Prinzessin Lillifee: "Alles so schön rosa"

Ist die rosafarbene Welt der Prinzessin Lillifee zu aufdringlich, zu mädchenhaft? Den Rosa-Touch hat es immer gegeben, sagt der Psychologe.

Zumindest keine Barbie: Prinzessin Lillifee. Bild: ap

MÜNSTER/OSTBEVERN/BERLIN taz | Die Prinzessin und die Königin. Mädchenträume - so werden sie gemacht: Monika Finsterbusch kniet nieder. "Das ist alles, was ich brauche", ruft die 54-Jährige. Sie kramt zwei arg eingedellte Aquarell-Malkästen hervor, legt eine durchsichtige Plastikscheibe auf zwei flache Holzblöcke und schiebt eine Handwerker-Leuchtröhre darunter - fertig ist ihr Reise-Leuchttisch. Dann holt sie eine Skizze hervor, die sie gestern abend im Hotel bis 1 Uhr nachts gezeichnet hat. Zwei Figuren sind zu erkennen und viel Gekritzel. Der Leuchttisch helfe ihr, die passenden Linien auf der Rückseite des Blattes noch mal nachzuzeichnen, erläutert sie. "Ich bin am stärksten, wenn ich meinem Instinkt folge."

Monika Finsterbusch, eine dynamische Frau in Jeans und schlichtem Hemd, ist ein Star in der Kinderbuch-Szene Europas. Sie ist die Königin im Reich der Prinzessin Lillifee. Die kleine blonde Blütenfee herrscht über Pinkoviana, ein rosa Imperium, das sich in den Zimmern der etwa drei- bis neunjährigen Mädchen seit ein paar Jahren mit der Naturgewalt eines Lavastroms aus Zuckerwatte ausbreitet. Über 320 Produkte bietet der Münsteraner Coppenrath-Verlag in Lillifee-Rosa an, vom Buch über die CD und rosa Mäppchen bis zum Himmelbett. Auch die Kinos erobert Lillifee gerade.

Lillifee war ein Glücksfall im Leben der Monika Finsterbusch. Lange hat sie als Modedesignerin gearbeitet. Dann kam eine Schaffenskrise. Sie stieg aus dem Modebusiness aus und besann sich auf das, was sie immer machen wollte: Plüschfiguren für Kinder. "Für mich ist das Haptische als Einstieg ganz wichtig", sagt sie. Zuerst floppten ihre Figuren, "das Ersparte war langsam aufgebraucht" - bis ihr Lillifee einfiel. Der Erfolg kam unerwartet.

Mit dieser Figur, erzählt Monika Finsterbusch, wollte sie etwas "positiv Mädchenhaftes" schaffen - "weg aus der Realität". Nicht die Schule, nicht den Alltag, nicht das Triste wolle sie zeigen. Sondern, so die Essenz eines zweistündigen Gesprächs, eine zauberhafte, liebenswerte, übermütige, aktive, hilfsbereite, tierliebe, naturbegeisterte und neugierige Figur. Jedoch: "Keine klassische Prinzessin, die auf den Prinzen wartet", betont sie. Lillifee schreibe, trotz all dem Rosa, keineswegs Mädchen-Rollen fest oder sei gar anti-emanzipatorisch: "Für mich ist es gerade emanzipiert, dass man es so macht."

Die Fürsten und der Kanzler. Ein "Ah!", ein "Oh!", ein "Super!", etwas Beifall - im größten Saal des Coppenrath-Verlags, einem Backstein-Speicher voller Antiquitäten, altem Kinderspielzeug und viel Kitsch am Hafen von Münster, bestaunen etwa 50 Verlagsvertreter die Produkte für die nächste Verkaufssaison. Soeben haben zwei Damen ein Tuch über eine Art Gabentisch voller Lilliefee-Produkte gelüftet. Am auffälligsten ist ein rosa Morgenmantel und ein lebensgroßes Reh aus Plüsch. "Das kleine Reh" ist die neue Freundin Lillifees ab kommenden Herbst. Eine Verlagsmitarbeiterin geht mit einem rosa Buch langsam an den Verlagsvertretern vorbei. Sie sitzen auf Stühlen, die in gepunktete Decken gehüllt sind. Die Verlagsmitarbeiter sind angespannt, die Produkte-Show ist der erste Test, ob sich die Artikel verkaufen lassen. Etwas schwer zu verstehen, warum sich geschäftstüchtige Erwachsene für rosa Mädchenkitsch begeistern - aber niemand zwingt sie ja zum Klatschen. Im deutschsprachigen Raum werde wohl bald eine Million Zuschauer den Film gesehen haben, verkündet Wolfgang Foerster in der Runde.

Dann verlässt der weißhaarige Lockenkopf denVertreterkreis für ein Interview im Treppenhaus. "Sonst geht das hier mit gebremstem Schaum", erklärt der 61-jährige Verlagsleiter, und das ist eine charmante Umschreibung für: Der Reporter hat fast schon zu viel vom schnöden Lillifee-Geschäft gesehen. Foerster brummelt etwas von 1968, seiner Zeit am OSI in Berlin, damaligen Revolutionsträumen - und fängt ungefragt an, Lillifee zu verteidigen: Angesichts des "schon immensen Drucks auf die Kleinen" heutzutage sei doch klar, dass "Mädchen auch mal ,ne Auszeit haben wollen". Und die gebe ihnen die Welt von Lillifee. Sicher: "Der Kulturkritik ist das alles zu rosa", räumt er ein. Aber es herrsche heute in der Gesellschaft eine neue "Offenheit", nämlich die, "Kinderwünsche zu akzeptieren und ernst zu nehmen". Die heutigen Eltern gehörten doch "nicht mehr zur 68er Generation", sondern "gestehen den Kindern Lillifee zu", so Foerster. "Da gehört Selbstvertrauen dazu." Dann geht er einen Stock tiefer. In einer Ecke steht eine kindergroße Holzfigur des Kleinen Prinzen - etwas wehmütig, so wirkt es, klopft er dem Kleinen auf den Blondschopf.

