Problematische Aussagen zu Andrew Tate: Wer Männlichkeit verteidigen will
Misogyne Aussagen können nicht durch ein „Ich kenne viele Frauen“ relativiert werden. Der Schauspieler Vincent Cassel hat’s trotzdem versucht.
I ch erinnere mich noch genau an das erste Mal, als ich „La Haine“ sah, den französischen Film, der vom Leben in einer Banlieue bei Paris erzählt, weil er mich so beeindruckte. „Dies ist die Geschichte einer Gesellschaft, die fällt. Während sie fällt, sagt sie, um sich zu beruhigen, immer wieder: Bis hierher lief’s noch ganz gut. Bis hierher lief’s noch ganz gut. Bis hierher lief’s noch ganz gut. Aber wichtig ist nicht der Fall – sondern die Landung.“
Damals mit 17 Jahren feierten meine Freund*innen und ich dieses berühmte Zitat als besonders tiefgründig – wie eben viele andere in unserem Alter. Es ist auch der Film, mit dem Vincent Cassel, der später in Hollywood Erfolge feierte, berühmt wurde.
Sagen wir’s so, ich bin über das Interview, das er vergangenen Freitag dem britischen Guardian gegeben hat, nicht sonderlich überrascht, weil seine Aussagen denen vieler Männer in seinem Alter ähneln. Aber dass er mehr oder minder direkt Andrew Tates Misogynie gewisse Berechtigung beimisst, ist doch noch mal eine andere Qualität. Viele von den Dingen, die Tate sage, kämen „falsch rüber“, vor allem, wenn man seinen Background beachte, sagt Cassel in dem Interview. „Aber dazwischen sind Dinge, die interessant sind, weil er Männlichkeit verteidigen will.“
Wir erinnern uns: Andrew Tate ist nicht nur ein krasser Frauenfeind, rassistisch, queerfeindlich, mit Verbindung zu Rechtsextremen, er sitzt derzeit wegen mehrfacher Vergewaltigung und Menschenhandel in Rumänien hinter Gittern (auch wenn er noch nicht offiziell angeklagt wurde). Wenn man ihm da Vernunft attestiert, ist man komplett lost.
Rolle als harter Mann
Ich frage mich echt, wann dieser Typus Mann aufhört rumzuheulen, weil „Maskulinität“, wie er sie sich vorstellt, angeblich flöten ginge (und ich bin gespannt auf die Mails, die ich von ebendiesen Männern bekommen werde).
Am Witzigsten ist ja, dass diese Aussage ausgerechnet von Vincent Cassel kommt, der regelmäßig in der Rolle als „harter Mann“ gecastet wird (wie schon in „La Haine“). Aber der Schauspieler fliegt eh an der Realität vorbei, wie mir scheint; auf die Frage, ob das nicht misogyn sei, antwortete er: „Ich bin nicht misogyn. Ich bin von Frauen umgeben. Von morgens bis abends, denn ich habe drei Töchter, eine Frau, eine Ex-Frau, eine Mutter.“
Es ist die klassische „Ich habe auch einen Schwarzen Freund“-Rechtfertigung, die absolut nichts entschuldigt. Fettes Nein, Vincent. Frauen zu kennen, macht dich nicht weniger frauenfeindlich.
Und so bin ich zwar nicht überrascht, aber doch jedes Mal aufs Neue enttäuscht, wenn sich Sänger und Schauspieler als misogyne Drecksäcke entpuppen. Vergewaltigung ist für viele offensichtlich nicht gerade weit oben auf der Liste der nicht verzeihbaren Dinge. Zum Glück habe ich „La Haine“ erst vor wenigen Monaten noch mal gesehen. Mir ist die Lust an Vincent-Cassel-Filmen gehörig vergangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich