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Pro und ContraChristian Wulff oder Joachim Gauck?

Ingo Arend
Kommentar von Ingo Arend und Vera Lengsfeld

Wer ist der bessere Präsident? Hier der charismatische Widersacher der Diktatur, da ein Mann, der aussieht wie das Double für Herrn Kaiser. Aber beide haben Vorzüge.

Welchen Staatsmann hätten Sie denn gern? Bild: dpa

P RO GAUCK:

Joachim Gauck wurde von Rot-Grün aufgestellt, aber er ist der erste Bundespräsidentenkandidat der Bürger. Er hat bei seiner Nominierung sofort klargemacht, dass er ein überparteilicher Kandidat sein will. Einer, der sich nicht in den engen Grenzen politischer Machtspielerei bewegt und sich auf keinerlei Kungeleien einlässt. Das kommt an beim Volk.

In unserem weitgehend mit dem eigenen Machterhalt beschäftigten Politstablishment wirkt Joachim Gauck wie eine frische Brise.

Noch nie hat es das gegeben: Bürger mischen sich im Netz und auf der Straße in die Bundespräsidentenwahl ein, wie es in einer lebendigen Demokratie sein sollte. Die Facebookgruppe zur Unterstützung von Gauck hat schon über 34.000 Mitglieder. In allen Umfragen liegt er weit vor Wulff. Die Bundesversammlung täte gut daran, diese Stimmen ernst zu nehmen.

Das Leitmotiv seiner Präsidentschaft wäre Freiheit. Freiheit sei wichtiger als Solidarität. Die Freiheit, die Gauck propagiert, nennt er eine Freiheit für Erwachsene, die gepaart ist mit Verantwortung. Verantwortung für andere zu übernehmen bedeutet für Gauck, ihnen leben zu helfen, sie zu befähigen, sich selbst zu versorgen, nicht, sich versorgen zu lassen. Er will keinen Fürsorgestaat, keine Bemutterung, sondern die Fähigkeit zur Selbstständigkeit. Eine solidarische Gesellschaft ist für ihn eine, die den Einzelnen ermächtigt, ein Bürger zu sein.

Das ist ein geradezu revolutionäres Bekenntnis in einer Parteienlandschaft, in der sich die politischen Akteure beim Sichkümmern zu übertreffen versuchen, indem sie Schutz vor den Ängsten zu bieten scheinen, die sie vorher selbst geschürt haben: der Angst vor der Erderwärmung, der Flugasche, dem Rinderwahn, auch der Schweinegrippe.

Joachim Gauck möchte einer Politik der Angst nicht folgen. Er setzt auf Ermutigung. Er demonstriert, dass Unabhängigkeit und Freiheit möglich sind. Mit Gauck würde der Geist der Revolution 1989 revitalisiert und fruchtbar gemacht. Genau, was ein mutlos und ratlos gewordenes Deutschland jetzt braucht.

VERA LENGSFELD ist freie Autorin. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Bundestags.

***

PRO WULFF:

Zugegeben: Der Vergleich mit Joachim Gauck fällt nicht eben günstig aus für Christian Wulff. Hier der charismatische Widersacher der Diktatur, da ein Mann, der aussieht wie das Double für Herrn Kaiser, den Mann von der Hamburg-Mannheimer: artig, gescheitelt, devot und stets korrekt zu seinen Klienten.

Das Bild der Banalität, das ein mutmaßlicher Bundespräsident Wulff evoziert, muss aber kein Nachteil für die Demokratie sein. Das ästhetisch Unbefriedigende ist nämlich ihr Wesenskern. Misstrauisch machen eher die die Projektionen, die die Kandidatur des konservativen Bürgerrechtlers Joachim Gauck befeuern. Sie treibt die Hoffnung auf eine Instanz jenseits der Politik, die ihr abnimmt, was sie selbst zu leisten hätte: Diskurse stiften, Orientierung geben, Visionen entwickeln. Wer würde Charakterköpfe nicht den Seriendarstellern vorziehen? Doch bei seinen Unterstützern grassiert eine problematische Sehnsucht nach der formvollendeten Demokratie.

Von derlei Erwartungen weiß Wulff sich frei. Mit ihm würde die Nation weder mit einem Ersatzaristokraten gequält noch mit einem Pastor.

Wulff ist zwar Schirmherr der Initiative "Mutmacher der Nation". Doch der freundliche Nachbar käme nie auf die Idee, sich zu ihrem Präzeptor aufzuschwingen oder den obersten Intellektuellen zu geben. Zu dem Mann aus Niedersachsen brauchte niemand ehrfürchtig aufzusehen. Auch wenn er Ehrendoktor der Tongji-Universität in Schanghai ist. Mit dem Beschützer der Feuerwehren, Jugendorchester und Landfrauen hätten wir einen Präsidenten auf Augenhöhe.

