Probleme bei der BVG: In der Krise punkten
Die Grünen legen einen Plan vor, um die angeschlagene BVG wieder auf Kurs zu bringen – und verteidigen dabei ihr eigenes verkehrspolitisches Erbe.
Die Kritik der beiden Politikerinnen am Status quo ist vernichtend: Der überalterte Fuhrpark und der akute Personalmangel führten bei der U-Bahn mittlerweile zu Ausfällen „im systemrelevanten Bereich“, so Kapek: Familien müssten früher aufstehen, weil Schulen die regelmäßig ausfallende U-Bahn nicht mehr als Entschuldigungsgrund akzeptierten. Kitagruppen machten keine Ausflüge mehr, weil Busse und Bahnen zu voll seien, Menschen kämen zu spät zur Arbeit. Hassepaß verwies auf die wachsende Zahl an Menschen in einer alternden Stadt, die auf den ÖPNV angewiesen seien und von der Teilhabe am öffentlichen Leben abgeschnitten würden.
Über die massiven Probleme mit dem Angebot habe zudem nicht die BVG proaktiv und transparent informiert, meinen die Grünen-Politikerinnen – vielmehr hätten die NutzerInnen selbst und schließlich Medienberichte ein Bewusstsein für die missliche Lage geschaffen. Dass es an der längst fälligen Inbetriebnahme neuer U-Bahn-Züge wegen Lieferengpässen des Herstellers Stadler Rail hapere, sei auch Pech, räumte Kapek ein. Wichtig sei aber schon jetzt, die Finanzierung auszuweiten, um die Leistungsfähigkeit der BVG als „Rückgrat einer funktionierenden Stadt“ zu sichern.
An erster Stelle des „8-Punkte-Plans“ steht deshalb ein entschiedenes Nein zu Mittelkürzungen für den ÖPNV, wie sie aktuell von Mitgliedern der schwarz-roten Koalition ins Spiel gebracht werden. Eigentlich gibt es zwischen Land und BVG einen Verkehrsvertrag mit Laufzeit bis 2035, der die bestellten Leistungen und den dafür vom Land gezahlten Preis fixiert. Dieser Vertrag geht allerdings alle fünf Jahre in die „Revision“ durch den Senat und die Verkehrsbetriebe, das nächste Mal im kommenden Jahr. „Daraus ergibt sich für die Politik ein Handlungsfenster, um zu sparen“, warnt Kapek.
Statt Einschnitten, die das Angebot weiter verschlechterten, brauche es im Gegenteil höhere Investitionen, fordern die Grünen. Zwar sehe der Rahmenvertrag mit Stadler bis zu 1.500 neue U-Bahn-Wagen vor, aber nur für 1.000 davon sei die Finanzierung sicher.
An der Schuldenbremse vorbei
Um auch diese trotz der öffentlichen Geldnöte kaufen zu können, schlägt die Oppositionsfraktion sogenannte Transaktionskredite vor, die den Landeshaushalt nicht belasten und so die Schuldenbremse umgehen. Sie sollen auch die schleppende Anschaffung von E-Bussen beschleunigen, von denen erst rund 200 auf den Straßen unterwegs sind. Eigentlich soll bis 2030 die gesamte BVG-Flotte von 1.500 Bussen elektrisch fahren.
Zu den weiteren Punkten des grünen Plans gehören bessere Arbeitsbedingungen für das BVG-Personal, die Bevorzugung der Netzsanierung vor kostspieligen U-Bahn-Neubauplänen, mehr Sauberkeit und Sicherheit auf allen Linien – und eine „Transparenzoffensive“, bei der Apps und Bahnsteiganzeigen endlich wieder ehrlich über Verspätungen und Ausfälle von Bus und Bahn informieren sollen. Die BVG habe signalisiert, dass das technisch nicht zu leisten sei, so Antje Kapek, „aber die DB kann das ja auch, dann muss man eben die entsprechende Software kaufen“.
Die beiden Sprecherinnen hatten am Dienstag auch gleich vorgebaut – denn sie müssen ihre Partei immer wieder gegen den Vorwurf verteidigen, die aktuelle ÖPNV-Krise sei in Wirklichkeit ein grünes Erbe. Sie verteilten Tabellen und Grafiken, um das Gegenteil zu belegen: Tatsächlich waren es Verkehrssenatorin Regine Günther und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (beide Grüne), unter denen 2019 die Vergabe des laufenden, bislang größten Beschaffungsauftrags an Stadler Rail stattfand. Und dass das Land der BVG in diesem Jahr für den laufenden Betrieb mit 845 Millionen Euro das Dreifache der Summe von 2014 überweise, liege am Verkehrsvertrag, für den der aktuelle Senat gar nichts könne.
Der ebenfalls unter grüner Ägide beschlossene Nahverkehrsplan wiederum sehe Investitionen von 28 Milliarden Euro bis 2035 vor. Für den Sprecher des Fahrgastverbands IGEB, der die grüne Verkehrspolitik von 2016 bis 2023 zuletzt häufiger scharf kritisiert hat, besagt Letzteres allerdings nicht allzu viel: „Mit Plänen kann sich die IGEB ihre Räume flächendeckend tapezieren“, so Jens Wieseke zur taz. Und Geschwindigkeit bei der Ausschreibung neuer U-Bahnen unter Regine Günther sei „nicht das Erste, was mir dazu einfällt“.
Wieseke verweist auch auf den Anteil von Sozialdemokraten wie dem Friedrichshainer Abgeordneten Sven Heinemann bei der Aushandlung des Verkehrsvertrags mit der BVG: „Den Orden gebe ich den Grünen ganz bestimmt nicht alleine.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren