Privatschulkette Phorms AG: Elite im Container
Die Phorms AG ist die erste Privatschulkette Deutschlands. Doch wegen der Lehman-Pleite sitzen Schüler in Containern. Wie sich die Globalisierung an ihren Kindern rächt.
Lehman-Opfer. Man hat inzwischen ein genaues Bild, wie die auszusehen haben. Grauhaarige ältere Herrschaften vor Banken, mit Schildern um den Hals, auf denen irgendetwas von Zertifikaten steht und Abzocke. Aber Kinder, nicht älter als zwölf Jahre alt, die Leon heißen und Amelie, Julius oder Hannah? Das ist neu.
Wegen der Pleite der US-Bank Lehman Brothers lernen 76 Berliner GrundschülerInnen seit Monaten in einem grauen Container, umgeben von einem zweieinhalb Meter hohen Zaun, obendrauf Stacheldraht. Ihre Eltern bezahlen dafür Geld, viel Geld sogar, bis zu 800 Euro im Monat. Die Schule gehört der Phorms AG, eine Privatschulkette, die angetreten ist, die deutsche Bildung zu revolutionieren. Gegründet haben sie der Exbiotechunternehmer Alexander Olek und die ehemalige Boston-Consulting-Beraterin Béa Beste. Bisher ging es nur bergauf, sieben Schulen hat das Unternehmen seit 2006 in ganz Deutschland eröffnet. Von der "ABC-AG" wurde anerkennend gesprochen. Doch jetzt bekommt das Siegerimage Kratzer.
Wenig ist, wie es war, seit die New Yorker Bank Lehman Brothers am 15. September pleiteging. In den Jahren davor befand sich der Staat auf dem Rückzug. Seit dem Lehman-Zusammenbruch aber müssen Staaten Banken retten, Firmen auffangen, Rettungsschirme spannen. Und die Wirtschaft ist es, die unter Rechtfertigungsdruck kommt.
Dies ist deshalb auch die Geschichte eines Unternehmens, das es dem Staat zeigen wollte; das die Kinder besser auf die Globalisierung vorbereiten wollte als die verschnarchten öffentlichen Schulen. Und das nun selbst zu spüren bekommt, was Globalisierung bedeutet.
Lehman war Gesellschafter in einem 70-Millionen-Euro-Projekt: dem "Monroe Park" im Westberliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Zur Nazizeit produzierte in dem gigantischen Gebäudekomplex Telefunken, danach waren dort bis 1994 US-Soldaten stationiert. Nun sollten hier Luxuslofts entstehen. Und eben die Grundschule.
Dann ist aber erstmal alles anders gekommen. Geldgeber Lehman ging pleite. Baustopp.
Kurz nach 9 Uhr. Es ist etwas kühl in der Aula. Die Schüler sitzen auf dem grauen Linoleumboden. Vor ihnen steht Schulleiterin Jayne Morgan, eine Engländerin wie aus einem Pilcher-Roman: Bluse, Strickjacke, Perlohrringe, braungraues Haar, steife Oberlippe. Morgan erzählt den Kindern, wie Beethoven sich anstrengen musste, um voranzukommen. "You can do it", habe er sich gesagt. Du schaffst es! Hinter ihr steht ein Flipchart, darauf das englische Wort für Erfolg: "Achievement". Die Kinder rufen im Chor: "You can do it." Unternehmerisches Denken will man ihnen bei Phorms beibringen. Große Optimisten sollen sie sein. Immer wieder aufstehen. Weitermachen. Egal wie hart einem der Wind ins Gesicht bläst.
Morgan wirkt angespannt, als sie später in ihrem Büro ihr Mittagessen in sich hineingabelt. Nein, das mit Lehman sei nicht schön. Aber man habe das Beste daraus gemacht. Für ein Provisorium bietet die Schule tatsächlich viel: Lehrerinnen, die auf Recruiting-Messen in Toronto angeworben wurden; Klavierstunden am Nachmittag; jeder Schüler hat Zugang zu einem MacBook. Aber Container bleiben Container, auch wenn man sie "mobile Klassenzimmer" nennt. Von außen sehen sie aus wie Pausenräume von Bauarbeitern. Oder die Duschhäuschen auf Rockfestivals. Wer bezahlt dafür bis zu 800 Euro im Monat?
Manche der Eltern seien Lehrer, andere Ärzte, Unternehmer oder in der Medienbranche tätig, manche aber auch Taxifahrer, sagt Morgan. "Wir sind keine Eliteschule", beteuert sie. An der Wand hängt eine Pappblume, auf der steht: "Every child matters." Jedes Kind zählt.
Doch so ganz stimmt das nicht. Nur 6 von 76 Schülern haben ausländische Eltern. In Berlin stammen mehr als 40 Prozent der Kinder unter 15 Jahren aus Einwandererfamilien. Arbeitslose Eltern? Gibt es hier nicht. Und das in der Hartz-IV-Hauptstadt.
Potsdamer Platz in Berlin. Eine große Kanzlei, der Fahrstuhl fährt weit nach oben. Zwei Empfangsdamen in blauen Blazern grüßen freundlich. Hier arbeitet Stefanie Munzinger, eine promovierte Juristin. Munzinger heißt in Wirklichkeit anders, aber ihr echter Name ist nicht so wichtig. Für ihren Sohn, der hier Marco heißen soll, wollte Munzinger die perfekte Schule finden. Eine, die ihn auf das 21. Jahrhundert vorbereitet. Im Flugzeug las Munzinger von Phorms. Sie sah das Lächeln der Chefin Béa Beste. Sie las von Ganztagsbetreuung und bilingualem Unterricht. Sie dachte: Das ist das Richtige. Heute sieht sie das anders.