Mit Christian Wulff, dem Gestalt gewordenen Mainstream, würde auch das angenehm Unscheinbare und Provinzielle der Bonner Republik wiederkehren, das dem Publizisten Karlheinz Bohrer stets ein Dorn im Auge war. Demokratie, will sie nicht zum Stilkorsett werden, muss so "unästhetisch" sein wie dieser Mann ohne nennenswerte Eigenschaften.

In Christian Wulff würde die Nation sich selbst ins Angesicht blicken: Kassenbrille, Langweiler, Schwiegersohn - eben ein solides Mittelmaß so wie du und ich.

INGO AREND ist Politologe und Kunstkritiker

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Ingo Arend
Autor und Kritiker
Ingo Arend, Politologe und Historiker, Autor, Kritiker und Juror für Bildende Kunst, Literatur und Politisches Feuilleton. Lange Kulturredakteur des "der freitag", 2007 bis 2009 sein Redaktionsleiter. Redakteursstationen bei taz und Deutschlandfunk Kultur. 2015-2023 Mitglied des Präsidiums der neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (nGbK). Spezialgebiet: Global Art, Kunst und Politik, Kunst und Geschichte, Kunst und Kultur der Türkei. Weblog: Ästhetik und Demokratie.

18 Kommentare

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  • A
    Amos

    Wulff, ein Himbeer-Bübchen im Sinne der Kanzlerin, der die Republik weiter schlafen lässt, oder ein Mensch mit Charisma, der auch mal das sagt, was andere nicht

    hören wollen? Die Entscheidung ist doch eigentlich klar. Der Mann von der Hamburg/Mannheimer ist übrigens ein guter Vergleich. Der denkt erst mal um seine Provision, wenn er den Menschen was andrehen will.

  • D
    Dreizehn

    Ehrlich gesagt ist es mir gleichgültig, weil ich glaube, dass die beiden Herren sich politisch wenig unterscheiden. Am Beitrag von Frau Lengsfeld ist problematisch, dass ein Begriff wie "Fürsorgestaat" unbesehen übernommen wird und dass ebenso unreflektiert von "Freiheit" und "Verantwortung" geredet wird - Begriffe, die im Kontext vom Abbau des Sozialstaats ja längst eine sehr spezielle Bedeutung gewonnen haben. Haben Sie das nur noch nicht gemerkt, Frau Lengsfeld? Wer in Berlin lebt, kann doch den Niedergang dessen, was im Westen einst "Lebensqualität" genannt wurde, gar nicht übersehen. Egal? Immerhin: Sollten sich "unsere" Kandidaten mal dazu äußern, werde ich die Ohren spitzen.

  • A
    Achim

    Wenn es die vom Volk Gewählten nicht schaffen, dem Land Hoffnung und Orientierung zu geben, dann halt der Bundespräsident. Noch eins spricht für Gauck: Seine Wahl würde Merkels Götterdämmerung der CDUCSUFDP noch ein bisschen mehr Feuer machen.

  • V
    vic

    "eben ein solides Mittelmaß so wie du und ich"

    Nö, wie du vielleicht, aber nicht wie ich.

     

    Wulff, der Präsident von Volkes Mehrheit.

    Jener Mehrheit, die Merkel, Guttenberg, Lena, DSDS und GNTM prima finden und sich mit Bild und Burda bilden.

    Oder Gauck, für den alles was links von ihm des Teufels ist?

    Danke nein, aber mich fragt ja niemand.

  • S
    Stev

    "der charismatische Widersacher der Diktatur" war Herr Gauck nun wirklich nicht, bzw. erst dann, als keine Diktatur mehr existierte. Dafür einer jener Leute, die aus Selbstgerechtigkeit, Rechthaberei und Streitsucht Bündnis 90 (ohne und mit Grün) Anfang der 90er in die Bedeutungslosigkeit manövrierte und damit den Blockparteifunktionären den Weg zu neuen Ämtern noch leichter machte.

  • O
    Oliver

    Klar, weshalb auch erwähnen, dass mit Wulff eine Person Präsident werden wurde, der durch seine ProChrist-Verbindung den Kreationismus fördert. So etwas ist nicht tragbar.

  • W
    Wolf-G.B

    Mir egal wer Bundespräsident wird, solange es nur nicht der Gauck ist!

     

    der Wolf

  • U
    upupintothebluesky

    Mir egal wer Bundespräsident wird, solange es nur nicht der Gauck ist!