Die Magd und der Knecht. "Die Lillifee-Artikel sind im lindgrünen Regal - alles, was rosa leuchtet", sagt Anne-Kathrin Schneider. Die 27-jährige Studentin arbeitet im Nebenjob als Verkäuferin im Münsteraner Kinder-Kaufhaus "MuKK". Sie findet zwischen den Gesprächen mit gestressten Müttern an der Kasse ein wenig Zeit, um über das Phänomen Lillifee zu sprechen. "Lillifee", sagt sie trocken, "läuft noch gut" - und zwar bei ganz besonderen Kundinnen: "Das sind schon Mädchen-Mädchen", sagt Anne-Kathrin Schneider. Dass die so auf Lillifee abfahren, "finden viele Mütter schlimm". Sie versuchten dann, ihren Töchtern andere Produkte näher zu bringen. Lillifee sei eben "nicht gerade die thoughe Emanzipierte", sagt sie lachend, "nicht die Pippi Langstrumpf, die zeigt, wo es langgeht".

Emanzipation und Lillifee - zu diesem Thema hat Dirk Boll etwas zu erzählen. Der 31-jährige Reiseverkehrskaufmann ist ein Energiebündel in blauem T-Shirt und abgewetzten Jeans. Boll leitet das Landhotel Beverland in Ostbevern nahe Münster und sitzt in seinem "Lillifee"-Zimmer. Mädchen können hier im Lillifee-Himmelbett schlafen, Erwachsene sich in Lillifee-Laken räkeln. Der strahlende Self-Made-Man erzählt von der Familie aus Wolfsburg, die kurz vor dem sehr frühen Abflug vom nahen Flughafen mit ihrer Tochter noch eine Nacht in diesem Zimmer gebucht hatte - mit der Folge, dass die Reise wegen der Begeisterung der Tochter über ihr Himmelbett fast geplatzt wäre: "Das Mädchen mochte nicht mehr nach Mallorca." Das Lillifee-Zimmer werde aber durchaus auch von gestandenen Frauen gebucht. Managerinnen zum Beispiel. Warum? "Es steckt in jeder Frau drin, mal Prinzessin zu sein." Außerdem: Lillifee sei nicht so "primitiv" wie Barbie: "Die hat keine Oberweite und lange Beine", sagt Boll. Die sei etwas für "verträumte Mädchen".

Der Weise und das Volk. Nein, das ist nicht Pinkoviana. Die Gänge sind lang, die Wände grau, keine Feen oder Tiere weit und breit. Im Raum JK 25/122g öffnet Herbert Scheithauer die Tür, es ist ein blonder Mann mit blauen Augen. Der 39-Jährige trägt blaue Jeans, Turnschuhe und ein weißes Hemd über einem weißem T-Shirt - wie ein Professor der FU Berlin für "Pädagogische und Entwicklungspsychologie" sieht er nicht unbedingt aus.

"Kinder im besten Lillifee-Alter", meint er, "brauchen die heile Welt und ein gutes Ende der Geschichten, die sie lesen, hören oder sehen." Auch "das Rosa-Mädchenhafte bei Lillifee" sei kein Problem. "Es gab immer diesen rosa Touch." Wer in diesem Alter gern mit rosa Puppen spiele, müsse keineswegs später die Rolle einer Hausfrau und Mutter vorziehen. "Problematisch wird es, wenn Mädchen sich ganz in diese Welt verlieren. Und wenn die Kommerzialisierung im Kinderzimmer überhand nimmt. Das finde ich vollkommen daneben." Der Professor wird heftig: "Dieser Konsumzwang ist einfach Wahnsinn. Da müssen wir an das Verantwortungsgefühl der Firmen appellieren." Ob Appelle dieser Art auf dem Millionenmarkt Kinderzimmer wirklich fruchten?

In der Stadtmitte von Berlin wird im Stahl- und Betonviertel Potsdamer Platz am Nachmittag der Lillifee-Film gezeigt. Gerade mal sieben Leute, vor allem Kinder, schauen ihn sich an - unwahrscheinlich, dass er noch lange läuft. Die Kinder bleiben in ihren Sesseln sitzen, bis auch der letzte Ton der Abspannmusik verklungen ist. Laila, einer vierjährigen Blonden aus Kreuzberg, hat gefallen, dass Pupsi, das mit Lillifee befreundete Schwein "so lustig rumgetanzt ist". Sie hat den Film zum zweiten Mal gesehen. Sie nennt drei Lillifee-Kronen ihr eigen sowie einen Schlafanzug, ein Unterhemd und ein Höschen von Lillifee. Ihr gefällt, "dass alles so schön rosa ist". Und: "Die Mäuse finde ich süß, weil die so schöne Schleifen haben." Dann schnappt sie sich ihre rosa Regenmütze und ihre rosa Jacke.

Sollte Lailas Liebe zu Lillifee irgendwann enden, bietet der Coppenrath-Verlag eine neue Figur an, die sie mitten ins Herz treffen soll: Rebella, ein Mädchen mit eher düsterer Mimik. Zielgruppe: Mädchen zwischen elf und 14 Jahren. Rebella ist in Schwarz und Weiß gezeichnet. Ihre Welt ist fast nur schwarz. Bis auf ein bisschen Rosa.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.