Pressefreiheit in der Türkei: Alles Terroristen
Vor 22 Jahren starb der Reporter Metin Göktepe in Polizeigewahrsam. Kolleg*innen und Politiker*innen haben seiner in Istanbul gedacht.
BERLIN taz | 80 Menschen haben am Montag im Istanbuler Stadtteil Esenler der Ermordung des Journalisten Metin Göktepe vor 22 Jahren durch die Polizei gedacht.
Unter den TeilnehmerInnen waren Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen, politischen Parteien und Gewerkschaften. Fatih Polat, Chefredakteur der linken Tageszeitung Evrensel, bei der Göktepe gearbeitet hatte, erinnerte in seiner Rede daran, dass der Journalist Ahmet Şık, der Göktepes Prozess verfolgte, sich zurzeit in Haft befindet. Göktepes Erbe lebe mit Şık fort: „Dass heute knapp 150 Journalist*innen in Haft sind, heißt, dass der Journalismus in der Türkei nach wie vor stark vertreten wird.“
Der Reporter Göktepe starb 1996 in Istanbul in Polizeigewahrsam. Er war verhaftet worden, als er über den Tod mehrerer Häftlinge berichten wollte, die im Istanbuler Gefängnis Üsküdar getötet worden waren. Das Jahr 1996 war gekennzeichnet von Protesten in türkischen Gefängnissen. Aufgrund der zahlreichen Todesfälle in Üsküdar fingen die Inhaftierten an, die Zählungen zu boykottieren. Die Polizei reagierte mit einem gewaltigen Einsatz, bei dem drei Insassen getötet und über 40 verletzt wurden. Das führte zur Ausbreitung der Proteste, in 46 Gefängnissen in verschiedenen Städten protestierten die Gefangenen mit Hungerstreiken und weiteren Boykotts.
Am 8. Januar 1996 wurde Metin Göktepe auf der Beerdigung der getöteten Häftlinge verhaftet. Den Medienarchiven zufolge wurden an dem Tag knapp 1000 Menschen in Polizeigewahrsam genommen. Aus Platzknappheit konnten diese nicht in den Polizeistationen untergebracht werden. Göktepe wurde mit anderen in eine Sporthalle gebracht. Seine Leiche wurde später am selben Tag in der Nähe der Sporthalle aufgefunden. Die drei Beamten, die für Göktepes Tod verantwortlich waren, wurden zu sieben Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, jedoch nach 20 Monaten wieder entlassen.
22 Jahre später ist es noch immer gefährlich, als Journalist*in in der Türkei zu existieren und zu arbeiten. Laut „Reporter Ohne Grenzen“ ist die Türkei das Land mit der höchsten Zahl an verhafteten Journalist*innen. Jegliche Kritik an die AKP-Regierung und den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wird mit Terrorvorwürfen delegitimiert und die regierungskritische Medien diskreditiert.
Alles Terroristen
Am vergangenen Freitag nannte der Erdoğan bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris die inhaftierten Kolleg*innen „Gärtner des Terrors“. „Die Gärten des Terrors werden von diesen aus den Redaktionen aus gegossen, und diesen Menschen begegnen wir früher oder später als Terroristen“, so Erdoğan.
Presse- und Meinungsfreiheit waren Thema bei Erdoğans Treffen mit seinem französischen Amtskollegen. Das hielt den türkischen Präsidenten aber nicht davon ab, auch einem französischen Journalisten vorzuwerfen, sich rhetorisch bei der Gülen-Bewegung zu bedienen, die er für den Putschversuch 2015 verantwortlich macht. Der Reporter hatte Erdoğan eine Frage zu Waffenlieferungen nach Syrien gestellt – sie blieb unbeantwortet.