Problematische Bürgerwehren: Helfer, die Öl ins Feuer gießen
In Niedersachsen sind 31 Bürgerwehren gegen Flüchtlinge aktiv. Sie spielen sich als Ordnungsmacht auf, befeuern aber die Angst vor Fremden.
HANNOVER taz | Sie haben bereits eine einheitliche Jacke mit Logo und sind geschlossen Patrouille gegangen. In der niedersächsischen Landeshauptstadt hat die „Hannoversche Nachbarschaftshilfe“ (HNH) wegen des angeblichen Flüchtlingschaos einen einstündigen „Spaziergang“ unternommen. Unterstützt von der NPD will sie, wie sie sagt, den „alltäglichen Grapschern, den versuchten Vergewaltigungen oder den aufgebrochenen Wohnungen, Fahrzeugen und Taschendiebstählen“ Herr werden. Sie sei von der HNH eingeladen worden, schreibt die NPD Hannover Ost auf der Webseite des Landesverbandes.
Ein Foto von zwei Männern, von hinten aufgenommen, auf deren dunklen Jacken in Weiß HNH steht, dokumentiert die Aktion. In den vergangenen Monaten tauchten schon Bürgerwehren in Schwanewede, Hildesheim, Hameln und Braunschweig auf. Spätestens nach den Übergriffen an Silvester in Köln spielten sich selbsternannte Bürgerwehren als Ordnungsmacht auf, sagt Julia Willie Hamburg, Landtagsabgeordnete der Grünen für den Landkreis Goslar.
In der ehemaligen Kaiserstadt am Harz ist die „Bürgerwehr Landkreis Goslar“ aktiv und löste selbst polizeiliche Ermittlungen aus. Zwei Mitglieder der Bürgerwehr waren bei einer Geschäftsfrau nach einem Facebook-Hinweis erschienen, um Ermittlungen zu einem angeblichen Vorfall aufzunehmen.
Die Frau fühlte sich genötigt, stellte den Männern aber schriftliche Unterlagen zur Verfügung, die belegen sollten, dass an den Vorwürfen nichts dran sei, sagte ein Sprecher der Polizeidirektion. Jetzt werde wegen Amtsanmaßung und Nötigung ermittelt. Die Männer sind der Polizei bekannt. Sie werden der rechten Szene zugeordnet, wie der Polizeisprecher sagte.
Grund genug für die Julia Willie Hamburg, im Landtag mit einer Anfrage nachzufassen. Die Antwort des Innenministeriums: In 31 niedersächsischen Städten und Kommunen registrierten die Sicherheitsbehörden Aktivitäten von Bürgerwehren. Mal heißen die Initiativen „Bürgerwehr Wilhelmshaven“, mal „Oldenburg wacht“ oder „Gifhorn passt auf“.
Im Bezirk Hannover sind gleich fünf Bürgerwehren bekannt. Für fünf der sechs regionalen Polizeidirektionen lägen entsprechende Erkenntnisse vor. In den meisten Fällen handele es sich um Aufrufe im Internet, nur selten komme es zu „losen Zusammenschlüssen“. In Hannover musste die Polizei aber Ermittlungen gegen ein Mitglied der Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Hannover“ wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten einleiten.
In Fragen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung seien aufmerksame Bürger unverzichtbar, die Verdächtiges meldeten und sich als Zeugen zur Verfügung stellten, sagte Innenminister Boris Pistorius (SPD). „Bürgerwehren hingegen braucht niemand“, stellte er klar.
Diesen Bürgerwehren gehe es nicht um Schutz für die Bevölkerung, vermutet die Abgeordnete Hamburg, die in der Grünen-Fraktion für Antifaschismus und Rechtsextremismus zuständig ist. „Sie nutzen die Stimmungslage aus und verbreiten Angst und Lügen.“ Das Saubermann-Image dieser Gruppen sei falsch. „Das sind entweder Nazis oder Menschen, die zumindest kein Problem damit haben, neben Nazis durch die Straßen zu ziehen“, sagt Hamburg.
Auf Facebook halten die „Bürgerwehren“ in Braunschweig und Goslar mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg: „Überfremdung ist auch Völkermord“, meinen die Goslarer. „Über eine Million Asylanten 2015 und nochmal eine Million 2016?????? Begreift niemand, dass die offenen Grenzen Deutschland, unsere Kultur und Lebensart töten?“, schreiben die Braunschweiger.
„In diesen Bürgerwehren sind nicht ‚besorgte Bürger‘ vereint“, warnt Reinhard Koch, Leiter des Zentrums Demokratische Bildung Wolfsburg. Mit den Bürgerwehren wollten Rechtsextreme an dem Bedürfnis der gesellschaftlichen Mitte nach Recht und Ordnung andocken. Zwei Botschaften sollten durch die Bürgerwehren ausgestrahlt werden, sagt Koch: Der Staat sei ohnmächtig und sie würden vor Ort helfen. „In Wahrheit gießen sie Öl ins Feuer“, sagt Koch.
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