Pro und Contra: Darf man beim Discounter kaufen?
Die Skandale bei Lebensmittel-Discountern häufen sich. Grund genug, solche Geschäfte pauschal zu boykottieren?
Pro
In meinem Kiez wurden zwei Supermärkte weggeplündert, einer brannte aus, ein vierter wich einem Biosupermarkt. Der passte jedoch so gar nicht in unseren "Problembezirk".
Blieb noch Lidl, den ich aber mied - nachdem die Gewerkschaft die Personalpolitik dieses Schweinekonzerns kritisiert hatte. Und Kaisers, in den ich dann auch nicht mehr ging, als der Konzern seine Kassiererin Emily entließ, weil sie angeblich Pfandbons im Wert von 1 Euro 30 nicht abgerechnet hatte.
Stattdessen kaufte ich meine Lebensmittel fortan beim Ehepaar Yilmaz, dessen "Minimarkt" bei mir nebenan 24 Stunden geöffnet hat und ein großes Sortiment führt. Außerdem sind sie für jeden neuen Warenwunsch offen (Knäckebrot z. B.). Einmal sah ich jedoch, dass sie sich bei Lidl am Oranienplatz mit neuen Vorräten eindeckten.
Scheiß drauf!, sagte ich mir daraufhin - und kaufe seitdem ebenfalls wieder dort ein, auch bei Kaisers am Kottbusser Tor. Ich bin sowieso eher am "Sozialen" interessiert als am "Ökologischen", also am Treiben der Konsumenten und nicht am Kleingedruckten auf den Konsumartikeln, wobei es mir besonders die Supermarktkassiererinnen angetan haben, von denen bereits mehrere Erfahrungsberichte über ihre Kunden veröffentlichten, die ich wiederum rezensierte. Aber auch die Punker und Alkoholiker vor den Supermärkten sind nicht zu verachten. Erst recht nicht die Kunden in den Läden.
Neulich stand eine etwa vierzigjährige Frau vor mir an der Kasse eines Discounters. In ihrem Einkaufswagen lagen zwei leere Videokassetten, vier Cola-Büchsen und rote Reizwäsche. Das gab mir lange zu denken.
Helmut Höge ist taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister.
Contra
Das Sündenregister mancher Discounter kommt dem Begriff "kriminelle Vereinigung" ziemlich nahe. Allen voran marschiert Lidl: Mitarbeiter werden überwacht, Autos und Taschen des Personals durchwühlt, Betriebsratswahlen verhindert, Kontrolleure besuchen kranke Mitarbeiter zuhause, Kassierer können vor lauter Stress nicht mehr pinkeln und denken über Windeln nach. Unfassbare Arbeitsbedingungen, sauber dokumentiert, für jeden nachlesbar. Einkaufen bei Lidl und Konsorten bedeutet Kumpanei und Unterstützung für soziales Dumping steinzeitlicher Prägung
Zur Produktqualität sollte man sich die Pestizid-Tests anschauen. Hier waren die Discounter immer wieder auffällig. Reichlich Gift und Galle für alle. Erinnern Sie sich noch an den stinkenden Gammelfleischberg? An Umetikettierungen abgelaufenen Hackfleischs? Auch hier glänzten die Discounter. Bei solchen Preisen und entsprechend schmalen Margen kann es sich niemand leisten, verdorbene Ware wegzuschmeißen. Neues Datum drauf, basta, der Appetit kommt beim Essen. Und die Olivenöle? Die stammen aus angefaulter Massenware, von Planierraupen zusammengeschaufelt, mit Heißdampf gereinigt. Schwer lecker!
Die Preise treiben einem ohnehin Tränen in die Augen. T-Shirts für 5,99 - das geht nur mit Kinderarbeit und nackter Ausbeutung. Weine für 1,59 - welche Winzerfamilie, welche Kulturlandschaft soll da überleben? Milch billiger als Wasser - auf Kosten von Bauern und Tieren.
Das alles hat die Billigeinkäufer nie interessiert, das soziale Gewissen wird an der Kasse abgegeben. Aber Geiz war noch nie geil. Geiz ist riegeldumm.
Manfred Kriener ist einer von zwei Chefredakteuren des Umweltmagazins "Zeozwei".
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