Pro und Contra: Ist der US-Abzug aus dem Irak zu früh?
Die US-Truppen haben sich am 30. Juni aus allen irakischen Städten und Dörfern zurückgezogen, ein Gesamtabzug ist für 2010 geplant. Seitdem steigen die Attentate wieder. War es die richtige Entscheidung?
P RO
Der Terror im Irak hat wieder zugenommen. Allein in dieser Woche rissen die Autobomben und Sprengfallen mehr als 200 Menschen in den Tod. Dass der Irak sicherer werde, wenn die Amerikaner den Rückzug einleiten - am 30. Juni haben sich sämtliche US-Kampftruppen aus den irakischen Städten und Dörfern zurückgezogen -, hat sich als Illusion erwiesen.
Trotzdem hält US-Präsident Barack Obama an dem vereinbarten Abzugsplan fest. Das ist fatal. Denn nach wie vor gibt es keine dauerhafte Lösung für die zahlreichen Konflikte im Irak. Im Nordirak stehen sich Araber und Kurden im Kampf um Land und Öl unversöhnlicher gegenüber denn je. Keine Seite ist bereit, von ihren Maximalforderungen abzurücken. Regierungschef Nuri al-Maliki inszeniert sich als Retter der Nation.
Doch nicht nur Kurden und Sunniten, sondern auch die Fraktionen im eigenen schiitischen Lager setzen ihn unter Druck. Wie die Kurden haben sie mittlerweile reguläre Polizei- und Armee-Einheiten auf ihrer Seite. Viele Iraker machen deshalb nicht in erster Linie die Terroristen von al-Qaida, sondern die herrschenden Parteien für die jüngste Gewalteskalation verantwortlich.
Bislang hat die Präsenz der US-Kampftruppen einen offenen Krieg, besonders im Nordirak, verhindert und dafür gesorgt, dass der holprige politische Prozess nicht zum Erliegen kam. Doch die Zeit läuft, im Januar wird im Irak gewählt. Davor wird keine Seite zu schmerzhaften Kompromissen bereit sein, kurz danach müssen die Amerikaner den Abzug der Kampftruppen einleiten.
Wer auf einen bewaffneten Sieg über den Gegner setzt, muss also nur abwarten. Das versuchen die Reste von al-Qaida zu nutzen, indem sie die Konflikte durch Anschläge weiter schüren. Es ist also höchste Zeit, dass Washington handelt. Die Kontrahenten werden nur durch eine robuste Präsenz der US-Truppen an den Verhandlungstisch gebracht. Und diese werden es am Ende auch sein, die dafür sorgen müssen, dass die Verhandlungsergebnisse Realität werden.
INGA ROGG ist Journalistin im Irak und taz-Autorin.
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CONTRA
Die durch die US-Invasion in den Irak ausgelöste Katastrophe ist noch größer ausgefallen als vor dem Einmarsch im Frühjahr 2003 befürchtet. Gescheitert sind die US-Truppen im Irak bekanntlich nicht beim Vorrücken der Panzer auf Bagdad. Die militärische Niederlage begann erst, als der Krieg schon für beendet erklärt worden war. Gegen die täglichen Anschläge zumeist unsichtbarer Gegner konnte auch die stärkste Militärmacht wenig ausrichten.
Und sie wird es auch in Zukunft nicht können. Deshalb sind die neuen Anschläge im Irak kein Argument dafür, den Prozess des Rückzugs der US-Truppen zu stoppen. Selbstverständlich wird nach dem Abzug nicht plötzlich alles besser. Die innerirakische Gewalt wird nicht zwangsläufig enden. Wer Gegenteiliges erwartet, hat die Dynamik organisierter Gewalt nicht begriffen.
In den letzten zwei Jahren gab es zwar weniger Gewalt, als Erfolg kann man dies aber nur verbuchen, wenn man die Lage an dem Ausmaß des Mordens im Jahr 2006 misst. Denn auch jetzt liegt die Zahl der täglich getöteten Iraker nicht niedriger als im ersten Jahr nach der Invasion. Und selbst dieser vermeintliche Erfolg kam zu einem hohen Preis: Ethnische Gruppen wurden getrennt, und bestehende bewaffnete Milizen wurden als Verbündete rekrutiert. Mit einer langfristigen Strategie für den Aufbau Iraks, gar in demokratischen Strukturen, hat beides wenig zu tun.
Sollte es auch nicht. Es ging allein darum, eine Lage zu schaffen, in der eine Truppenreduzierung ohne allzu großen Gesichtsverlust möglich ist. Eine Verlängerung der militärischen US-Präsenz würde daran nichts ändern.
Als verfrüht kann den Abzug aus dem Irak nur bezeichnen, wer glaubt, mit massiver Militärmacht könnte man einen demokratischen Staat oder auch nur eine einigermaßen gewaltfreie Gesellschaft aufbauen. Das US-Militär hat gemeinsam mit seinen britischen Verbündeten mehr als sechs Jahre lang zeigen können, dass dies eine gefährliche Illusion ist.
ERIC CHAUVISTRÉ ist Auslandsredakteur der taz.
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