Pro und Kontra zu EM-Logo und Song: Die Blume des Bösen
Sind die EM-Blume und Oceanas Song ein Graus oder der einzige Glam- und Trashfaktor des Turniers? Popsurrealismus oder Muttertag? Zwei Meinungen.
Dafür: Oh, oh, oh, oh, yeh, yeh, yeh, yeh, yeh (2x) – was braucht es beim Fußballgucken mehr? Diese pophistorisch aussagekräftigste Synthese aus „Oh“ und „Yeh“ ist großartiges „minimal style goes ecstasy“. Der EM-Song von Oceana ist das Beste, was diese EM zu bieten hat.
Auch wenn Oceana, die sich viel Mühe gibt, Rihannas Stimme und Beat zu imitieren, mit Rihanna so viel zu tun hat wie Bert van Marwijks Team mit holländischem Fußball. „Endless Summer“ ist der einzige Moment, an dem der Glam- und der Trashfaktor dieses Turniers zumindest kurz um die Ecke lugt.
Denn der Fußball ist, jedenfalls bislang, im Wesentlichen mittelmäßig, die deutschen Kommentatoren sind durchgängig unterirdisch, kein Trikot ist einen Modeblogeintrag wert, keine Frisur, kein Tattoo, keine Unterhemdaufschrift ist ernsthaft boulevardfähig.
Gut, es hat mal kurz ziemlich stark geregnet, auf einer Unterhose stand Werbung, Holland hat Vorrundenaus, und es gibt Griechenland. Man könnte also eigentlich abschalten. Aber immer wenn dieses Oh, oh, oh, oh, yeh, yeh, yeh, yeh, yeh (2x) aus dem Fernsehen ruft, ist sofort klar: Da geht doch noch was!
Und es waren prophetische Kompositeure am Werk: Diese minimalistisch, entlang den Regeln des Popsurrealismus designte EM-Blume, die perfekt mit den Beats harmoniert, das ist kein Zufall. Das ist der Sound 90er-Jahre-Euro-Disco-meets-Ibiza-House – zum dargebotenen Entertainment – 90er-Jahre-ohne-Holland-Fußball.
Was würden all die ästhetisch angeekelten Kritiker von Oceana und Blume sagen, wenn wir jeden Abend von ukrainischem Karpaten-Ska und Disco Polo zum Spiel gerufen würden? DORIS AKRAP
Empfohlener externer Inhalt
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Dagegen: Das Logo dieses EM-Turniers, eine riesige Blume, taucht zuverlässig auf, wenn eine Wiederholung in Großaufnahme gezeigt wird. Schießt Gomez also an den Pfosten und ärgert sich danach, ist die Großaufnahme seines Gesichts mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu sehen - denn dort prangt eine große Blume.
Statt rufen zu können: "Guck, der sieht aus wie George McFly aus ,Zurück in die Zukunft', sehen wir Zuschauer Gomez mit einem Blumenkopf blümerant ziellos über den Bildschirm taumeln. Alle zwei Minuten poppt dieses Gewächs ins Visier, versperrt den Blick so penetrant, dass ich mich auf gar nicht anderes mehr konzentrieren kann als auf diese ständige Wiederkehr des komplett Sinnlosen.
Ich verstehe die Blume nicht - was hat sie mit diesem Sport und mit dieser EM zu tun? Diese Blume könnte eher in einer Synchronschwimm-Olympia-Übertragung auftauchen. Da werden state-of-the-art- und total 21.-Jahrhundert-mäßig alle Spieler einer Mannschaft vor jedem Spiel mit verschränkten Armen im Fernsehen vorgestellt.
Dann aber schafft sich die Uefa dieses Logo und ein EM-Lied an, das entsetzlich deprimierend ESC-mäßig auf den kleinsten gemeinsamen Nenner in Sachen Musikgeschmack zielt. So gar nichts lässt mehr erahnen, dass wir das Jahr 1994 hinter uns gelassen haben.
Vor einem Bacardi-Werbung-Setting mit Ace-of-Base-Beats und Cocojumbo-Gesangsgarnitur wird da von Oceana "Endless Summer" intoniert - die Euro-Trash-Soundstaffage zur übergriffigen Blumenschraube, die sich gewaltsam in mein Auge bohrt.
Nach dem Muttertag und der erfolgreichen Einführung des Valentintags hat es die Blumenindustrie mithilfe der Uefa nun geschafft, sogar ein Fußballturnier als Werbezweig zu nutzen - was, durch die Blume gesagt, total nervt. JULIA NIEMANN
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