  • L
    linsenspaeller

    Pfarrer Gauck ist schlichtweg der geborene Bundespräsident. Auch wenn er manchmal auf einem halben Auge blind ist. Ich freue mich schon auf die gesalbten Reden, die er halten wird, damit wir sie hier zerreißen und in den Staub treten können. Alleine die Vorstellung, daß der genau weiß, wer alles seine Stasiakte nach der Wende stumm und freundschaftlich in die Hand gedrückt bekommen hat, wessen Akten dauerhaft für alles und jeden gesperrt wurden und wessen Akten gleich beim Verfassungsschutz weitergeführt wurden, das macht mir eine Gänsehaut. Der Frau Merkel bestimmt auch.

  • W
    Westberliner

    Ich möchte weder Gauch noch Wulff als Bundespräsident haben.

     

    Ich plädiere für Dombrowski (Neues aus der Anstalt).

  • KK
    Klaus Keller

    Wulff als Kanzler(kandidat) verhindern indem wir ihn zum Bundespräsidenten wählen lassen könnte sich unser Bundesmerkel ja auch gedacht haben.

     

    Wer bleibt da noch übrig als Merkelnachfolger?

    Seehofer??

     

    Des ganze Vorgehen ist schon schräg!

    Die Abstimmung ist Geheim, jeder seinem Gewissen verpflichtet aber alles redet davon das die Koalition in Gefahr ist wenns Wulff nicht wird.

     

    Wie Geil ist das denn könnte man Fragen wenns nicht so bekloppt wäre.

     

    PS 1 je mehr ich von Gauck (O-ton) höre desto weniger gefällt er mir, das macht Wulff aber nicht besser.

     

    PS 2 Wäre uns Wulff als Kanzler lieber?

     

    PS 3 oder Gabriel mit Künast als Vize ubs,sorry mir wird schlecht...

     

    klaus keller hanau

  • DW
    der wer?wulff

    Ich glaube, Wulff wurde von der katholischen Kirche ins Rennen geschickt - als Verhütungsmittel. Wenn man sich den Knaben ankuckt, vergeht einem doch innerhalb von Milisekunden jeder Gedanke an Sex.

    Bundespräsident? Eher ein Anti-Erotikum!

  • EA
    Eser A.

    Beide Kandidaten sind eine schlechte Wahl... das ist wie bei der Bundestagswahl: keine Partei ist eine Alternative, alle sind gleich...

  • N
    Nanninger

    Wulf, der flauschig Weichgespülte Grüßaugust - Igit

    Gauck, je oller desto doller - Rentnerband, nee

    Abschaffen das Amt, ist so überflüssig wie ein Kropf

  • M
    Mike

    Weder noch. Weshalb machenn eigentlich die Medien so Propaganda für den neoliberalen Gauck? Zahlt die "Initiative sogen. Neue Soziale Marktwirtschaft" so gut?

  • K
    Kommentator

    Und morgen schreibt hier die Mietmaultruppe vom INSM in gänze, oder wie?

     

    Frau Lengsfeld ist echt zu viel. Selbst für härteste Mägen.

     

    Der neue Kurs der taz nach Füller und Kramer - und ewiger Diekmann-Werbung -nun Lengsfeld aufzutischen spricht Bände.

     

    *Kotz*

     

    Kann man euch etwa kaufen, mieten oder seid ihr an sich so beliebig?

     

    *smells green*

  • L
    Linker

    GAUCK ist ein NEOLIBERALER, dem die Armen, Kranken und Schwachen egal sind, seine FREIHEIT ist die Freiheit des MARKTES, nicht die Freiheit des Menschen.

     

    WULFF hingegen ist ein traditioneller KONSERVATIVER, nett aber langweilig, aber er will wenigstens nicht den Sozialstaat abschaffen, wie Gauck es will.

     

    Die WERTE die GAUCK vertritt, klassische NEOLIBERALE Werte werden übrigens von der BEVÖLKERUNG überwiegend ABGELEHNT, die wollen nämlich den SOZIALSTAAT und überhaupt einen STARKEN STAAT.

     

    Wenn also die Bevölkerung mehrheitlich Gauck will, dann zeigt das wieder einmal die ausgeprägte UNAUFGEKLÄRTHEIT der deutschen Bürger.

     

    Es ist wie bei den WAHLEN: Die Linke ist eigentlich die einzige Partei, die den Mehrheitswillen der Bevölkerung in wichtigen politiuschen Fragen vertritt, dennoch wird RECHTS bzw. NEOLIBERAL gewählt, ein bisschen reichlich SCHIZO, der DEUTSCHE.

  • R
    Ralf

    Mir egal wer Bundespräsident wird, solange es nur nicht der Wulff ist!