Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung steigt: Der Osten holt langsam auf
Die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung steigt in den neuen Bundesländern schneller als in den alten. Auch von der Krise ist Ostdeutschland weniger betroffen.
Die dramatische Insolvenz der Wadan-Werften in Mecklenburg-Vorpommern, die die Bundesregierung nicht mit Staatsgeldern retten wollte, zeichnet ein nicht ganz korrektes Bild. In Wirklichkeit kommt die Wirtschaft im Osten leichter durch die Krise als die im Westen. Und auch schon vor der Krise ist der Osten Deutschlands dem Westen ökonomisch ein Stück näher gerückt. Das zeigt eine aktuelle Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Nicht zuletzt seien auch die staatlichen Hilfen für die ostdeutsche Wirtschaft eine Triebfeder des Wachstums gewesen, so die IW-Forscher. Eine Feststellung, die oft bezweifelt wird.
Das Aufholen der ostdeutschen Wirtschaft machen die Wirtschaftswissenschaftler vor allem an einem Kriterium fest: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner sei zwischen den Jahren 2000 und 2008 in Ostdeutschland real doppelt so schnell gewachsen wie im Westen. 2008 habe das BIP je Einwohner im Osten immerhin 69 Prozent des Westniveaus betragen - gegenüber nur 60 Prozent im Jahr 2000. So erwirtschaftete im vergangenen Jahr jeder Ostdeutsche im Durchschnitt 22.069 Euro und jeder Westdeutsche 32.205 Euro.
Bei der Pro-Kopf-Betrachtung gibt es aber eines zu bedenken: Eine höhere Wirtschaftskraft pro Einwohner muss nicht unbedingt auf eine stark wachsende Volkswirtschaft zurückzuführen sein - sie kann auch durch sinkende Einwohnerzahlen zustande gekommen sein. Ein Effekt, der in Ostdeutschland - mit Ausnahme Brandenburgs, wo der Speckgürtel um Berlin Einwohnerzuwächse erzielte - tatsächlich eine gewisse Rolle spielt. Die Abwanderung insbesondere junger Leute hält an.
Größter Wachstumsmotor im Osten ist die Industrie. In einzelnen Regionen, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin, sind zudem Landwirtschaft beziehungsweise Tourismus bedeutend. Die Industrie legte in den vergangenen acht Jahren real um 64 Prozent zu. Dabei konzentrieren sich einzelne Branchen in bestimmten Regionen. Ein Windenergiecluster bildet sich zum Beispiel in Rostock und in Magdeburg. Die Fahrzeugherstellter finden sich in Chemnitz/Zwickau und Eisenach und die Solarwirtschaft in Bitterfeld, Erfurt/Jena und um Dresden. Zwar leidet die Solarbranche derzeit unter sinkenden Preisen, "aber die wird sich wieder fangen, wenn die Kreditklemme überwunden ist", sagt IW-Forscher Klaus-Heiner Röhl.
Der Ost-West-Abstand dürfte sich nach Ansicht des Instituts auch in der Krise weiter verringern - weil der Westen stärker schwächelt als der Osten. Der Grund: Die ostdeutsche Wirtschaft ist weniger exportabhängig als die westdeutsche. Im verarbeitenden Gewerbe beträgt der Anteil der Ausfuhren im Osten lediglich 32 Prozent, im Westen dagegen 46 Prozent. Unter dem Einbruch der Exportmärkte im Zuge der Krise leiden also vor allem die Westfirmen. Zudem sind offenbar selbst exportorientierte Ostfirmen weniger betroffen als vergleichbare Westfirmen. Das könnte daran liegen, dass viele Fabriken im Osten neu gebaut oder saniert wurden und entsprechend effektiv sind.
Die aktuellen Arbeitsmarktzahlen bestätigen diesen Trend. Während in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt die Arbeitslosenquoten im Juni 2009 im Vergleich zum Vorjahresmonat sogar leicht sanken, stiegen sie in allen westdeutschen Bundesländern.
Und wann endlich schließt der Osten ganz zum Westen auf? IW-Mann Röhl malt ein differenziertes Bild. "Die Angleichung an so starke Ballungsräume wie Frankfurt, München und Stuttgart kommt nie." Aber ein Angleichen an das Niveau westdeutscher Flächenländer ohne sehr starke Zentren wie Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein - das könnten die ostdeutschen Länder schon bis zum Jahr 2020 schaffen. RICHARD ROTHER
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