Sie wollte Marco an der Phorms-Schule anmelden. Doch vorher muss er durch den Aufnahmetest. Phorms will damit herausfinden, ob die Kinder "altersgerecht" entwickelt sind, die Sprache beherrschen, ob sie motiviert genug sind. Marco fand den Test furchtbar, berichtet die Mutter. Und sie selbst ist empört über die Container, denn davon habe ihr niemand was erzählt. Als sie Marco an der Schule abholt, sagt der nur: "Da will ich nicht hin." Kurz darauf kommt eine Absage, die Aufnahmekriterien seien nicht erfüllt. Munzinger will nun die 50 Euro Testgebühr zurück. Sie, die promovierte Juristin, die am Potsdamer Platz arbeitet. Ihren Marco hat sie an einer staatlichen Schule angemeldet. Man könnte das als ironische Pointe sehen: Weg von den Privaten, zurück zum Staat. Aber ganz so einfach ist es nicht.
Marco geht auf den zweisprachigen Zweig einer Staatsschule, wo auf Deutsch und Italienisch unterrichtet wird. Und wo der Anteil der Deutschen höher ist als an anderen Berliner Schulen. Munzinger spricht das offen aus. Sie sagt, dort seien nicht so viele Ausländer. Sie meint damit nicht die Italienerkinder. Sie meint die Türkenjungs und Arabboys. Die Unterschichtkids. Die, von denen sich die bürgerliche Mitte abgrenzen will.
Die Phorms-Zentrale ist in einem Klinkerbau im Berliner Wedding untergebracht. Aufgang H, 3. Stock. "Sie wollen bestimmt einen schönen, großen Caffè Latte, oder?", fragt Béa Beste zur Begrüßung und lächelt. Sie lächelt viel. Ihr Lippenstift hat dieselbe Farbe wie ihr Ledergürtel und ihre roten Ballerinas.
Im Konferenzraum erzählt Beste ihre Lieblingsgeschichte. März 2005. In Dubai trifft sie den Biotechunternehmer Alexander Olek. Die beiden sitzen bei einem Glas Wein auf der Terrasse mit Blick auf das Luxushotel Burj al-Arab. Olek erzählt, dass er eine Schule für seine Kinder gründen wolle. Wenige Wochen danach zieht Beste über Berliner Spielplätze und fragt dutzende von Eltern, welche Schule sie sich für ihr Kind wünschen. Viele wollten individuellen Unterricht, frühen Sprachunterricht, Ganztagsschule - genau das haben Beste und Olek ihnen geliefert.
Neu für Deutschland war, mit Schulen Profit machen zu wollen. Bildung als Ware? Für viele unvorstellbar. "Wenn wir es nicht schaffen, Gewinne zu erzielen, machen wir etwas falsch", sagt Beste. Sie steht vor einem Flipchart und erklärt, wie das funktionieren soll. Sie zeichnet ein Dach. Das ist die Phorms AG. Darunter sind mehrere Säulen, die sieben Schulen, die gemeinnützige GmbHs sind.
Es ist eine schlaue Konstruktion. Die Schulen können keinen Gewinn machen. Dafür aber die AG. Die hat 20 Millionen Euro an Kapital eingesammelt, bei Investoren wie Rolf Schmidt-Holtz, CEO von Sony Music. Diese Millionen leiht die AG den Schulen für den Aufbau - und bekommt sie später mit Zinsen zurück. Außerdem stellt sie den Schulen Dienste in Rechnung, das Einrichten der Computer etwa.
Es ist ein Geschäftsmodell, das aber nur funktioniert, weil der Staat Zuschüsse bezahlt. Je nach Bundesland müssen Privatschulen drei bis fünf Jahre warten, dann bekommen sie 70 bis 90 Prozent der Kosten, die für Schüler einer Staatsschule anfallen.
Doch in der Krise wird nun deutlich, was bisher nicht bedacht wurde: Wenn Banken schließen müssen, können auch Privatschulen pleitegehen. Und so wie der Staat in Not geratene Banken und Firmen auffangen muss, müsste er dann die Schüler der Pleiteschulen auffangen.
Was ist mit der Krise? Was mit Lehman? Béa Beste lächelt. Alles halb so wild, soll das wohl heißen. Es gebe da so ein chinesisches Sprichwort, sagt sie. "Wenn der Wind des Wechsels weht, bauen einige Mauern und andere bauen Windmühlen."
Aufstehen. Weitermachen. You can do it.
Die Billy-Wilder-Promenade führt in den "Monroe Park". Noch versteckt sich das Gebäude hinter Gerüsten. Aber schon nach den Ferien soll die Phorms-Schule Berlin-Süd hier eröffnen. Die S+P Real Estate hat das Projekt nach der Lehman-Pleite übernommen und den Bau fortgesetzt. Bis 2012 sollen auch die Luxuslofts fertigwerden.
Phorms will schon bald weitere Schulen eröffnen. 40 sollen es werden, auch im Ausland sind Ableger geplant. Und mit der Konzerntochter RePhorms will das Unternehmen in das Management von Staatsschulen einsteigen, mit der niedersächsischen Gemeinde Osterholz-Scharmbeck wurde schon verhandelt.
Sie bauen ihre Windmühlen. Jetzt müssen sie noch warten, bis der Wind sich wieder dreht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen