Pro & Contra Mindestlohn für Praktikanten: Unbezahlbar, unbezahlt
Mindestlohn für Praktikanten nur in Ausnahmefällen: Eine Farce? Oder die richtige Entscheidung? Zwei taz- Praktikantinnen debattieren.
P ro:
Der Mindestlohn bleibt eine Utopie. Wir sind die Generation Praktikum, für unsere Eintrittskarte in die Arbeitswelt sammeln wir Berufserfahrung vor dem Beruf. Für wenig und manchmal auch gar kein Geld. Daran haben wir uns gewöhnt, der Spruch von den Lehr- und den Herrenjahren klingelt in unseren Ohren.
Lange war der Mindestlohn deshalb wie der Heilige Gral, eine Verheißung, an der „Nur gucken, nicht anfassen“ geschrieben stand. Unerreichbar für uns. In der Debatte über den Mindestlohn wurden wir immer wieder übergangen, früh war klar, dass Praktikanten die Ausnahme sein sollen.
Jetzt heißt es, er sei auch für uns zum Greifen nah – eine Farce. Denn nur Praktikanten, die nach Ausbildungs- oder Studienabschluss länger als vier Wochen in einem Unternehmen hospitieren, sollen Anspruch auf 8,50 Euro pro Stunde haben. Die Mehrheit bliebe die Ausnahme.
Dabei ist das Hauptargument ziemlich simpel: Praktikanten seien keine Arbeitnehmer und müssten dementsprechend auch nicht wie Arbeitnehmer bezahlt werden. Genauso wenig wie Ehrenamtliche und Auszubildende – eine sehr freie Interpretation der Realität, um nicht zu sagen: eine Verarschung.
Denn Ehrenamtliche machen ihre Arbeit freiwillig, sie haben sich bewusst dafür entschieden, einen Dienst an der Gesellschaft zu leisten. Unentgeltlich. Das ist wirklich nett. Aber kein Praktikant will einfach nur nett zu seinem Unternehmen sein – und kaum einer macht sein Praktikum freiwillig.
Die meisten machen ihr Praktikum, weil sie es müssen. Weil es Ausbildung und Studium vorsehen (Praxis), weil es der Arbeitgeber verlangt (Kennenlernen), weil der Arbeitsmarkt nichts anderes hergibt (Prekariat). Oder weil uns erzählt wird, ein Praktikum bringe unbezahlbare Einblicke und Erfahrungen in die Berufswelt (der perfekte Lebenslauf). Ja genau, unbezahlbar und unbezahlt.
Wer ein Praktikum macht, muss es sich leisten können. Wochenlang, monatelang. Wer es nicht kann, soll sich mit Mitte, Ende zwanzig eben noch mal von den unterhaltszwangsverpflichteten Eltern aushalten lassen. Oder hat Pech gehabt. Daran wird sich nichts ändern: Herzlich willkommen in der Zweiklassengesellschaft des Prekariats.
Die Zeiten, in denen Praktikanten nur zum Kaffeekochen eingestellt wurden, sind lange vorbei. Tausende sitzen auf „echten“ Arbeitsstellen, machen die gleiche Arbeit wie ihre besser bezahlten Kollegen. Trotzdem sagt ihnen der Kontoauszug am Ende des Monats, dass sie nur zum Lernen da sind, noch in der Ausbildung stecken.
Zukünftig sollen wenigstens längere Praktika nach Abschluss der Ausbildung mit dem Mindestlohn bezahlt werden. Doch der Ausbildungsbegriff ist dehnbar: In Praktikumsausschreibungen werden schon heute junge Leute am Ende ihrer Ausbildung gesucht, im Haupt- oder Masterstudium, mit Zusatzqualifikationen und Vorerfahrungen. Mit Berufserfahrung für die Berufserfahrung. Auch daran wird sich nichts ändern.
Oft wurde uns erzählt, wir bekämen den Lohn für geleistete Arbeit in einem späteren Job zurück. Schließlich seien wir dann gut ausgebildet und verdienten dementsprechend. Doch mittlerweile sollte sich rumgesprochen haben, dass gerade in typischen Praktikumsbranchen die Jobs rar, unsicher und schlecht bezahlt sind. Der Journalismus ist eine solche Branche. Hier gibt es keine Perspektive auf eine gut bezahlte Festanstellung, keinen Lohn mit Verspätung.
Natürlich haben Praktika ihre Berechtigung, für viele sind sie sinnvolle Praxiserfahrung, für manche tatsächlich ein Berufseinstieg. Trotzdem sind wir erst mal nur billige Arbeitskräfte, denen jetzt das Recht anderer Billigkräfte verwehrt werden soll. Das Recht auf Mindestlohn, ein egalitäres Gut. (Lan-Na Grosse)
Contra:
Der Mindestlohn ist eine Dystopie. Angenommen, heute wäre Mindestlohn, müssten Sie wahrscheinlich auf einen der Texte hier verzichten. Zwei Praktikanten könnte sich dieses taz-Ressort nämlich nicht mehr leisten. Die taz müsste, wie viele Unternehmen unterschiedlicher Branchen, ihre Stellen für Praktikanten immens kürzen. Wir wären schlicht zu teuer. Unser Versuch, einen Platz zu ergattern, würde damit zum erbitterten Kampf. Ein Mindestlohn für alle Praktikanten mag gerecht klingen, doch er würde unsere Situation nur noch verschlimmern. Denn er zementiert das "System Praktikum".
Angenommen, heute wäre Mindestlohn, ginge es vor allem in Kultur und Medien blutig zu, denn schon jetzt bewerben sich zu viele auf die schlecht bezahlten Stellen. Die beliebten Praktikumsbranchen leiden an chronischer Unterfinanzierung, ständig wachsenden Sparvorgaben, aber auch an der fehlenden Zahlungsbereitschaft ihrer Konsumenten. Sie brauchen Billigkräfte wie uns und wir die Berufserfahrung. Ohne einen mit Praktika prall gefüllten Lebenslauf haben wir keine Chancen auf den Berufseinstieg. Es ist eine scheinbar perfekte Symbiose: Praktikanten tauschen Arbeitskraft gegen Erfahrung, Unternehmen sichern ihre Existenz in der Branche. Der Mindestlohn wäre der Tod für beide Partner.
Um das Gemetzel zu verhindern, plant die Politik Ausnahmen: Praktika im Rahmen der Ausbildung. Sie sollen auch weiterhin ohne Lohnuntergrenze auskommen. Machen müssen wir sie trotzdem, oft sind sie Pflicht, sonst eine nachdrückliche Empfehlung. Wir Studenten und Auszubildende sind im "System Praktikum" gefangen und werden weiterhin als Billiglöhner auf den Markt geschwemmt.
Angenommen, heute wäre Mindestlohn, Absolventen gingen wohl leer aus, schließlich kosten sie dann 8,50 Euro die Stunde, ähnlich wie ein Angestellter - Jobs ohne vorheriges Praktikum im Hause blieben für Absolventen dennoch unerreichbar. Also könnten wir die Ausbildung künstlich verlängern, uns an Universitäten einschreiben und hundert plus x Euro Verwaltungsgebühr zahlen, falls es mit dem Mindestlohn-vergoldeten Praktikumsplatz nach Abschluss nicht klappt.
Und da bliebe noch ein Schlupfloch, das niemand infrage stellt: ehrenamtliche Arbeit, die, wie gehabt, unvergütet bleiben soll. Schließlich ist ein Praktikum doch auch ein freiwilliges Amt auf Zeit, das nicht auf Entgelt ausgerichtet ist. Stellen gäbe es damit wieder genug, schließlich verursachen wir dann keine Kosten mehr. Außer die, auf denen wir selbst sitzenblieben.
Bisher überweisen manche Unternehmen wenigstens eine monatliche "Unterstützung", bei der taz sind es 200 Euro. Sie sollen uns beim möglichen Umzug in eine andere Stadt unterstützen, bei den Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel, und in der Kantine Mittagessen sollten wir auch. Diese Almosen fielen dann dem Ehrenamt zum Opfer - Mindestlohn sei Dank - uns Praktikanten bliebe die Ehre.
Angenommen, heute wäre … es wäre nichts besser. Unser Problem liegt im System. Der Mindestlohn hätte lediglich den Effekt einer Schmerztablette: Er überdeckt zwar die Symptome, nicht aber die Ursachen. (Fumiko Lipp)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich