Schlusslichter sind Duisburg, Nürnberg und Dortmund. Dort sei die Arbeitslosigkeit groß und die sozialen Probleme unter den MigrantInnen häuften sich.
Obwohl die Ergebnisse der Studie dies nicht allzu realistisch erscheinen lassen, glaubt die Bundesregierung, das Bildungsniveau türkischer Migrantenkinder bis 2012 auf das Niveau ihrer deutschen Altersgenossen anheben zu können. Das bekräftigte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU): "Integration muss Priorität haben." Wie sie das schaffen will, sagte sie nicht.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Klaus Bade, warnte davor, die Ergebnisse der Studie zu überschätzen. "Wir müssen diese Daten differenzieren: Der Index verführt zu einer Vermischung von Herkunftsorientierung und schichtspezifischen Merkmalen", sagt der renommierte Migrationsforscher. Er selbst hätte die schichtspezifischen Merkmale in den Vordergrund gestellt. "Nun ist es wieder der Türke, der ein Problem hat."
Da dürfte Kenan Kolat zustimmen. Nichts anderes hat er mit seiner "kumulierten Unterschichtsproblematik" gemeint.
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